Category: Bruchstücke 1938|2018

Blogprojekte zu den Novemberpogromen (1): 1938 Projekt

Anlässlich des 80. Jahrestags der Pogrome wurden verschiedene Projekte ins Leben gerufen, die einen Einblick in die Zeit des Jahres 1938 bieten sollen.

1938 Projekt. Posts from the Past

Ähnlich dem BRUCH|STÜCKE-Blog mit seinen täglichen Einträgen verfolgt das ‚1938 Projekt. Posts from the Past‘ die Realitäten des Jahres 1938: Das Leo Baeck Institut – New York | Berlin nimmt in Kooperation mit mehreren Projektpartnern das Jahr aus der Sicht der als Juden verfolgten Menschen in den Blick.

Anhand persönlicher Dokumente – von Briefen, amtlichen Schreiben, Fotografien, Tagebucheinträgen und anderem mehr – werden für jeden Tag des Jahres persönliche Erfahrungen mit der zunehmenden Entrechtung und Verfolgung im Deutschen Reich und in Österreich vorgestellt. Sie geben Einblicke in die privaten Lebensumstände und Gefühlslagen  der Verfolgten. Die kleinen Beiträge sind in deutscher und englischer Sprache abrufbar.

Homepage des Onlineprojekts: https://www.lbi.org/1938projekt/de/

Podcast über das Projekt mit Frank Mecklenburg, Director of Research and Chief Archivist of the Leo Baeck Institute, New York: https://www.jewishhistory.fm/why-1938-matters-today-with-frank-mecklenburg/ [Stand: 03.07.2018]

Pogrom im Roman (1): Margrit Hauser

Nicht nur in künstlerischen Werken schlugen sich die Ereignisse der Novemberpogrome nieder, sondern sie fanden mit Bezug auf Sachsen auch in die Literatur Eingang.

Elsa Hinzelmann

Zu dem Autorinnen, die sich der Geschichte der Dresdner Synagoge und der Zerstörung des Gebäudes einhundert Jahre nach der Grundsteinlegung 1938 zuwendete, war Elsa Hinzelmann (1895-1969). Sie war für ihre Kinderbücher bekannt, verfasste unter dem Pseudonym Margrit Hauser aber auch Bücher für Erwachsene.

Hinzelmann wuchs in Dresden auf, kannte also die Stadt und Synagoge. Ab 1936 lebte sie in der Schweiz. Ihr Mehrgenerationenroman ‚Frauenbetplatz Nr. 9‘ gibt einen Einblick in die Geschichte des 1840 geweihten Synagogenbaus in Dresden.

„Der Qualm lag stinkend über den Dächern …“

Der Roman endet mit der Zerstörung der Dresdner Synagoge, deren Ruine von der Romanfigur Bettina Ascher, einer Ururenkelin der Stifterin des Frauenbetplatzes Nr. 9, Helena Wolfsohn, vor ihrer Abreise aus Dresden am 10. November 1938 noch sah. Im Roman heißt es dazu unter anderem:

„Der Qualm lag stinkend über den Dächern und trübte das Morgenlicht, das einen schönen Tag versprach. […].

Für einen Augenblick schwindelte es ihr; aber dann ging sie festen Schrittes und unbewegten Gesichtes dorthin, wo der Qualm seinen Ausgang nahm und eine Menschenmenge stand.

Schwarze, fensterlose Mauern, das Dach eingestürzt – zerstört der Tempel, begraben der Frauenbetplatz Nr. 9 …

Nichts war zu hören als das leise Prasseln und Krachen aus dem Innern der Ruine. Die Menge verharrte in eisigem Schweigen und starrte auf das schwelende Gotteshaus; der ein oder andere der Männer hielt seinen Hut in der Hand.

[…] Der Abschied war endgültig“ (Hauser, Margrit [d. i. Elsa Hinzelmann]: Frauenbetplatz Nr. 9 (1838-1938), Zürich 1967, S. 438).

Die Verharmlosung der Pogrome im Radio 1941

Im März 1941 wurde im Rahmen dreitägiger Feierlichkeiten das nationalsozialistische ‚Institut zur Erforschung der Judenfrage‘ gegründet, das im nationalsozialistischen Sinne einen Beitrag zum beabsichtigten ‚Volkstod der Juden‘ leisten sollte.

Beschönigender Rückblick auf die Pogrome

Zu den Reden, die während der Eröffnung am 28. März 1941 im Frankfurter Römer gehalten und im Radio übertragen wurden, gehörte auch die von August Schirmer, Hauptstellenleiter im Amt Rosenberg und ‚Spezialist‘ in der ‚Juden- und Freimaurerfrage‘.

