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Raub und Zerstörung jüdischen Kulturguts (2): Die Unterlagen der Bautzener Jüdischen Gemeinde

Trotz der Aufforderung des Sipo-Chefs Reinhard Heydrich, Unterlagen der jüdischen Gemeinden vor der Zerstörung durch die Pogromtäter zu schützen, gelang dies nicht in allen Fällen.

Das Archiv der Bautzener Jüdischen Gemeinde

Als in der Stadt die Betstube der Jüdischen Gemeinde in der Töpferstraße 35 am 10. November 1938 demoliert wurde, warfen die Täter Einrichtungsgegenstände und Kultobjekte auf die Straße, wo sie verbrannt wurden.

Betroffen war davon wohl auch das Archiv der erst wenige Jahrzehnte alten Jüdischen Gemeinde. Hinweise auf einen anderweitigen Verbleib gibt es bislang jedenfalls nicht.

Raub und Zerstörung jüdischen Kulturguts (1): Das Dresdner Gemeindearchiv und Kultgegenstände

Neben den Demolierungen und Zerstörungen von Synagogen und Einrichtungen der jüdischen Gemeinden ging mit den Pogromen auch der systematische Raub jüdischen Kulturguts einher.

Anweisungen Heydrichs

Bereits in der Nacht zum 10. November 1938 wies Sipo-Chef Reinhard Heydrich in seinem ‚Blitz-Fernschreiben‘ auch an, Archivmaterial der jüdischen Gemeinden zu beschlagnahmen und zur ‚Gegnerbekämpfung‘ an den SD abzugeben.

Im Fernschreiben hieß es unter Punkt 3 wörtlich:

„Sofort nach Eingang dieses Fernschreibens ist in allen Synagogen und Geschäftsräumen der jüdischen Kultusgemeinden das vorhandene Archivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen, damit es nicht im Zuge der Demonstrationen zerstört wird. Es kommt dabei auf das historisch wertvollere Material an, nicht auf neuere Steuerlisten usw. Das Archivmaterial ist an die zuständigen SD-Dienststellen abzugeben.“

Die Beschlagnahme des Dresdner Gemeindearchivs

In Dresden wurde das Archiv der Jüdischen Gemeinde am 10. November 1938 mit einem LKW abtransportiert. Leo Jehuda Schornstein erinnerte sich: „Es war nun gegen Mittag. Um 1.00 Uhr kam ein Polizeilastauto, und die SS- und die Gestapo-Männer luden die Gemeindeakten und Karteien sowie die Kultgegenstände auf und fuhren weg.“

Zuvor musste Schornstein mit anderen Gemeindeangestellten Kultgegenstände aus einem unzerstörten Teil der niedergebrannten Synagoge herausholen und ins Gemeindeamt transportieren. Dabei wurden sie vor der versammelten Menge gedemütigt.

Verbleib unbekannt

Was mit den Unterlagen der Dresdner Jüdischen Gemeinde geschah, ist bislang nicht endgültig zu klären. Entweder wurden die Unterlagen, sofern sie in der Dresdner Gestapo-Zentrale aufbewahrt worden, bei den Luftangriffen im Februar 1945 mit zerstört. Oder sie wurden, sofern sie gegebenenfalls doch nach Berlin weitergegeben und gegen Kriegsende ausgelagert wurden, entweder zerstört oder sind zumindest bis heute verschollen.

Ein Objekt und seine Geschichte (3): Steine der Synagoge als Gartentreppe

Die Firmen, die den Abriss und Abtransport des Bauschutts der zerstörten Synagogen in Chemnitz, Dresden und Leipzig übernahmen, bemühten sich um eine Weiterverwertung noch verwendbarer Baumaterialien.

Verkauf von Steinen der Dresdner Synagoge

Das Dresdner Abbruchunternehmen Mätschke verkaufte so unter anderem Sandsteinblöcke von der Dresdner Synagogenruine, die dann bei anderen Bauvorhaben zur Verwendung kamen.

Einige dieser Steine fanden Eingang in die Treppe eines Privatgrundstücks in einem kleinen Ort bei Dresden. Verkauft wurden sie von Mätschke Ende Dezember 1938 für knapp 40 Reichsmark.

