Monthly Archives: Mai 2018

Pogromprozesse (6): Bautzen 1949

Nach einem früheren Prozess wurde vom 14. bis 16. Februar 1949 gegen die mutmaßlichen Rädelsführer des Bautzener Pogroms vor der 5. Strafkammer des Landgerichts verhandelt. 37 Zeugen wurden gehört, die VVN trat als Nebenkläger auf.

Neun Angeklagte

Von den neun Verfahren wurden zwei eingestellt, die anderen zu teils hohen Strafen verurteilt: Der Klempner Arthur Domschke erhielt sechs Jahre Zuchthaus, der Dachdeckermeister Erich Menzel, der Hilfsarbeiter Walter Bialucha, der ehemalige Gastwirt Fritz Dietrich, der Bauarbeiter Paul Hornuff, der Steinsetzer Erich Huschmann jeweils fünf und der Kaufmann Hans Walther drei Jahre Gefängnis.

Gemäß den Richtlinien des Alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 10, das in der Sowjetischen Besatzungszone als gültiges Recht in Kraft gesetzt worden war, wurden zudem Sühnemaßnahmen verhängt und die Vermögen von Domschke, Menzel, Dietrich und Walther eingezogen.

Zu alledem: Schulz, Hagen: Zuhause in Bautzen … – Leben und Schicksal Bautzener Juden (1871-1945), in: 12. Jahresschrift [Stadtmuseum Bautzen] (2006), S. 7-128, hier: S. 67.

Pogromprozesse (5): Bautzen 1947

Im Dezember 1947 wurde in Bautzen Anklage gegen den Arbeiter Johannes Köckritz und den Schlosser Kurt Saupe wegen Beteiligung am örtlichen Pogrom erhoben. Der Prozess fand vor der 2. Kleinen Strafkammer des Landgerichts statt.

Anklage wegen Pogromverbrechen

Neben anderen nationalsozialistischen Verbrechen wurde den Angeklagten von der Staatsanwaltschaft die aktive Mittäterschaft vorgeworfen.

Der ehemalige SA-Scharfführer Köckritz erhielt als Urteil zwei Jahre Gefängnis. Saupe wurde zu drei Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Dass er als SA-Sanitäter auch politische Gegner versorgt hatte, wirkte sich strafmildernd aus.

Zu alledem: Schulz, Hagen: Zuhause in Bautzen … – Leben und Schicksal Bautzener Juden (1871-1945), in: 12. Jahresschrift [Stadtmuseum Bautzen] (2006), S. 7-128, hier: S. 66 f.

Pogromprozesse (4): Meißen 1949

Zwischen dem 11. und 13. April 1949 verhandelte die Große Strafkammer des Landgerichts Dresden wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen den Metalldreher und ehemaligen SS-Hauptsturmführer Karl Heimann im ‚Hamburger Hof‘ in Meißen.

Kumulation der Verbrechen

Dem 58-jährige Heimann wurden neben seiner Beteiligung an Geschäfts- und Lokalzerstörungen in Meißen und Radeburg während der Novemberpogrome von 1938 weitere politisch motivierte Gewaltdelikte, vor allem aber Verbrechen als Kompanieführer in den Konzentrationslagern Flossenbürg, Gusen und Auschwitz zur Last gelegt.

Zwanzig Jahre Zuchthaus

Auf der Grundlage des Alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 10 und der Kontrollratsdirektive Nr. 38 verurteilte die Kammer den Angeklagten zu zwanzig Jahren Zuchthaus und Sühnemaßnahmen. Zur Verhängung der Todesstrafe kam es nicht, da ihm keine eigenen Morde nachgewiesen werden konnten.

Heimann nahm das Urteil an, das damit rechtskräftig wurde. Als Nebenklägerin trat in der Verhandlung die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) auf.

Die Gastwirtschaft ‚Waldrose‘ in Radeburg-Oberrödern – Nachtrag

Wie bereits früher geschrieben, wurde am 10. November 1938 auch die kleine Gastwirtschaft ‚Waldrose‘ in Radeburg-Oberrödern zerstört.

Hinweise auf die Täter

Hinweise auf die Täter liefert ein Prozessbericht in der ‚Sächsischen Zeitung‘ vom Frühjahr 1949, in dem über die Verhandlung gegen den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Kurt Heilmann in Meißen berichtet wird. Heilmann wurde auch für seine Beteiligung an den Novemberpogromen zur Rechenschaft gezogen und zu insgesamt zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt.