In seiner Ansprache hob Schirmer hervor, dass Deutschland das erste Land gewesen sei, das für sich die ‚Judenfrage‘ einer Lösung zugeführt habe. Er nahm in seinem fast halbstündigen Vortrag im historischen Rückblick auch Bezug auf die Pogrome vom November 1938. In Bezug auf das Attentat auf vom Rath in Paris und die nachfolgenden Ereignisse hieß es da:

„Das Maß war voll, jetzt schlug das deutsche Volk in seiner Gesamtheit zurück. Empörter Aufschrei eines 80-Millionen-Volkes hat das Judentum jetzt endlich begreifen lassen, daß auch die Geduld des nationalsozialistischen Deutschland nicht unerschöpflich sei. Die Folgen waren unausbleiblich: Die zum Teil wochenlange Inhaftierung eines großen Teils der männlichen Judenschaft in Deutschland, die Geldbuße, die beschleunigte Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben, waren die Antwort auf das Verbrechen in Paris. Zugleich aber lag darin ein letzter, unzweideutiger Hinweis, daß das nationalsozialistische Deutschland seinen Weg zur Wiedergewinnung der vollen Freiheit und zur Durchsetzung seines Anspruchs auf den ihm zustehenden Lebensraum auf dieser Erde mit eiserner Entschlossenheit zu Ende gehen würde, trotz Hetze, Boykott und Mord“ (zit. nach: Roller, Walter: Judenverfolgung und jüdisches Leben unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Bd. 1: Tondokumente und Rundfunksendungen 1930-1946, Potsdam 1996, S. 173).

Gewalt, Todesfälle, Zerstörungen als auch Plünderungen sucht man in der Ansprache vergeblich.

Das Staatsbegräbnis für vom Rath im Radio

Zu den Inhalten, die im Kontext der Novemberpogrome von 1938 von Radiobeiträgen begleitet wurden, zählte auch die Beisetzung des in Paris dem Attentat von Herschel Grynspan zum Opfer gefallenen Ernst vom Rath.

Traueransprachen zur antisemitischen Hetz

Am 17. November 1938, dem Tag der Beisetzung, hielten auch Ernst Wilhelm Bohle, der Chef der NSDAP-Auslandsorganisation, und der deutsche Außenminister Joachim von Ribbentrop Ansprachen, die im Radio übertragen wurden.

Beide Beiträge hoben die angebliche Feindschaft des internationalen Judentums gegen Deutsche hervor: Der Anschlag habe das Deutsche Reich treffen sollen und ihm den Weg in die Zukunft verwehren sollen. Beide, Bohle und Ribbentrop, stellten sich damit in den Dienst der antisemitischen Propagandawelle, die die deutsche Bevölkerung über die verschiedenen Massenmedien zu erreichen suchte.

Auszüge der Ansprachen sind abgedruckt in: Roller, Walter: Judenverfolgung und jüdisches Leben unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Bd. 1: Tondokumente und Rundfunksendungen 1930-1946, Potsdam 1996, S. 118 f.

Die ‚Sühneleistung‘ im Radio

Dass die direkt in der Folge der Pogrome getroffenen Verordnungen gegen die als Juden verfolgten Menschen einem breiten Publikum in den Zeitungen deutlich sichtbar vor Augen standen, ist soweit bekannt.

Judenkontribution im Radio

Auch im Hörfunk war die sogenannten ‚Judenkontribution‘ (Sühneleistung) Thema. In den Nachrichten des Deutschen Rundfunks vom 25. November 1938 gab es entsprechend Informationen zur erlassenen Durchführungsverordnung. Darin wurde auch darauf hingewiesen, dass das die Zwangsabgabe nur von Juden deutscher Staatsangehörigkeit oder Staatenlosen erhoben würde sowie eine Erweiterung der Zahlungspflicht als Option bereits benannt. Auf diese Weise sollte den Verfolgten mehr als eine Milliarde Reichsmark abgepresst werden.

Der Nachrichtensprecher hob im Sinne der antisemitischen Propaganda des Regimes auch hervor, dass die ‚jüdischen Mörder‘ Frankfurter und Grynszpan Teil einer ‚jüdischen Massenverschwörung‘ gegen das Deutsche Reich seien.

Den Nachrichtenbeitrag als Transkript in: Roller, Walter: Judenverfolgung und jüdisches Leben unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, Bd. 1: Tondokumente und Rundfunksendungen 1930-1946, Potsdam 1996, S. 122.

