Der 80. Jahrestag des Pogromgedenkens ist auch in Sachsen vielerorts Anlass über neue Elemente der lokalen Gedenktopografien nachzudenken.
Eine Stele in Plauen
Bereits seit Ende 2016 wurde in Plauen eine Gedenkstele diskutiert, die an die als Juden Verfolgten aus Plauen erinnern und im November 2018 eingeweiht werden soll. Vor allem die Frage des Standorts war Thema der öffentlichen und politischen Debatten. Dabei spielten auch Überlegungen eine Rolle, dass eine Gedenkstele im öffentlichen Raum möglicherweise das Ziel rechter Angriffe und von Vandalismus werden könnte. Als Standort ist inzwischen das Landratsamt im ehemaligen Tietz-Warenhaus beschlossen.
Der Künstler
Den Zuschlag für die Gestaltung der Stelle erhielt der ostfriesische Künstler Norbert Marten. Die Stele auch Keramikverbundwerkstoff zeigt den Bau der 1938 zerstörten Plauener Synagoge (s. Freie Presse Plauen vom 03.04.2018). Die Einreichung von Vorschlägen für die Stele war erst Mitte 2018 öffentlich ausgeschrieben worden.
Fritz Arlt, der 1938 eine antisemitisch ausgerichtete Studie zur ‚Volksbiologie‘ der Leipziger Juden veröffentlicht hatte, sah sich Ende der 1980er-Jahre mit seiner Vergangenheit konfrontiert.
Aly gegen Arlt
Götz Aly und Susanne Heim schrieben in ihrer Studie ‚Vordenker der Vernichtung‘ (1991) über Arlts Rolle in der Rassen- und Siedlungspolitik des nationalsozialistischen Regimes.
Während der Pogrome von 1938 war Arlt beim Rassenpolitischen Amt in Breslau tätig. Aly war 1988 an Arlt herangetreten. Anschließend hatte er über Arlts Rolle u. a. anlässlich des 50. Jahrestag der Pogrome im November des Jahres in Leipzig bei einer Veranstaltung des Arbeitskreises ‚Kirche und Judentum‘ über die ‚Biographie eines Unbelehrbaren‘ gesprochen. Ein entsprechender Artikel erschien in der evangelischen Kirchenzeitung ‚Der Sonntag‘.
Arlt gegen Aly
1995 erschien gewissermaßen als Antwort ein Buch Arlts, in dem er seine Tätigkeit rechtfertigte und Aly Falschdarstellung vorwarf (Arlt, Fritz: Polen-, Ukrainer-, Juden-Politik. Im Generalgouvernement für die besetzten Gebiete 1939/40 und in Oberschlesien 1941/43 und im Freiheitskampf der unterdrückten Ostvölker, Lindhorst 1995).
Auch auf seine Rolle während der Pogrome ging Arlt ein: In Breslau habe er angeblich am Morgen nach dem Pogrom zugunsten jüdischer Professoren und des Jüdisch-Theologischen Seminars bei Gauleiter Josef Wagner interveniert (S. 17, 24).
Der Schriftsteller Erich Loest thematisierte die Pogromgewalt in Leipzig in seinem Roman ‚Völkerschlachtdenkmal‘. Darauf habe ich bereits an anderer Stelle hingewiesen. Inzwischen habe ich seine autobiografischen Notizen ‚Der Zorn des Schafes. Aus meinem Tagewerk‘ (Künzelsau/Leipzig 1990) noch einmal in Augenschein genommen. Ich wollte gern wissen, ob der 1926 geborene Loest darin auch auf die Pogromereignisse eingeht oder erklärt, warum das Thema in seinen erfolgreichen Roman Aufnahme fand.
Erich Loest, der Pogrom und die Paulinerkirche
Tatsächlich finden sich zum Gedenkjahr 1988, dem 50. Jahrestag, einige Stellen im Text, die den Bezug zum Thema herstellen, das sich die „[i]In diesem Herbst 1988 […] die Deutschen auf das besannen, was vor fünfzig Jahren den Juden angetan worden war“ (S. 337).
Wichtig war Loest offensichtlich auch der Bezug zwischen Synagogenzerstörung und der Sprengung der Ruine der Paulinerkirche 1968, die er selbst miterlebte. So heißt es im Buch: „In meinem Roman ‚Völkerschlachtdenkmal‘ knüpfe ich Fäden von der Zerstörung der Leipziger Synagoge im November 1938 zur Sprengung der Paulinerkirche dreißig Jahre später. Alfred Linden und sein Vater, der ein SA-Mann war, sind von beiden Schrecknissen betroffen. Dieser Roman trägt wie manches was ich schreibe, über Strecken satirische Züge, natürlich nicht, wo es um die Vernichtung von zwei Gotteshäusern geht“ (S. 373 f.) [Anm.: Alfred Linden ist der Protagonist des Romans].