Die späteren Besitzer erfuhren erst 1971 von der Herkunft der Steine und machten die Geschichte 2001 publik, als in Dresden die Neue Synagoge geweiht wurde.

Objekte der Erinnerung

Einige der aufgefundenen Steine befinden sich heute im Vorhof der Neuen Synagoge. Sie sind in den dort aufgebrachten Grundriss der alten Sempersynagoge eingelassen.

Pogrom im Roman (2): Der Reisende

Zu den frühesten literarischen Werken, die die Pogromereignisse in Deutschland verarbeiten, zählt Ulrich Alexander Boschwitzs Roman ‚Der Reisende‘, der zuerst 1939 in England (‚The man who took the trains‘, unter Pseudonym John Grane), 1940 in den USA (‚The Fugitive‘) und erst 2018 in deutscher Sprache erschien. Eine französische Übersetzung erschien 1945 in Frankreich (‚Le fugitif‘, unter Pseudonym John Grane).

Inhalt: Eine Fluchtodyssee

Der Roman schildert mit vielen Details das Leben des Berliner Kaufmanns Otto Silbermann in den Tagen ab dem 10. November 1938. Nach der Zerstörung seiner Wohnung flieht Silbermann mit dem Zug durch das Deutsche Reich. Er trifft andere Verfolgte, glühende Verehrer des Nationalsozialismus, Menschen die sich seines Schicksals annehmen, scheitert mit einem versuchten illegalen Grenzübertritt nach Belgien, wird von seinem ‚arischen‘ Geschäftspartner hintergangen und verliert schließlich auch noch 36.000 Reichsmark, die ihm während seiner letzten Zugfahrt gestohlen werden.

Die unzähligen Bahnfahrten bringen den ‚Reisenden‘ schließlich zu dem Schluss: „Ich bin in die Deutsche Reichsbahn integriert“ (S. 174). Der Roman endet mit der Verhaftung Silbermanns. Andeutungen im Verlauf des Buches lassen erahnen, dass dem Festgenommenen nunmehr die Verschleppung ins Konzentrationslager und körperliche Gewalt drohen.

Die Themen und Szenen des Romans spiegeln auch eine Auseinandersetzung Boschwitzs mit seinen eigenen Lebenserfahrungen wider: Der 1915 geborene Autor floh 1935 zunächst nach Schweden und ging 1939 nach England. 1942 starb er, als ein von der britischen Regierung gechartertes Passagierschiff vor den Azoren von einem deutschen U-Boot versenkt wurde.

Eine Sammlung persönlicher Unterlagen Boschwitz‘ verwahrt das Leo Baeck Institute; das deutsche Typoskript seines Romans liegt in der Deutschen Exilbibliothek der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main.

Der sächsische Bezug: Dresden

Auch, wenn sich der Großteil der Romanhandlung auf andere Orte und insbesondere auch die Zugreisen Silbermanns bezieht, so nimmt das Buch auf Sachsen Bezug: Der Reisende gelangt bei seiner vorletzten Zugfahrt von Berlin nach Dresden, wo er einen Schwächeanfall erleidet und in ein Krankenhaus gebracht wird, aus dem er sich als ‚Jude‘ schnell wieder zu entfernen sucht. Er fährt auf den Weißen Hirsch und lässt den Blick über die Stadt schweifen, um sich schließlich zur Rückkehr in seine Wohnung nach Berlin zu entscheiden. Auf dieser Fahrt wird ihm sein mitgeführtes Geld gestohlen und die Verzweiflung des Verfolgten auf den Höhepunkt gesteigert.

Zum Lesen: Boschwitz, Ulrich Alexander: Der Reisende, Stuttgart 2018.

Für den Hinweis auf das Buch danke ich Benjamin Rosenkranz.

Ein Objekt und seine Geschichte (2): Ein Kleiderbügel aus Meißen

Zu den Objekten, die einen Bezug zur Geschichte der sächsischen Pogrome gestatten, zählen auch Werbeartikel jener Geschäfte, die am 9. und 10. November 1938 angegriffen wurden.

Ein Kleiderbügel aus Meißen

In Meißen war von der Gewalt unter anderem das Geschäft von Alexander Löwenthal betroffen. Die Gesamtschadenssumme belief sich auch fast 12.400 Reichsmark, für die Löwenthal selbst aufkommen musste (vgl. Christl, Andreas; Steinecke, Gerhard: Juden in Meißen. Nossen 2000, S. 25).

