Category: Bruchstücke 1938|2018

Das Gustloff-Attentat 1936 (3): Pressepropaganda im November 1938

Nach dem Pariser Attentat von 1938 konnte die nationalsozialistische Propaganda nun endlich auch das Gustloff-Attentat in der Schweiz nutzen. Eine Anweisung des Deutschen Nachrichtenbüros vom 7. November 1938 wies ausdrücklich darauf hin, auf den Fall Gustloff Bezug zu nehmen und Verbindungslinien zu behaupten.

Die sächsische Presse

In Sachsen nahmen nicht nur die Redner auf antisemitischen Hetzkundgebungen Bezug auf Gustloff, wie der Dresdner Kreisleiter der NSDAP Hellmuth Walter. Auch in den Zeitungen finden sich Bezugnahmen, wie etwa im ‚Oelsnitzer Volksboten‘ vom 8. November. Dort hieß es nach dem Grynszpan-Attentat unter anderem drohend: „Abgesehen davon, daß dieser Ueberfall Paris zu erkennen gibt, wie gefährlich es ist, wenn es dem Treiben der jüdischen Emigranten geduldig zusieht und keine ernsten Schritte dagegen unternimmt, sehen wir Deutsche in diesem frechen und feigen Ueberfall auf deutschem Boden in Paris einen neuen Fall Gustloff, der die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben muß, und zwar auch für die ausländischen Juden in Deutschland.“

Das Gustloff-Attentat 1936 (2) Joseph Goebbels

Im Gegensatz zu den Anweisungen des Reichsinnenministeriums, Einzelaktionen zu unterbinden, stand Goebbels 1936 auf verlorenem Posten: Angesichts des Gustloff-Attentats regte er bereits damals antisemitische Maßnahmen an, konnte sich damit allerdings nicht durchsetzen.

Goebbels als Initiator der Pogrome von 1938

1938 hingegen hielt Goebbels das Heft des Handels fest in der Hand: Er überzeugte nicht nur Hitler, sondern initiierte mit seiner Rede von der in München versammelten Parteiprominenz die antisemitische Gewalt höchstpersönlich mit.

Das Gustloff-Attentat 1936 (1): Verhütung von ‚Einzelaktionen‘

Am 4. Februar 1936 wurde der Schweizer Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation Wilhelm Gustloff von dem jüdischen Studenten David Frankfurter in seiner Wohnung erschossen (Gustloff-Affäre). Das Attentat wurde nach dem Grynszpan-Attentat in Paris immer wieder als Beleg für eine ‚jüdische Verschwörung‘ gegen das Deutsche Reich herangezogen.

Keine Aktionen 1936

Im Unterschied zu 1938, als nach dem Tod Ernst vom Raths die Pogromgewalt über die als Juden verfolgten Menschen hereinbrach, blieb es 1936 ziemlich ruhig: Das Innenministerium ordnete am Folgetag an, dass Gewaltaktionen zu unterbleiben hätten. So hieß es:

„Unter Bezugnahme auf meinen Erlass zur Verhinderung von Ausschreitungen vom 20.8.1935 ordne ich im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers Rudolf Hess an, dass Einzelaktionen gegen Juden aus Anlass der Ermordung des Leiters der Landesgruppe Schweiz der NSDAP Wilhelm Gustloff in Davos unbedingt zu unterbleiben haben. Ich ersuche gegen etwaige Aktionen vorzugehen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten“ (zit. nach: Pätzold, Kurt (Hg.): Verfolgung Vertreibung Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933 bis 1942, 4. Aufl., Leipzig 1991, S. 125).

Stillhalten angesichts der Olympischen Winterspiele

Das Attentat geschah zur Unzeit: Am 6. Februar 1936 wurden in Garmisch-Patenkirchen die Olympischen Winterspiele eröffnet. Eine antisemitische Reaktion und öffentliche Gewalt hätten das internationale Ansehen Deutschlands in der Welt beschädigt.

Steinernes Gedenken (8): Ein Gedenktafel in Zittau

Auch in Zittau wurde im Erinnerungsjahr 1988, in dem sich die Pogrome zum 50. Mal jährten, die Anbringung einer Gedenktafel durch die örtliche Friedensgruppe initiiert.

