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Die internationale Wahrnehmung der Pogromereignisse (2): Der polnische Konsul

Wie sein amerikanischer Kollege wurde auch der Leipziger polnische Generalkonsul Feliks Chiczewski Zeuge der Pogromgewalt in der Messestadt, über die er an die polnische Botschaft am 12. und 17. November 1938 berichtete.

Öffnung des Konsulats

Mehr noch: Chiczewski öffnete, wie schon während der sogenannten ‚Polen-Aktion‘ das Konsulat in der Wächterstraße für die als Juden Verfolgten. Nach eigenen Angaben hätten dabei erneut etwa 1.000 Menschen auf dem Konsulatsgelände Schutz erhalten.

Der Bericht des Augenzeugen

Über die Flucht ins Konsulat berichtete auch Alfred Malecki. Er erinnerte sich später an die Begebenheiten: „Als die Taxe mich ans Konsulat brachte, stand eine Menge von Nazis vor dem Tor, um zu verhüten, dass Menschen dort Schutz suchen. Dank des polnischen Konsuls, der sich wohl beim Polizeipräsidenten beschwerte, kam gerade ein Überfallkommando mit Polizisten, welche die Nazis zur Seite schoben und so mir und anderen, welche auch Schutz suchten, halfen. Das Gebäude des Konsulat und der Garten war überfüllt mit Juden bis gegen 4 Uhr nachmittags, als der Konsul vom Balkon zu uns sprach und uns erklärte, dass er vom Polizeipräsidenten die Versicherung bekam, dass alle polnischen Juden nichts zu befürchten hätten und ruhig nach Hause gehen könnten“ (zit. nach Tomaszewski, Jerzy: Auftakt zur Vernichtung. Die Vertreibung polnischer Juden aus Deutschland im Jahre 1938, Osnabrück 2002, S. 226 f.).

Die internationale Wahrnehmung der Pogromereignisse (1): Der amerikanische Konsul

Auch in Sachsen gab es im Herbst 1938 noch ausländische Vertretungen, so unter anderem in Leipzig und Dresden. Diese beobachteten die nationalsozialistische Politik gleichsam aus nächster Nähe und berichteten regelmäßig an Botschaften und Außenministerien ihrer Länder.

Der amerikanische Konsul in Leipzig

In Leipzig erlebte unter anderen der amerikanische Konsul die Gewaltexzesse des Pogroms im November 1938. David H. Buffum berichtete darüber noch unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse: „Nachdem sie Wohnungen demoliert und den größten Teil des Mobilars auf die Straße geworfen hatten, warfen die unersättlich sadistischen Täter viele der zitternden Bewohner in einen kleinen Bach, der durch den Zoologischen Garten fließt, und forderten die entsetzten Zuschauer auf, sie anzuspeien, mit Lehm zu besudeln und sich über ihre Not lustig zu machen … Das geringste Anzeichen von Mitleid rief auf Seiten der Täter einen regelrechten Zorn hervor.“ (zit. nach Friedländer, Saul, Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Verfolgung, 1998, S. 299).

Buffum nahm nicht nur Bezug auf die Übergriffe auf Wohnungen, sondern auch auf die Demütigung von als Juden verfolgten Menschen am Ufer des kleinen Flüsschens Parthe.

Siehe auch: Strupp, Christoph: Beobachtungen in der Diktatur. Amerikanische Konsulatsberichte aus dem „Dritten Reich“, in: Bajohr, Frank; Strupp, Christoph (Hg.): Fremde Blicke auf das „Dritte Reich“. Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933 – 1945, Göttingen 2011, S. 70–137.

Vom Rath-Gedenken in den NSDAP-Ortsgruppen im Kreis Aue

Dass die Kenntnis vom Ableben vom Raths viele sächsische NSDAP-Kreise offensichtlich bereits am späten Abend des 9. November 1938 erreichten, zeigen die bekannten nationalsozialistischen Zeitungsberichte zum Teil sehr deutlich.

Die NSDAP in Aue gedenkt

So heißt es im ‚Erzgebirgischen Volksfreund‘ am 10. November 1938 etwa:

„Wie überall im Reich fanden gestern abend auch in den Auer Ortsgruppen der Partei und in den Ortsgruppen des gesamten Auer Kreises Gedenkfeiern statt, in denen die Opfer des 9. Novembers [von 1923] geehrt wurden. […] Wohl überall hat man an diesem Abend wie in der Ortsgruppe Aue-Zelle, an deren Feier wir selbst teilnahmen, des jüngsten Blutzeugen für die Idee des jungen Deutschland gedacht. Wie entboten an diesem Tage dem von jüdischer Mörderhand gemeuchelten Gesandtschaftsrat vom Rath unseren Gruß. […].“

Gelegt wurde hier das ideologische Fundament für die auch in Aue folgende Pogromgewalt.

