Unter der Überschrift „Abwehraktion gegen das Judentum auch in Werdau“ berichte die Werdauer Zeitung am 11. November 1938 über die lokalen Pogromereignisse:
„Wie überall im ganzen Deutschen Reich, wurde gestern auch in Werdau eine als Antwort auf die feige, jüdische Mordtat in Paris zu wertende Abwehraktion gegen das Judentum durchgeführt. Das jüdische Kaufhaus Ringer wurde in jenen Zustand versetzt, in den Alljuda das ganze deutsche Volk stürzen wollte. Den jüdischen Geschäftsinhabern, die festgenommen und abtransportiert wurden, wurde kein Haar gekrümmt. Naturgemäß nahm eine zahlreiche Menschenmenge an diesem Ereignis als Zuschauer teil. Der Wille, dem Abscheu gegenüber der jüdischen Mordgier Ausdruck zu verleihen, kann vor dem Einzelnen nicht Halt machen. Juda hat es nicht anders gewollt und alle müßen nun für die Taten büßen, die Deutschlands Geduld bis zur Neige erschöpften. In unserem heutigen Leitartikel, den wir allen unseren Lesern der Beachtung empfehlen, wird ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem verbrecherischen Treiben der Juden in Deutschland der Nachkriegszeit gegeben; er zeigt, daß es gegenüber dem Judentum, das als Ganzes gewertet und behandelt werden muß, keinerlei Sentimentalität mehr geben kann“ (Werdauer Zeitung für Stadt und Land 58, 264 (11.11.1938), 1. Bl., S. 5).
Antisemitische Rechtfertigung und Hetze in der Lokalpresse
Im Gegensatz zu anderen lokalen Blättern, offenbarte die Werdauer Zeitung einen deutlich stärkeren antisemitischen Tenor: Die Beschwörung der ‚gerechten Vergeltung‘ für die angeblichen Taten ‚Alljudas‘ durchziehen den Beitrag. Zudem werden die Leser nicht nur auf weitere antisemitische Beiträge in der Zeitung hingewiesen, die den offenen Judenhass und damit auch die Gewalt des Vortrags rechtfertigen sollen. Sie werden indirekt auch davor gewarnt, sich mit den Verfolgten zu solidarisieren und ‚Sentimentalität‘ zu unterlassen.
Die Pogromgewalt in Werdau
Ein zweiter Artikel in der Zeitung nimmt sich im selben Sprachduktus noch einmal der Übergriffe auf den Kaufhausbesitzer Hermann Ringer an:
„Wir in Werdau dürfen uns ja glücklich preisen, nur ein einziges jüdisches Unternehmen in unserer Stadt zu wissen, vor dem die Erregung natürlich nicht halt machen konnte. So drangen gestern in der Mittagsstunde einige Männer in die Wohnung des Inhabers ein, nahmen dort eine regelrechte Durchsuchung vor, wobei die Erregung so groß war, daß Zerstörungen nicht ausbleiben konnten. Der Eingang zum Laden wurde sofort versperrt, und in den Schaufenstern gab es ein wüstes Durcheinander der dort ausgestellt gewesenen Gegenstände. Beschädigungen der Schaufenster erfolgten nicht, es wurde lediglich noch die Firmentafel über den Geschäftsräumen entfernt und die beiden Firmeninhaber, Vater und Sohn, der Schutzhaft zugeführt. Es versteht sich, daß gestern bis in die Nachtstunden sich immer wieder die Verkehrsteilnehmer auf beiden Bürgersteigen vor dem betroffenen Hause stauten und lebhaft ihrem tiefen Abscheu über das gemeine Verbrechen in Paris und ihrer Genugtuung über den an Juda verübten Vergeltungsakt Ausdruck gaben“ (Werdauer Zeitung für Stadt und Land 58, 264 (11.11.1938), S. 2).
Hermann Ringer, der sein Kaufhaus 1900 eingerichtet hatte, wurde während der Pogrome schwer misshandelt. Er starb an den Folgen der Gewalt im Elsass, wohin er anschließend emigriert war.
Mehr zum Hermann Ringer bei: Beier, Hans-Jürgen (Red.): Chronik der Stadt Werdau, Teil II: Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Horb am Neckar 2008, S. 101 f.