Eine Tafel an der Einfahrt zum ehemaligen Synagogengrundstück

Die Tafel, die am 1. September 1989 eingeweiht wurde, befindet sich an der Einfahrt zum ehemaligen Synagogengrundstück in der Lessingstraße. Sie ist heute ein zentraler Ort für die Durchführung der Gedenkzeremonien am 9. November.

Inschrift

Im Hintergrund die-
ses Grundstückes
stand bis zum 9. No-
vember 1938 die Syn-
agoge der Jüdischen
Gemeinde Zittau. Sie
wurde an diesem Tag völlig zerstört.
Wir gedenken aller
jüdischen Menschen,
die Opfer des Faschis-
mus wurden. 1989

Mehr hierzu über die Homepage der Hillerschen Villa in Zittau unter: http://www.hillerschevilla.de/cms/de/363/Geschichte-der-Juden-in-Zittau

Steinernes Gedenken (7): Ein Gedenktafel in Plauen

In Plauen, wo 1938 die nur wenige Jahre alte moderne Synagoge der Pogromgewalt zum Opfer gefallen war, wurde am 6. Mai 1988 eine Gedenktafel am ehemaligen Standort des Gotteshauses enthüllt. Anwesend waren unter anderem Hans Eisen und Detlef Zellner als Vertreter der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig und Siegmund Rotstein, der Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Die Einladung erfolgte durch den Rat der Stadt Plauen.

Reden zur Enthüllung

Bei der Enthüllung sprachen sowohl Rotstein als auch der Plauener Oberbürgermeister Norbert Martin. Nach der Niederlegung von Blumen sprach Detlef Zellner das Kaddischgebet.

Es folgten Kranzniederlegungen auf dem Plauener Jüdischen Friedhof.

Fotografien zu den Gedenkveranstaltungen kamen im Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR in der Septemberausgabe 1988 zum Abdruck (S. 39 f.)

Inschrift der Gedenktafel

IRGP
Hier stand die Synagoge
der Israelitischen
Religionsgemeinde
zu Plauen.
Geweiht am 6.4.1930,
Zerstört in der Nacht
Vom 9. zum 10.11.1938
Durch die Faschisten.

Steinernes Gedenken (6): Gedenktafeln in Leipzig

Neben dem Gedenkensemble an der Gottschedstraße erinnern in Leipzig weitere Gedenktafeln an den historischen Kontext der Novemberpogrome von 1938:

  • Gedenktafel Otto-Schill-Straße/Apels Garten, erinnert an die 1922 geweihte Ez-Chaim-Synagoge;
  • Gedenkstein Parthenstraße, erinnert an die Drangsalierung von als Juden verfolgten Menschen im Parthengraben;
  • Gedenktafel an der ehemaligen Volks- und Höhere Israelitische Schule (Gustav-Adolf-Straße 7, Carlebach-Schule), die während des Pogroms ebenfalls in Brand gesetzt wurde. Der Brand konnte allerdings gelöscht werden. Die von Gerd Nawroth entworfene Tafel wurde 1988 enthüllt;
  • Gedenktafel am ehemaligen Kaufhaus Bamberger & Hertz, Augustusplatz/Ecke Goethestraße, das während des Pogroms ausbrannte.

Literaturhinweis: Braun, Jens (Red.): Stätten des Gedenkens für Verfolgte und Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für antifaschistische Widerstandskämpfer in und um Leipzig, Schkeuditz 2006.

Steinernes Gedenken (5): Leere Stühle in Leipzig

Die Gedenkstele von 1966 erschien nach der Wiedervereinigung vielen der in Leipzig für die Erinnerungsarbeit Verantwortlichen nicht mehr zeitgemäß. Schon 1994 hatte die Leipziger Stadtversammlung beschlossen, einen neuen Gedenkort zu schaffen. Nach Verhandlungen von Stadt und Israelitischer Religionsgemeinde wurde das Areal um die Stele herum ab 1999 umgestaltet.