Im Prozessbericht heißt es, dass Heimann an der Zerstörung von Geschäften und Lokalen in Meißen und Radeburg beteiligt gewesen sei. Der gelernte Metalldreher gehörte also offensichtlich zu den Tätern, die die Gastwirtschaft ‚Waldrose‘ zerstörten.

Möglicherweise finden sich in Prozessunterlagen dazu noch weitere Hinweise.

Pogromprozesse (3): Dresden 1947-1949

Pirna

Das Landgericht in Dresden verhängte im Oktober 1947 eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren gegen Johannes B. aus Pirna wegen Pogromtaten und Denunziation. Die Strafe wurde nach Revision noch in eine Zuchthausstrafe umgewandelt.

Neustadt und Königstein

Auch Walter B. aus dem benachbarten Neustadt wurde 1948 unter anderem wegen seiner Beteiligung an Pogromhandlungen zu eineinhalb Jahren Internierung verurteilt. Der Besitzer einer Autoreparaturwerkstadt in Königstein, Max G., erhielt wegen Denunziation und als ‚Pogromgewinnler‘ im gleichen Jahr acht Jahre Zuchthaus.

Verurteilung in Abwesenheit

Der in die westlichen Besatzungszonen übergesiedelte Walter H., der als Herausgeber der ‚Sächsischen Elbzeitung‘ mit zum Pogrom aufgerufen hatte, wurde 1949 mit Vermögensentzug belegt.

Pogromprozesse (2): Leipzig 1946/1947

Nach dem ersten großen Prozess im November 1945 in Leipzig klagte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht im Juli 1946 einen LKW-Fahrer B. an. Diesem wurde die Organisation der Inbrandsetzung der Synagoge in der Gottschedstraße zu Lest gelegt, für die er zwanzig Litern Benzin organisiert habe. B. wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Urteile wegen der Friedhofszerstörung

Wilhelm Kempeni wurde wegen der Plünderung der Synagoge, körperlicher Gewalt gegen den Inspektor des Neuen Jüdischen Friedhofs sowie, zusammen mit dem ehemaligen SA-Mann Hans Straube, der Inbrandsetzung der Friedhofsgebäude zu 15 Jahren verurteilt. Im Mai 1947 erging nochmals Anklage gegen 16 Personen, die nach einer NSDAP-Ortsgruppenversammlung am Morgen des 10. November 1938 durch Neu-Gohlis marschierten, in Wohnungen einbrachen und etwa neunzig als Juden verfolgte Menschen in der Turnhalle einer katholischen Schule einsperrten.

Strafverfolgung von Denunzianten

Zudem kam es 1946 und 1947 zu Prozessen wegen der Denunziation, wegen derer auch Kritiker der Pogromgewalt sich polizeilicher Maßnahmen und Haft ausgesetzt sahen.

Pogromprozesse (1): Leipzig 1945

Zu den Themenfeldern, die im Zusammenhang mit den Pogromereignissen noch weiterer systematischer Forschung bedürfen, zählen die nach Kriegsende gegen Pogromtäter angestrebten und durchgeführten Prozesse.

Erster Prozesse dieser Art in Deutschland

Schon im Herbst 1945 verhandelte das Leipziger Schöffengericht gegen sechs NSDAP-Block- und Zellenleiter, den Betriebsangestellten Heinrici, den Buchbinder Robert Woserau, die Schneider Walter Taubert und Reinhold Steiner, den kaufmännischen Angestellten Rudolf Schreck und den Offsetdrucker Paul Schuster. Den Angeklagten wurde schwerer Landfriedensbruchs zur Last gelegt, weil sie im Bereich ihrer NSDAP-Ortsgruppe Osten-A am 10. November 1938 die Einrichtungen von zwei Geschäften zerstört, auf die Straße geworfen und geplündert hätten.

Der Urteilsspruch

Die Angeklagten versuchten ihre Beteiligung weitestgehend herunterzuspielen; einer berief sich darauf, Befehle ausgeführt zu haben. Schreck, der den Zerstörungstrupp 1938 nach Aussage der Mitangeklagten organisiert habe, leugnete eine Beteiligung. Das Gericht verurteilte Schreck zu sieben, Woserau zu vier, Heinrici, Schuster und Taubert zu je drei Jahre Zuchthaus; Steiner wurde wegen Landfriedensbruchs zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Untersuchungshaft kam wegen fehlender Aussagebereitschaft nicht in Anrechnung.

Der Zeitungsbericht über den Prozess erschien in der ‚Volksstimme‘ (15.11.1945). Der Verfasser hob ausdrücklich hervor, dass es sich dabei um das erste Verfahren dieser Art in ganz Deutschland handle.