Bei einer Haushaltsauflösung im nahe gelegenen Radebeul fand sich vor einigen Monaten ein Kleiderbügel des Meissner Herren- und Knabengarderobegeschäfts, der die Aufschrift „A. Loewenthal, Meissen.“ trägt.

Es sind Objekte wie dieses, die einen Zugang zur Geschichte einer von den Pogromen betroffenen Familie erlauben. Löwenthal und seine Frau Else wurden 1942 von Berlin nach Riga transportiert und wurden dort vermutlich sofort ermordet. Das Schicksal der beiden Kinder Kurt und Käthe ist unbekannt.

 

 

Ein Objekt und seine Geschichte (1): Eine Schere aus Buchenwald

Mit den Pogromereignissen sind nicht nur Augenzeugenberichte und Fotografien verbunden, sondern auch einige Objekte. Zu diesen zählt eine Schere, die sich heute im Besitz von Anneliese Schellenberger in Leipzig befindet.

Dank eines als Juden Verfolgten

Die kleine Schere stammte aus dem Besitz ihres Vaters Alfred Schellenberger, der als Kommunist im Konzentrationslager Buchenwald einsaß. Nach der Erinnerung Anneliese Schellenbergers habe der Vater diese von einem als Juden Verfolgten nach den Pogromen erhalten, dem er im Lager geholfen habe und der sich dafür auf diese Weise bedanken wollte.

Der Name des Schenkers ist indes unbekannt, so dass der Geschichte nicht noch weiter auf den Grund gegangen werden konnte.

Ein Foto und seine Geschichte (16): Passfotos

Nicht nur die Fotografien von den während der Pogrome zerstörten Gebäuden oder den direkten Gewaltexzessen gegen die als Juden verfolgten Menschen sind als Bildquellen für die Geschichte der Ereignisse von besonderem Wert. Auch andere Fotografien erzählen die Geschichte der Pogrome und der darin verwickelten Menschen.

Im Konzentrationslager

Dazu zählen insbesondere die Passfotos jener als Juden verfolgten Männer, die im Zuge der Pogrome in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau verschleppt wurden. Aus hygienischen Gründen, aber auch als Form der Demütigung, wurden ihnen dort die Haare abrasiert. Die Personalfotos für die ab 1939 eingeführten neuen Kennkarten für Juden dokumentieren diesen Sachverhalt: Sie zeigen die Männer oft noch mit kurzgeschorenen Haaren.

Arthur Hiller aus Görlitz

Zu den Verhafteten, die in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt wurden, gehörte auch der Görlitzer Fell- und Häutehändler Arthur Hiller. Er war am 15. November festgenommen wurden und bis zum 28. Dezember in Sachsenhausen inhaftiert. Auch ihm waren die Haare geschoren worden, was nach seiner Freilassung seinen Mitmenschen ganz offensichtlich vor Augen stand. Auf einem Passfoto, das Hiller für seinen Ausmusterungsschein im Sommer 1940 vorlegen musste – Juden galten als dauernd wehrunwürdig – ist er dann bereits wieder mit nachgewachsenen Haaren zu sehen.

Die seelischen Schäden lassen sich auf dergleichen Fotografien indes nur erahnen.

Ein Foto und seine Geschichte (16): Fotografieren als Akt des Widerstands und der Dokumentation

Eine weitere Aufnahme, die die zerstörten Friedhofsgebäude des Neuen Israelitischen Friedhofs in Leipzig zeigt, stammt von dem Hobbyfotografen Fritz (Friedrich) Heinze (1904-1958).

Heinze war Mitglied der KPD. Wegen seiner nebenberuflichen Mitarbeit an der kommunistischen Zeitung ‚Volksecho‘ hatten ihn die Nationalsozialisten von Mitte Juni bis Mitte August 1933 im Konzentrationslager Colditz inhaftiert, dann aber aus Mangel ans Beweisen freigelassen. Im Oktober 1934 wurde Heinze wegen fortgesetzter Arbeit für die KPD und Weiterzahlung der ‚Roten Hilfe‘ erneut festgenommen und zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Er wurde in Leipzig, Bautzen und Grimma inhaftiert und im Februar 1936 entlassen.