Eine Augenzeugin zum Meißner Pogrom

2008 wurde in Meißen im Rahmen der Friedensdekade an die Ereignisse der Novemberpogrome vor siebzig Jahren erinnert. In der Lokalausgabe der ‚Sächsischen Zeitung‘ erschien am 7. November 2008 ein kleiner Artikel, der auch eine Augenzeugin des Meißner Pogroms zu Wort kommen ließ.

Fensterscheiben eingeworfen

Die 96-jährige Frau Kurtzwig erinnerte sich, dass Besuch, den sie bekommen hätten, gefragt habe, was denn auf dem Markt los sei, wo Fensterscheiben eingeschlagen und laute Musik gespielt würden.

Auch das Schaufenster des Geschäfts von Rosel Cohn [gemeint ist wohl Else Cohn] sei zerstört worden, die eine nette Frau gewesen sei und bei der man gern Nähstoffe eingekauft habe. Diese kam 1942 um.

Die Erinnerungen von Frau Kurtzwig zeigen einmal mehr zweierlei: Einerseits, dass es den Kontakt zu den als Juden verfolgten Nachbarn und Mitbürgern gab; andererseits aber auch, dass die Pogrome in aller Öffentlichkeit stattfanden und Gesprächsthema unter den Zeitgenossen waren.

Die meisten Zeitzeugen, die heute noch über die Gewalt und Zerstörung des November 1938 berichten können, waren damals noch Kinder – und so bleiben oft nur Erinnerungsbruchstücke. Jene, die die Pogrome als Erwachsene erlebten, sind inzwischen verstorben – so mit Sicherheit auch die 2008 schon hochbetagte Frau Kurtzwig.

Widerstand (2): Der Heizer August Scheffler in Weißwasser

Zu den Menschen, die sich schützend vor die als Juden Verfolgten stellten, zählte auch die Familie Scheffler in Weißwasser. Der verwitwete August Scheffler hatte dort 1936 die als Jüdin verfolgte Witwe Margarete Pese und deren Tochter Gerda in sein Haus am Knappenweg aufgenommen. Scheffler und Peses kannten sich aus früherer Zeit: Peses hatten die Familie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise mit Lebensmittel versorgt. Für Scheffler war es deshalb eine Frage der Menschlichkeit, den beiden Frauen zwei Dachkammern als Wohnung zur Verfügung zu stellen.

Den Schlägern entgegengetreten

Die Pogromtäter, die am 10. November 1938 auch Weißwasser mit Gewalt und Zerstörung überzogen, machten vor den beiden Zimmern des Peses nicht Halt. Zunächst jedoch stellte sich Scheffler den Angreifern entgegen und wies darauf hin, dass dies sein Haus sei. Sein couragierter, widerständiger Akt der Menschlichkeit blieb indes ohne Erfolg: Der Zerstörungstrupp demolierte beide Zimmer. Scheffler kam für sechs Wochen ins Stadtgefängnis und wurde erst nach Fürsprache des Vorsitzenden des Marinebundes, dem er angehörte, wieder freigelassen.

Annemarie Scheffler (verh. Krall, 1919-2008), seine Tochter, erinnerte sich 2004: „Oben war alles kurz und klein geschlagen. Die haben gehaust wie die Vandalen“.

Tod in Belzec

Das Schicksal der Peses führte in die Schoa: Beide wurden 1942 ‚nach Osten‘ deportiert und kamen wohl beide – für Gerda Pese ist dies gesichert – im Vernichtungslager Belzec ums Leben.

Zum Nachlesen u. a.: Schröder, Katrin: Familie half verfolgten Jüdinnen während der Nazi-Zeit. Die Weißwasseranerin Annemarie Krall feierte gestern 85.Geburtstag, in: Lausitzer Rundschau [Weißwasser] (07.05.2004), nachzulesen unter: https://www.lr-online.de/lausitz/weisswasser/familie-half-verfolgten-juedinnen-waehrend-der-nazi-zeit_aid-3567819 [27.06.2018].

„… dunkel sieht die Zukunft dieser Gemeinde aus“

Am 21. Juni 1938 beging die Dresdner Jüdische Gemeinde den 100. Jahrestag der Grundsteinlegung für den Bau der Sempersynagoge. Eine Sondernummer des Gemeindeblattes, die auf dem Titelblatt eine Grafik der Synagoge mit dem erst 1935 errichteten Anbau von Bruno Gimpel zeigte, war dem Jubiläum gewidmet.

Dunkelheit

Von großer Feierlaune waren viele der Beiträge indes angesichts der nationalsozialistischen Judenpolitik weit entfernt. Hermann Schocken, der dem Gemeindevorstand angehörte, brachte es in seinen Gedanken zum Ereignis in einem Satz auf den Punkt: „Dunkel war die Zeit vor der Grundsteinlegung und dunkel sieht die Zukunft dieser Gemeinde aus“ (Schocken, Hermann, 1938: Gedanken zum Grundsteinlegungstage, in: Gemeindeblatt der Israelitischen Religionsgemeinde Dresden 13, 12 (15.06.1938), S. 5).

