Category: Bruchstücke 1938|2018

Antisemitische Karikaturen in sächsischen Tageszeitungen im Kontext der Pogrome (4): ‚Das Hakenkreuz ist stärker‘

In der Ausgabe des ‚Dresdner Freiheitskampfs‘ vom 16. November 1938 kam nicht nur eine antisemitische Karikatur der französischen Zeitschrift ‚Je suis partout‘ zum Abdruck, sondern auch eine weitere aus einem internationalen Blatt: Unter der Überschrift ‚Das Hakenkreuz ist stärker‘ zeigt das Blatt eine Zeichnung, die in der Londoner Zeitung ‚Daily Express‘ veröffentlicht wurde.

Vom Hakenkreuz erschlagen

Die Zeichnung zeigt einen Menschen, einen der als Juden Verfolgten, der mit erhobenen Händen auf der Erdkugel auf einem Davidstern kniet. Auf ihn fällt ein riesiges Hakenkreuz. Im Hintergrund sind offensichtlich Flammenzungen zu sehen – wohl ein Bezug auf die Pogromereignisse im Deutschen Reich (ich konnte den ‚Daily Express‘ bislang noch nicht auf die Vorlage hin prüfen).

Antisemitische Umdeutung

Im ‚Freiheitskampf‘ erfährt die ursprünglich wohl auf das Leid der Verfolgten hindeutende Zeichnung indes eine antisemitische Umdeutung: Im Begleittext heißt es, dass der sonst so judenfreundliche ‚Daily Express‘ hier ausnahmsweise einmal das Richtige getroffen habe. Es würden sich schließlich in allen Völkern Kräfte gegen die Juden erheben. Geschmacklos sei einzig, dass die britischen Karikaturisten dem Erdenball den Davidstern aufgedrückt hätten.

Auch hier mobilisiert die NS-Propaganda erneut antisemitische Ressentiments und hebt eine angebliche europaweite judenfeindliche Bewegung hervor.

Antisemitische Karikaturen in sächsischen Tageszeitungen im Kontext der Pogrome (3): ‚Frankreich erkennt den Weltfeind‘

Die sächsischen Zeitungen nahmen auch antisemitische Karikaturen anderer Blätter auf. Das Dresdner NS-Organ ‚Der Freiheitskampf‘ veröffentliche am 16. November 1938 unter dem Titel ‚Auch Frankreich erkennt den wahren Weltfeind‘ – gemeint sind hier die als solche betrachteten Juden – einen Bildbeitrag aus der faschistischen und antisemitischen französischen Zeitschrift ‚Je suis partout‘. Das Blatt, das in Frankreich weit verbreitet war, wurde 1938 von Robert Brasillach herausgegeben.

Die antisemitische Karikatur

Die Karikatur zeigt auf der linken Seite einen französischen Soldaten, der nicht für ‚Rotspanien‘, China oder Tschechien wie auch die Juden zu sterben bereit ist. Die rechte Seite zeigt seinen Sohn, der – wenn seine Zeit gekommen ist – mit den Juden aufräumen werde.

 

Mit der Karikatur wird nicht nur die deutsche antisemitische Propagandawelle unterstützt, sondern auch eine europaweite antisemitische Mehrheitsmeinung suggeriert, die zumindest für Frankreich so nicht gelten kann.

Antisemitische Karikaturen in sächsischen Tageszeitungen im Kontext der Pogrome (2): Unser Geld

Am 19. November 1938 – zehn Tage nach dem Ausbruch der reichsweiten Pogromgewalt – erschien auch in der ‚NS-Tageszeitung für Bautzen und Umgebung‘ eine antisemitische Karikatur, die deutlich auf die Pogrome Bezug nahm.

Unser Geld!‘

Unter dem Titel ‚Unser Geld!‘ liefert der Zeichner Waldl einen chronologischen, fünfteiligen Comicstreifen: Das Jahr 1918 zeigt, wie ein mit charakteristischen antisemitischen Zügen (Hakennase, Davidstern, …) gezeichneter Jude das Deutsche Reich betritt, während der Deutsche in Ketten – bezogen auf den verlorenen Ersten Weltkrieg und den Friedensvertrag von Versailles liegt.

Im Jahr 1923 zieht der Jude dem geketteten Deutschen dann während Inflation und Ruhrkampf weiterhin das Geld aus der Tasche, bezogen auf die vom Deutschen Reich zu leistenden Reparationszahlungen.