Ein Sonntagsausflug

Der Familienüberlieferung zufolge nutzte Heinze einen Sonntagsausflug, um heimlich die zerstörten Friedhofsgebäude zu dokumentieren. Auch von den Anweisungen eines Polizisten, weiterzugehen, ließ er sich nicht abhalten, gleichsam in einem widerständigen Akt sein Foto zu schießen.

Zur Biografie Fritz Heinzes und zum Foto siehe: http://peterthiel.de/fritz_heinze.htm (Stand: 22.05.2018)

Ein Foto und seine Geschichte (15): Der Neue Israelitische Friedhof in Leipzig

Zu den Gemeindeeinrichtungen, die in Leipzig gezielten Angriffen der Pogromtäter ausgesetzt waren und zerstörten wurden, gehörten auch die Gebäude des Neuen Israelitischen Friedhofs an der Delitzscher Straße.

Verschiedene Fotos

Am 10. November wurden die Gebäude in Brand gesetzt. Die nur wenig beschädigte Kuppel der Trauerhalle wurde Anfang 1939 gesprengt (vgl. verschiedene Fotografien).

Gleich mehrere Aufnahmen sind bekannt, die die zerstörten Friedhofsgebäude nach dem 10. November 1938 abbilden. Sie zeigen auch, dass zahlreiche Menschen die Ruinen mit ihren zerstörten Dächern und rußgeschwärzten Fensterhöhlen in Augenschein nahmen.

Mehrere unterschiedliche Aufnahmen der Friedhofsruinen sind im Archiv der Israelitischen Gemeinde zu Leipzig überliefert. Über die Herkunft der Bilder und den Fotografen sind mir keine Hinweise bekannt.

Eine der Aufnahmen, die unter anderem einen PKW vor dem Friedhofsgrundstück zeigt, ist abgedruckt in: Held, Steffen: Jüdische Friedhöfe in Leipzig, Leipzig 1999, [o. S.].

Ein Foto und seine Geschichte (14): Der Pogrom in Wilthen

Zu den erschütterndsten Aufnahmen, die die Demütigung von als Juden verfolgten Menschen in Sachsen zeigen, zählt eine Fotografie aus Wilthen. Die Aufnahme zeigt eine offensichtlich erheiterte Menschenmenge vor dem Gasthaus ‚Goldener Engel‘, das mit Hakenkreuzfahnen geschmückt ist.

Im Leiterwagen durch den Ort

Inmitten der Menschen ist ein Leiterwagen zu sehen, auf dem die Unternehmerin Gertrud Joachimsthal und ihr kriegsversehrter, zu dieser Zeit auf Besuch weilender Bruder Hugo Rosenthal am 10. November 1938 durch Wilthen gezogen und gedemütigt wurden. Die Aufnahme befindet sich heute im Archiv des Stadtmuseums in Bautzen. Der Fotograf ist unbekannt. Es ist durchaus denkbar, dass sich einzelne Personen auf dem Foto heute noch namentlich identifizieren lassen.

Während Joachimsthal und Rosenthal nach vorhergehenden Schlägen ernst, aber mit Würde die Demütigung über sich ergehen lassen müssen, lachen die meisten auf dem Foto abgelichteten Frauen, Männer und Kinder. Die Menschen tragen zum Teil ihre Arbeitskleidung. Die Aufnahme erweckt fast den Eindruck einer Volksfeststimmung; Uniformen sind nicht zu erkennen.

Über die Zerstörung der Fabrik und des Wohnhauses von Gertrud Joachimsthal sowie die gegen die sie und ihren Bruder geübte Gewalt schrieb schon in den 1960er-Jahren Erich Lodni. In seinem Beitrag wurde offensichtlich auch erstmals das Foto abgedruckt. Offen ist, ob noch weitere Aufnahmen der antisemitischen Exzesse in dem kleinen Ort entstanden und die Zeit in privaten Fotoalben überstanden haben.

Siehe: Lodni, Erich: Die Bautzener Kristallnacht 1938. Vor 25 Jahren, am 10. Nov. 1938, erlebte Bautzen die unmenschlichen Judenverfolgungen, in: Bautzener Kulturschau 13 (1963), 11, S. 2–5.