Wenige Wochen nach den Feierlichkeiten brannte die Synagoge in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nach Brandstiftung nieder. Viele, der im 19. Jahrhundert teils mühsam erkämpften Rechte hatten die als Juden verfolgten Menschen bis dahin unter dem nationalsozialistischen Regime bereits wieder verloren.

Antisemitische Karikaturen in sächsischen Tageszeitungen im Kontext der Pogrome (6): Kleine Operationen

Der ‚Freiheitskampf‘ brachte am 27. November 1938 – wie auch einige andere sächsische Zeitungen in diesem Zeitraum – eine weitere Karikatur, die auf die Pogrome Bezug nahm.

Kleine Operationen

Unter dem Titel ‚Kleine Operationen‘ war eine Folge von fünf Bildchen zu sehen, die unter dem Künstlerkürzel ‚Waldo‘ publiziert waren. Bislang verfüge ich über den Künstler noch über keine weiteren Informationen. Sicher ist jedoch, dass er mit seiner Bildfolge antisemitische Klischees bediente.

Die Reaktionen des Auslands

Faktisch nahmen die Zeichnung die Reaktionen des Auslands aufs Korn: Churchill habe sich die Ohren zurücksetzen lassen, um den Mund künftig noch weiter aufreißen zu können; der Vertreter der USA – mit einem Davidstern um den Hals – habe sich die Nasenschleimhäute entfernen lassen, um autoritäre Staaten künftig nicht mehr riechen zu müssen. Die französischen Politiker Léon Blum und Georges Mandel, beide jüdischer Herkunft, hätten sich zur ‚Arisierung‘ ihres Gesichts entschlossen und würden zuletzt immer wieder betonen, Franzosen zu sein. Der Erzbischof von Canterbury, Cosmo Gordon Lang, habe sich seine Tränendrüsen an seinen angeblichen Wasserkopf anschließen lassen, um künftig noch ausgiebiger weinen zu können (in der Hand hält er eine Zeitung mit der Titelseitenaufschrift ‚Entsetzliche Pogrome in Deutschland‘). Im Vatikan hätten sich schließlich einige eine Schädelplatte aus Asbest einsetzen lassen, damit ihnen die ‚brennende Sorge‘ – eine Anspielung auf die gleichnamige Enzyklika Papst Pius XI. von 1937 – nichts anhaben könne.

Die Kritik aus dem Ausland – die allgemeine am Nationalsozialismus ebenso wie die auf die Pogrome bezogene – wurde hier mit dem Mittel der Karikatur gezielt ins Lächerliche gezogen.

Antisemitische Karikaturen in sächsischen Tageszeitungen im Kontext der Pogrome (5): ‚Langsam beginnt es zu dämmern‘

Ausländische antisemitische Karikaturen kamen im Dresdner ‚Freiheitskampf‘ nochmals am 20. November 1938 zum Abdruck.

‚Judas Fratze‘

Unter dem Titel ‚Langsam beginnt es zu dämmern. Judas Fratze von Karikatur-Zeichnern des Auslandes erkannt und entlarvt‘ bringt das Blatt eine ganze Seite mit acht Karikaturen. Zu sehen sind eine ‚jüdische Spinne‘, die den Erdball umklammert sowie weitere ausdrücklich antisemitische Zeichnungen, die die angebliche Ausbeutung und den Missbrauch durch ‚jüdische Geldprotzer‘ zeigen.

Die Karikaturen stammen aus einschlägigen Blättern: Fünf Stück wurden der französischen Zeitschrift ‚Je suis partout‘ entnommen. Je eine Zeichnung stammt aus dem Den Haager ‚Het Vaderland‘, dem Antwerpener ‚Volksverwering‘, dem Organ der gleichnamigen antisemitischen Bewegung, und dem Bukarester ‚Porunka Vremii‘ [Porunca Vremii, Kommando der Zeit].

Auch hier erfolgte die Verwendung der Karikatur als einfaches Mittel zur Vermittlung politischer Inhalte – hier eines vehementen Antisemitismus – im Rahmen der antijüdischen und gleichzeitig die Gewalt rechtfertigenden Kampagne nach den Novemberpogromen.

In der gleichen Ausgabe brachte das Blatt zudem die ebenfalls antisemitische Karikatur ‚Unser Geld!‘ von Walter Hofmann, die auch in der ‚NS-Zeitung für Bautzen‘ erschienen war.