An anderer Stelle notierte Loest in ‚Der Zorn des Schafes‘ zum Gedenken: „Im November 1988 wurde auch in Leipzig der Verbrechen an den Juden vor fünfzig Jahren gedacht. Einem ökumenischen Gottesdienst in der Nikolaikirche folgte ein Zug mit Kerzen in den Händen hinunter zu der Stelle, an der damals die Synagoge gestanden hat. Ein kleiner Bogen nur, und dieser Zug hätte den Platz berührt, an dem die Paulinerkirche in Trümmer fiel. […] Die Paulinerkirche wird so wenig auferstehen wie die Synagoge“ (S. 376).
Zumindest die Paulinerkirche ist als Neubau heute wiedererstanden. Am Standort der ehemaligen Gemeindesynagoge in der Gottschedstraße befinden sich heute Gedenkstein und Gedenkanlage.
Die auf 16 Teile angelegte Serie wird im Radio auf Bayern 2 ausgestrahlt und soll im Internet dauerhaft verfügbar bleiben. Die einzelnen Teile können mithin auch für die Bildungsarbeit genutzt werden.
NSDAP-Kreisleiter Wettengel über die Leipziger Judenpolitik
Zu dem 2. Teil der Reihe, die im Januar 2013 veröffentlicht wurde, gehörte auch ein Bericht des Leipziger NSDAP-Kreisleiters Ernst Wettengel an die Gauleitung in Sachsen vom 15. März 1938 (Dok. 02-016). Der Bericht ist insofern besonders eindrücklich, als dass er präzise die Ausgrenzung der in der Messestadt als Juden verfolgten Menschen dokumentiert. Wettengel benennt darüber hinaus auch mögliche weitere Schritte der Ausgrenzung, die vor allem die Auswanderung der Verfolgten zum Ziel hatte.
Im November 1938, als die Gewalt gegen die Verfolgten eine neue Eskalationsstufe erreichte, organisierte Wettengel den Leipziger Pogrom.
Im Zuge des 80. Jahrestags wenden sich verschiedene Institutionen der Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung des Jahres 1938 und ihrem Höhepunkt, den Novemberpogromen, zu.
Eine Ausstellung in Berlin
In Berlin widmet sich derzeit eine Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand einem der Grundprobleme, dem sich die als Juden Verfolgten im Deutschen Reich konfrontiert sahen: Vor allem nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs im März 1938 wurde es zunehmend schwieriger, ein Emigrationsland zu finden.
Die Ausstellung ‚Geschlossene Grenzen‘ ist der Konferenz von Évian gewidmet, die vorgeblich zu einer internationalen Lösung der Migrationsproblematik beitragen sollte, im Ergebnis aber letztlich scheiterte: Bei aller Sympathie für die Lage der Verfolgten lehnten die Teilnehmerstaaten eine Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge ab.
Die Ausstellung, die noch bis zum 5. Oktober 2018 in Berlin zu sehen ist, wird von einem Filmprogramm begleitet. Eine wissenschaftliche Tagung beleuchtet im September noch einmal die Konferenz und ihre Bedeutung für die internationale Politik wie die Geschichte der Verfolgten.
Die Frage der internationalen Flüchtlingspolitik hat bis heute nichts an ihrer Brisanz verloren.
Das 100. Jubiläum der Grundsteinlegung der Dresdner Synagoge im Juni 1938 wurde in der Jüdischen Gemeinde groß gefeiert. Eine Sondernummer mit einer Grafik von Bruno Gimpel, die das Gotteshaus zeigte, kam heraus. Die Artikel machten allerdings auch deutlich, unter welchen Zwängen die als Juden Verfolgten im Nationalsozialismus standen.
Eine Grafik von Mendel Goldberg
Aus Anlass des Jahrestages fertigte auch der 1923 geborene Mendel Gabriel Goldberg eine Zeichnung des Synagogenbaus an. Er zeichnete die Grafik mit dem Namen ‚Mendel Goldberg‘. Wie bei Gimpel, so ließ sich darauf auch der erst wenige Monate zuvor eingeweihte Anbau an die Synagoge erkennen.
Das Schicksal Goldbergs
Wie viele andere, so geriet auch Goldberg in die Mühlen der Schoa: Er gehörte zu den Insassen des Dresdner Lagers Hellerberg und wurde Anfang März 1943 nach Auschwitz deportiert. Goldberg starb anscheinend im Januar 1945 im Konzentrationslager Buchenwald. Seine Zeichnung überstand das Kriegsende und gibt Zeugnis von der verschwundenen Dresdner Synagoge.
Wie Butte in Dresden, so verfasste auch der Vorsitzende des Oschatzer Heimatvereins, der Studienrat im Schuldienst und für das Stadtarchiv tätige Arno Ullrich (1887–1962) nach dem Pogrom Zeitungsartikel zur Geschichte der Juden in der Stadt.
Keine Hebräer mehr in Oschatz
Im Januar 1939 erschein ein zweiteiliger, deutlich antisemitisch gehaltener Aufsatz im ‚Oschatzer Gemeinnützigen‘.