Daran ändert sich auch 1988 zunächst nichts, doch der angekettete Deutsche fühlt die Wut dagegen aufsteigen. 1928 wurde die NSDAP mit 12 Abgeordneten (2,63 Prozent) in den Reichstag gewählt. Bei den nächsten Wahlen bis Juli 1932 konnte sie erhebliche Stimmgewinne verbuchen.

1933 zieht der Jude noch immer Geld aus der Tasche des Deutschen, muss aber erschrocken feststellen, dass dieser seine Ketten zerreißt. Hier wird direkter Bezug auf die nationalsozialistische ‚Machtübernahme‘ und die direkt danach einsetzenden antisemitische Maßnahmen genommen.

Das letzte Bild des Comics nimmt schließlich direkten Bezug auf die Folgen der Pogromereignisse: Der Deutsche, in Uniform, hält nicht nur die Verordnung über die von den als Juden zu erbringende Kontribution in Höhe von einer Milliarde Reichsmark in der Hand und fordert den ‚zusammengerafften‘ Reichtum im Sack. Er weist den weinenden Juden nun auch aus dem Deutschen Reich aus. Die Lösung der ‚Judenfrage‘ lief aus der Sicht der meisten NSDAP-Vertreter und Antisemiten in diese Zeit noch auf eine Emigration aller in Deutschland lebenden Juden hinaus.

Waldl – ein nationalsozialistischer Karikaturist

Hinter dem Pseudonym Waldl verbirgt sich Walter Hofmann (1905-1977), der zahlreiche antisemitischen Karikaturen und Comics zeichnete. Zu seinen bekanntesten Arbeiten zählte das 1937 beim Nationalsozialistischen Verlag für den Gau Sachsen erschienene Buch ‚Lacht ihn tot! Ein tendenziöses Bilderbuch‘, das zahlreiche antisemitische, nationalsozialistische, kirchenfeindliche und antibolschewistische Comics vereinte.

Antisemitische Karikaturen in sächsischen Tageszeitungen im Kontext der Pogrome (1): Ihr könnt sie alle haben

Die antisemitische Propagandawelle nach dem Attentat auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter vom Rath in Paris sowie in der Folge der Pogromausschreitungen beschränkte sich nicht allein auf Artikel und wenige einschlägige Fotografien. In den sächsischen Tageszeitungen kamen vielmehr auch verschiedene antisemitische Karikaturen zum Abdruck, die zur Rechtfertigung der nationalsozialistischen Judenverfolgung beitragen sollten.

‚Trost für einen Judenfreund‘

Eine dieser Karikaturen, die mit Weltbild-Scherer (M.) gezeichnet ist, kam unter anderem in der ‚Weißeritz-Zeitung‘ vom 17. November 1938 – dem Tag der Beisetzung vom Raths in Düsseldorf – zum Abdruck. Unter dem Titel ‚Trost für einen Judenfreund‘ ist ein SS-Mann (schwarzer Binder) zu sehen, der einem weinenden Uncle Sam mit den Worten „Nicht weinen, Onkel Sam, du kannst sie alle, alle haben!“ aufmunternd auf die Schulter klopft.

Die Vereinigten Staaten hatten unter anderem mit dem Abzug ihres Botschafters gegen die Pogromgewalt im Deutschen Reich protestiert. Gleichwohl lagen die Hürden für eine Einwanderung von als Juden Verfolgten in die USA hoch.

 

Auswanderung als Lösung der ‚Judenfrage‘ – internationale Restriktionen

Die Karikatur griff diesen Widerspruch insofern auf, als dass sie einerseits die Bereitschaft und den Wunsch einer Auswanderung der noch in Deutschland lebenden Verfolgten nach Amerika als Lösung der ‚Judenfrage‘ betonte. Andererseits nahm sie Bezug auf die amerikanischen Restriktionen, indem sie die Verantwortung der von deutscher Seite gewünschten Lösung der US-Regierung zuschoben. Die Zeichnung zeigt deshalb auch, dass und wie die deutsche Propaganda die auch nach den Pogrome in den meisten Fällen restriktive internationale Migrationspolitik für ihre Zwecke nutzte.

Über den Urheber der Karikatur habe ich bislang noch keine weiteren Informationen gewinnen können.

Eine neue Gedenktafel für die Dresdner Synagoge

Am 21. Juni 2018 enthüllt der Gottfried-Semper-Club Dresden e.V. eine sogenannte Bauwerkstafel an der Neuen Synagoge in Dresden. Die Tafel erinnert vor allem an die dann auf den Tag genau 180 Jahre vorher erfolgte Grundsteinlegung, die Weihe und die architektonischen Besonderheiten des Gotteshauses.

Bezug auf den Pogrom in Dresden

Zumindest kurz wird auch in Erinnerung gerufen, dass das Gebäude am 9./10. November 1938 zerstört wurde.