Leere Stühle

Auf dem nachgezeichneten Grundriss der ehemaligen Synagoge symbolisieren 140 leere Stühle aus Bronze das, was mit dem Pogrom und der Schoa aus Leipzig herausgerissen wurde. Die von einer Mauer mit mehrsprachigen Gedenkworten und Informationen zur Geschichte der ehemaligen Synagoge umrahmte Anlage wurde von Anna Dilengite und Sebastian Helm gestaltet und am 24. Juni 2001 eingeweiht.

Steinernes Gedenken (4): Eine Gedenkstele in Leipzig

In Leipzig wurde bereits am 10. November 1966 ein Gedenkstein am Standort der ehemaligen Synagoge in der Gottschedstraße eingeweiht. Das ‚Nachrichtenblatt‘ der jüdischen Gemeinden in der DDR berichtete, dass das von Hans-Joachim Förster gestaltete Mahnmal an die 14.000 ermordeten jüdischen Bürger Leipzigs erinnere.

Inschrift

Die deutsche Inschrift des Steins lautet:

[Seite 1]
Gedenkt
Hier wurde am
November 1938
die grosse Synagoge
der Israelitischen
Religionsgemeinde
zu Leipzig durch
Brandstiftung
faschistischer
Horden zerstört
Vergesst es nicht

[Seite 2]
In der
Stadt Leipzig
fielen 14000
Bürger
jüdischen
Glaubens dem
faschistischen Terror
zum Opfer

Ergänzt werden die Inschriften durch eine hebräische Inschrift, die ebenfalls auf die 14.000 ermordeten Verfolgten aus Leipzig verweist.

Steinernes Gedenken (3): Eine Gedenkstele in Chemnitz

In Chemnitz wurde am 13. November 1988 im Rahmen der Feierlichkeiten um den 50. Jahrestag der Novemberpogrome am Stephansplatz, dem ehemaligen Standort der Chemnitzer Synagoge, eine Stele des Künstlers Volker Beier eingeweiht. Die Stele, aus Rochlitzer Porphyr, zeigt an ihrer Spitze die einstürzende Synagoge.

Ort der Erinnerung

Die Initiative für die Stele ging von Siegmund Rotstein, dem Vorsitzenden der kleinen Jüdischen Gemeinde in Chemnitz aus.

Neben einer hebräischen Inschrift (Du sollst nicht töten) trägt die Stele den folgenden deutschen Text:

An dieser Stelle
stand die im
Jahr 1899 von
Rabbiner
Dr. Mühlfelder
geweihte
Synagoge
Durch
faschistische
Brandstifter
wurde sie in der
Pogromnacht
am 9. November
1938 in Schutt und
Asche gelegt

Steinernes Gedenken (2): Eine Gedenktafel in Dresden

Neben der Gedenkstele am Hasenberg nimmt in der Dresdner Altstadt noch eine weitere Gedenktafel an der Kreuzkirche direkt Bezug auf die Pogrome, bettet diese aber insgesamt in den Kontext der Schoa ein. Die 1988 geweihte, von dem Grafiker Martin Hänisch entworfene Tafel entstand auf Initiative des christlich-jüdischen Arbeitskreises „Begegnung mit dem Judentum“.

Kirchliches Schuldeingeständnis

Sie steht für die christliche Anerkennung von Schuld und die Scham darüber, dass man die Vertreibung, Deportation und Ermordung von Juden in Dresden zwischen 1933 und 1945 zugelassen hatte. Die Tafel ist zugleich ein Beleg für die neue Intensität des christlich-jüdischen Dialogs und die zivilgesellschaftliche Erinnerungskultur, die sich in den 1980er-Jahren vertieften.

Inschrift

In Scham und Trauer
gedenken Christen
der jüdischen Bürger dieser Stadt
1933 lebten in Dresden 4675 Juden
1945 waren es 70
Wir schwiegen
als ihre Gotteshäuser
verbrannt, als Juden
entrechtet, vertrieben
und ermordet wurden
wir erkannten in ihnen
unsere Brüder und Schwestern nicht
Wir bitten
um Vergebung und Schalom
November 1988