Ullrich konnte bereits verkünden, dass man seit Ende 1938 „keinen Hebräer mehr in Oschatz“ habe. Nur noch gelegentlich habe das Standesamt nun mit ‚Juden‘ zu tun, da diese nach den gesetzlichen Bestimmungen ihre Zwangsvornamen ‚Israel‘ und ‚Sara‘ durch Beurkundung in ihren Geburtsorten zu beantragen hätten. Das träfe für Oschatz auf „ein reichliches Dutzend Juden“ zu, die hier geboren seien.
Siehe: Ullrich, Arno: Von den Juden in Oschatz, in: Der Oschatzer Gemeinnützige 139, 2 (03.01.1939), 1. Bl., [5]; Ullrich, Arno: Von den Juden in Oschatz. (Schluß), in: Der Oschatzer Gemeinnützige 139, 4 (05.01.1939), 1. Bl., [5 f.] [antisemitisch].
Im November 1938 war die antisemitische Rechtfertigung der Pogromgewalt breit aufgestellt. Sogar in geschichtswissenschaftlichen Beiträgen wurde die Fremdartigkeit der ‚Juden‘ hervorgehoben. Ausgrenzung und auch die vorangegangenen Pogromereignisse erhielten dadurch eine Legitimation.
Der Archivar und Stadtbibliothekar Heinrich Butte
In Dresden erschien am 19./20. November 1938 ein Artikel mit dem Titel ‚Jüdische Emporkömmlinge‘ im ‚Dresdner Anzeiger‘. Verfasst hatte diesen der Dresdner Archivar und Stadtbibliothekar Heinrich Butte (1886–1963). Er thematisierte den Einfluss der Juden auf die Geschichte der sächsischen Gauhauptstadt, der „die Rassengesetzgebung des Dritten Reiches hier lebensgesetzlich begründete klare Grenzen setzte“ (Butte, Heinrich: Jüdische Emporkömmlinge in Dresden, in: Dresdner Anzeiger, 317 (20.11.1938), S. 6).
Frühere Beiträge zur Geschichte der Juden
Butte hatte schon 1937 einen Beitrag für die ‚Zeitschrift der Nationalsozialistischen Kultur-Gemeinde, Ortsverband Dresden‘ über die Stellung der Juden im 18. und 19. Jahrhundert verfasst. Er betonte dabei die ‚rassische‘ Differenz von Juden und Nichtjuden, wobei der ‚drohenden Überfremdung‘ durch die von Hitler herbeigeführte ‚Erweckung des völkischen Willens und Bewusstseins‘ begegnet werde: „Eine neue Gesetzgebung baut und wirkt sich vor unseren Augen auf, die zum Schutze der Volksart und -zukunft an Stelle jener einst gefallenen veralteten Schranken neue, klare Grenzlinien zieht, auf der Grundlage erbkundlicher Lebensgesetze“ (Butte, Heinrich: Juden in Dresden. Ihre Stellung von den Anfängen bis zur bürgerlichen Gleichstellung im 19. Jahrhundert, in: Nationalsozialistische Kultur-Gemeinde, Ortsverband Dresden (1937), Juli/August, S. 1–13, hier S. 13).
Auch für Meerane ist anzunehmen, dass die Anweisungen zur Pogromgewalt von der Kreisleitung der NSDAP in Glauchau ausging, die unter Führung von Kurt Welcker.
SA-Trupps von außerhalb
Zwar wurden die Täter von dem SA-Obertruppführer Hauschild, dem Stadtoberinspektor Büring und dem NSDAP-Ortsgruppenleiter Koch angeführt. Die etwa dreißig ortsansässigen SA-Männer wurden allerdings durch etwa ebenso viele aus Glauchau verstärkt, dem Sitz der SA-Standarte 183. Dies deutet auf die zentrale Organisation der Gewalt durch die Kreisleitung hin.
Alle zusammen griffen dann die ‚jüdischen‘ Geschäfte an und drangsalierten die Verfolgten.
In den damals zu Preußen gehörenden Gebieten lief die Organisation der Pogrome ähnlich ab, wie im Gau Sachsen. Dies wird deutlich am Beispiel der Ereignisse in Weißwasser.
Von der Kreisleitung angeordnet
Die Anweisung für die Pogromereignisse in der Glasbläserstadt gab hier die Kreisleitung der NSDAP in Rothenburg. Fünf SA-Zerstörungstrupps aus Angehörigen der SA-Stürme 31 und 39 wurden mit der Durchführung beauftragt und setzten sich am frühen Morgen des 10. November nach Weißwasser und ins benachbarte Muskau in Bewegung.
Dort zerstörten sie Wohnungen und Geschäfte der Verfolgten. Die Demolierung der Praxis des Arztes Dr. Altmann – und dies zeigt lokale Besonderheiten und Interpretationsspielräume auf – sei dann auf Wunsch des NSDAP-Ortsgruppenleiters Bertko zerschlagen worden.
Zum Pogrom in Weißwasser siehe: Schubert, Werner: Beiträge zur Geschichte der Juden in Weißwasser. Eine bedeutsame Episode zwischen 1881 und 1945, Weißwasser in der Oberlausitz 2014, bes. S. 218-228.