Mit der Stele am Hasenberg und dem zwischen Neuer Synagoge und Gemeindezentrum durch ein Metallband eingelassenen Grundriss der alten Sempersynagoge erinnern nunmehr allein drei Gedenkobjekte vor Ort an das zerstörte Gotteshaus.

Mehr Informationen zur Bauwerkstafel unter: http://www.gottfriedsemperclub.de/news/180621%20180%20jahre%20Grundsteinlegung%20Semper-Synagoge%20.pdf

 

 

Der erste Tote der Pogrome: Robert Weinstein

In Sachsen sind bislang drei Fälle nachweisbar, in denen Menschen in direkter Folge der Pogromgewalt des 9./10. November 1938 zu Tote kamen, also Opfer von Mord oder Totschlag wurden. Sie waren allerdings nicht die ersten Toten einer Welle der Pogromgewalt, die bereits nach dem Attentat auf den deutschen Gesandten vom Rath in einzelnen Gebieten des Deutschen Reichs ausbrachen.

Robert Weinstein in Felsberg

Im Hessischen kam es bereits ab dem 7. November 1938 zu massiven Pogromausschreitungen. Im kleinen Örtchen Felsberg wurde nicht nur die Synagoge zerstört und als Juden verfolgte Menschen drangsaliert. Es traf auch den herzkranken, 1883 geborenen Kaufmann Robert Weinstein. Er starb am 8. November infolge von Drangsalierungen und Gewalt auf der Straße an einem Herzanfall – den Umständen folgend ein Totschlagdelikt.

Weinstein war vermutlich das erste Todesopfer der Pogromwelle, die ab dem 9./10. November 1938 mehrere Hundert weitere Tote fordern sollte.

2013 wurde ein Platz in Felsberg nach Weinstein benannt.

Zur Biografie und zum Schicksal Weinsteins siehe: Schilde, Kurt: Frühe Novemberpogrome 1938 und das erste Opfer Robert Weinstein, Berlin 2016.

Denunziationen (2): Toni Bitterlich in Bermsgrün

Zu den Menschen, die nach den Pogromen wegen judenfreundlicher Äußerungen und Pogromkritik angezeigt wurden, gehörte auch die 1911 in Bermsgrün geborene Toni Bitterlich. Das Ehepaar hatte einen kommunistischen Hintergrund; Toni Bitterlich sah wegen mutmaßlichen Hochverrats 1934 bereits ein halbes Jahr in Untersuchungshaft.

Kritik an der ‚Judenaktion‘

Bitterlich arbeitete als Stanzerin in der Beierfelder Lampenfabrik Hermann Nier. Dort sprach sie mit der Hilfsarbeiterin Elfriede Möckel. Sie äußerte dabei, „daß den Juden Unrecht geschehen sei, da diese sich doch ganz anständig aufführten. die Juden seien auch anständige Menschen.“ Außerdem äußerte sie sich zu sozialen Einrichtungen für Arbeiter in der Sowjetunion.

Bitterlichs Aussagen führen zur Untersuchung durch die Gestapo-Stelle in Plauen im Mai 1939. Bitterlich räumte dabei ein: „Es ist richtig, daß ich die Judenaktion damals nicht gutgeheißen habe. Ich habe den Sinn dieser Sache damals noch nicht verstanden. Heute sehe ich ein, daß richtig gehandelt worden ist.“ Die Aussage und auch das Eingeständnis, die ‚Judenaktion‘ für gut zu befinden, ist vor dem Hintergrund des drohenden Verfahrens zu sehen und entsprechend zu hinterfragen.

Einstellung des Verfahrens

Die schließlich mit dem Fall betraute Oberstaatsanwaltschaft des Sondergerichts in Freiberg untersuchte in erster Linie den Verdacht der kommunistischen Mundpropaganda. Die Vorwürfe wegen judenfreundlicher Äußerungen wertete der Staatsanwalt vor allem mit Blick auf die angeblich „spontanen Kundgebungen“ des Volkes und nicht als gegen Staat oder NSDAP gerichtet. Die Anwendung des Heimtückegesetzes kam deshalb nicht in Betracht. Ende September 1939 ordnete die Staatsanwaltschaft an, keine Strafverfolgung einzuleiten, die Denunzierte allerdings eindringlich zu verwarnen.

Die entsprechende Sondergerichtsakte ist im Hauptstaatsarchiv in Dresden überliefert.