Für den Hinweis auf den Prozess und den Artikel in der ‚Volksstimme‘ danke ich Prof. Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut Dresden.

Brennende Synagoge und Kunst (1): Die Synagoge in Chemnitz

Wie schon mehrfach betont, prägt die öffentliche Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 das Bild der brennenden oder zerstörten Synagoge.

Ein Gemälde der brennenden Chemnitzer Synagoge

Auch in die Kunst, hier konkret die Malerei, fanden die brennenden Synagogen Eingang. Nicht selten wurden nach 1990 entstandene Synagogenneubauten, zerstörter Synagogenbau und Ruine kombiniert.

Im neuen Chemnitzer Gemeindezentrum befindet sich ein Gemälde, das die brennende Synagoge am Stephansplatz zeigt. Das von Adolf Diamant, der aus Chemnitz stammte und selbst verfolgt war, gestiftete Bild entstand auf Grundlage einer Fotografie vom Morgen des 10. November 1938. Es zeigt die Flammen vor der düsteren Kulisse des Gebäudes.

Das Bild ist mit „Chemnitz“ und Künstlernamen (Bon…?) signiert.

 

Die Zionskirche in Dresden: Die Ruine für den Synagogenneubau?

Als in Dresden Mitte der 1990er-Jahre die Debatten um den Neubau einer Synagoge liefen, gab es auch den Vorschlag, die Ruine der bei den Luftangriffen zerstörten Zionskirche an der Nürnberger Straße für den Synagogenbau zu nutzen. Um die Kirche hatte es während der Pogrome einen bizarren Namensstreit gegeben.

Ablehnung durch die Jüdische Gemeinde

Ein Artikel in den ‚Dresdner Neuesten Nachrichten‘ vom März 1996 wusste dann allerdings zu berichten, dass die Jüdische Gemeinde Dresden den Vorschlag abgelehnt habe. Als Begründung wurde die Monumentalität der noch erhaltenen Bausubstanz angeführt.

Die Zeit der Standortdiskussionen

Ehe die Entscheidung für einen modernen Neubau am Hasenberg fiel, dem alten Standort der 1938 zerstörten Synagoge, war in dieser Zeit – unter anderem von Adolf Diamant favorisiert – auch ein (verkleinerter) Neubau der alten Sempersynagoge im Gespräch.

Zum Wettbewerb für den Neubau am Hasenberg kann gegenwärtig eine kleine Ausstellung in den Räumen von HATiKVA in der Dresdner Neustadt besichtigt werden.

Denunziationen (1): Der Fall des Leipziger Molkereibetreibers Henze

Gerichts- und Polizeiakten, sofern sie überliefert sind, zeigen, dass es einige Fälle gab, in denen Unmutsäußerungen oder Pogromkritik zu Denunziationen durch Dritte führten.

Ein Molkereibetreiber in Leipzig

In Leipzig zeigte der Kreisbeauftragte des Winterhilfswerks, H. Fischer, den Molkereiinhaber Otto Henze beim Polizeipräsidium Leipzig an. Er warf Henze vor, in einer Nähstube des Winterhilfswerks am 10. November geäußert zu haben, dass „so grosse Unruhe in der Stadt [herrsche], die Menschen […] blutig geschlagen [werden]. Unser Staat ist über Nacht ein Räuberstaat geworden.“

Vernehmung durch die Geheime Staatspolizei

Im Februar 1939 wurde Henze durch die Leipziger Gestapo vernommen. Er betonte dabei, dass er lediglich kritisiert habe, was ihm Dritte berichtet hätten, und zwar, „daß Plünderungen und Diebstähle geschehen seien und sogar Leute in den Schaufenstern gestanden hätten und sich Mäntel angezogen haben. Keinesfalls wollt [sic!] ich dadurch Partei für die Juden ergreifen.“

Zudem versicherte er, treu hinter der nationalsozialistischen Regierung zu stehen.

Einstellung des Verfahrens beim Sondergericht Freiberg

Henzes Fall kam an das Freiberger Sondergericht, das 1933 eigens zur Ahndung von Verbrechen gegen den Staat nach der sogenannten ‚Reichstagsbrandverordnung‘ (Verordnung zum Schutz von Volk und Staat) eingerichtet worden war. Das Gericht stellte das Verfahren allerdings mangels rechtlicher Handhabe ein.

Die entsprechende Sondergerichtsakte ist im Hauptstaatsarchiv in Dresden überliefert.