Verhaftet in Pirna (2)

Am 9. November 1938 beschlagnahmten Polizisten in Pirna bei dem Chemiefabrikanten Manfred Heß eine Pistole und mehrere Schuss Munition. Zur Abgabe weiterer Waffen aufgefordert, gab Heß noch zwei Seitengewehre und weitere Patronen ab, zeigte außerdem den Besitz von Jagdwaffen an.

Die Festnahme des Fabrikanten

Einen Tag später, am 10. November 1938, wurde Hess festgenommen. Er wurde über Dresden ins Konzentrationslager Buchenwald transportiert. Von dort wurde er am 29. November 1938 wieder entlassen. Nach der Festnahme demolierten SA-Täter das Wohnhaus der Familie im Postweg 64, wo sich auch die verängstigte Familie versteckte.

Die Festnahme von Bruno Freymann

Ebenfalls am 10. November festgenommen, aber wieder freigelassen, wurde auch der Kaufmann Bruno Freymann.

Ausführlich zur Geschichte der in Pirna als Juden Verfolgten: Jensch, Hugo, Juden in Pirna, Pirna 1996, hier S. 34 f.; Digitales Dokumentations- und Erinnerungsprojekt des AKuBiZ e.V. aus Pirna, online unter https://gedenkplaetze.info/.

Verhaftet in Pirna (1)

Am 12. November 1938 wurden in Pirna die Kaufmänner Wolf Jurmann und Alfred Cohn sowie der Arbeiter Ernst Noack auf Befehl der Gestapo in Dresden festgenommen. Alle drei Männer wurden nach Dresden überstellt und dann ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt.

Digitales Gedenkprojekt

Ein digitales Dokumentations- und Erinnerungsprojekt des AKuBiZ e.V. aus Pirna unter https://gedenkplaetze.info/ macht diese und zahlreiche weitere Biografien zugänglich.

Zu Noack, der 1897 geboren wurde, erfährt man, dass bei ihm bereits am 11. November 1938 eine Hausdurchsuchung stattfand – allerdings ohne Erfolg. Aus dem Konzentrationslager Buchenwald wurde er am 8. Dezember 1938 entlassen.

Mit Noack wurde auch der 1886 geborene Kaufmann Alfred Cohn entlassen, nachdem dessen Ehefrau am 1. Dezember 1938 die Ausreise nach Brasilien beantragt hatte.

Der 1898 geborene Wolf Jurmann dagegen wurde erst am 14. Januar 1939 aus der ‚Schutzhaft‘ entlassen, nachdem er sein Geschäft aufgegeben und seine Warenbestände, Immobilien und Finanzen mittels eines dazu bestellten Rechtsanwalt liquidiert hatte.

Ausführlich zur Geschichte der in Pirna als Juden Verfolgten: Jensch, Hugo, Juden in Pirna, Pirna 1996.

 

Dresden – Berichte von Augenzeugen (7): Walter Feurich und der SA-Lehrer

Zu den Augenzeugen der Dresdner Pogromereignisse gehörte auch der 16-jährige geborene Walter Feurich (1922-1981). Er war 1938 in der Bekennenden Kirche engagiert und besuchte noch die Schule.

Der SA-Lehrer

An den 10. November 1938 erinnerte er sich später so:

„Auch in Dresden brannte die Synagoge. Mit einigen Freunden war ich zum Brühlschen Garten gelaufen, um mich durch Augenschein von diesem schrecklichen Ereignis zu überzeugen. Einer meiner Kameraden gab ziemlich laut seinem Unwillen Ausdruck. Er wurde sofort denunziert und anschließend in das nahe gelegene Polizeipräsidium überführt. Jetzt sahen wir etwas klarer, und einige meiner Klassenkameraden empörten sich mit mir, als am anderen Tage unser Klassenlehrer, bei dem wir Deutsch- und Geschichtsunterricht hatten, sich vor der Klasse brüstete, daß auch er als SA-Mann bei den Judenpogromen dabeigewesen sei. Die Ausschreitungen bezeichnete er als ‚gesunde Reaktion des Volkes‘! Dieser Mann war vor 1933 der Klasse als Demokrat und Anhänger der Staatspartei bekannt gewesen. Wie viele andere in unserem Volke hatte er sich in der Zwischenzeit sehr gewandelt“ (Feurich, Walter: Schon auf der Schulbank konnte man’s begreifen, in: Fink, Heinrich (Hg.): Stärker als die Angst. Den sechs Millionen, die keinen Retter fanden, Berlin 1968, S. 76–79, hier S. 76 f.).

Feurich engagierte sich auch für als Juden verfolgte Christen. Er stand mit Martin Richter, dem Dresdner Vertreter des Büros Grüber in Kontakt.