Antijüdischer Protestorganisation in Großenhain

Wie sich die Pogrome nach dem Tod Ernst vom Raths entwickelten, zeigen die organisierten antisemitischen Propagandakundgebungen am 10. November, die sich für mehrere sächsische Orte nachweisen lassen.

Heute Massenkundgebung

Am 10. November 1938 rief so etwa das ‚Großenhainer Tageblatt‘ zu einer Massenkundgebung auf dem Adolf-Hitler-Platz auf. In dem Aufruf heißt es: „Wieder hat ein feiger jüdischer Mord einen Deutschen, den Gesandtschaftsrat I. Klasse, Pg. vom Rath, zum Opfer gefordert. Gegen diese Gemeinheit gilt es nachdrücklich allseitig zu demonstrieren.“

Dass Joseph Goebbels dann ab dem Nachmittag des Tages das Ende der öffentlichen Pogromgewalt anordnete, hatte dann offenbar zur Folge – wie in verschiedenen anderen sächsischen Orten auch –, dass die nicht stattfand. In den Folgeausgaben des ‚Großenhainer Tageblatts‘ finden sich darauf jedenfalls offensichtlich keine Bezüge.

Synagogenruinen als Ziel für Schaulustige

Viele Augenzeugenberichte und autobiografische Schriften, die Bezug auf die Novemberpogrome nehmen, zeigen, dass zahlreiche Menschen aus unterschiedlichen Motiven heraus die zerstörten Synagogen und Geschäfte aufsuchten.

Mit eigenen Augen sehen

Während ein Teil der Menschen die Zerstörungen als neuen Höhepunkt der antisemitischen Judenverfolgung mit eigenen Augen sehen wollten und damit die schlimmsten Befürchtungen für die Zukunft der nationalsozialistischen Politik verbanden, kamen andere aus purer Neugier und Schaulust.

Schaulustige aus der Lößnitz

Der ‚General-Anzeiger für die Lößnitz‘, die Radebeuler Zeitung, wusste am 11. November 1938 so nicht nur von den Dresdner Pogromereignissen zu berichten, sondern vermerkte auch, dass die Ruine der niedergebrannten Synagoge zum Ziel zahlreicher Schaulustiger geworden sei. Unter diesen, so das Blatt weiter, hätten sich auch Menschen aus Radebeul befunden. Und diese wiederum trugen ihre Erlebnisse in ihren Heimatort weiter.

Trauerbeflaggung zur Beisetzung vom Raths in Sachsen

Acht Tage nach seinem Tod wurde der deutsche Diplomat Ernst vom Rath in Düsseldorf im Rahmen eines Staatsakts beigesetzt. Die Tagespresse berichtete auch in Sachsen von der Trauerkundgebung und zeigte verschiedene Fotografien. Der offizielle Anlass für die Pogromgewalt eine Woche zuvor wurde den Menschen also nochmals vor Augen geführt.

Trauerbeflaggung

Reichsinnenminister Wilhelm Frick und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ordneten dafür an, wie es die ‚Zittauer Morgen-Zeitung‘ (63, 268 (16.11.1938), 1. BBl., S. 1) berichtete, dass die „staatlichen und kommunalen Verwaltungen, Anstalten und Betriebe, die sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die öffentlichen Schulen im ganzen Reich […] aus diesem Anlaß am Donnerstag Trauerbeflaggung“ setzten. Auch an die Bevölkerung erging Anweisung, „in gleicher Weise zu klagen.“

Die Schäden der Pogromzerstörungen in Meißen

Nicht nur über die sogenannte ‚Sühneleistung‘ kamen auf die von den Pogromzerstörungen Betroffenen enorme Kosten zu, sondern auch über die ‚Verordnung zur Wiederherstellung des Straßenbildes‘. Da die Versicherungssummen konfisziert wurden, waren die Besitzer zerstörter Geschäfte gezwungen, die Neuverglasungen und Herrichtungen aus eigener Tasche zu zahlen. Hinzu kamen die finanziellen Verluste, die durch die Zerstörung und Plünderung von Warenbeständen als auch das Verbot ‚jüdischer‘ Geschäfte entstanden.

Pogromschäden in Meißen

Konkrete Zahlen zu den Pogromschäden sind für Meißen bekannt: Hier wurden bei Elsa Cohn Scheiben im Gegenwert von fast 650 Reichsmark, bei Löwenthal in Höhe von über 4.300 Reichsmark und bei Sachs von knapp 4.400 Reichsmark zerstört. Die Gesamtschadenssummen für diese Geschäfte lagen indes noch deutlich höher: Bei Cohn bei rund 850 Reichsmark, bei Löwenthal bei knapp 12.400 Reichsmark und bei Sachs bei etwas über 6.200 Reichsmark.

Hierzu: Christl, Andreas; Steinecke, Gerhard: Juden in Meißen. Nossen 2000, S. 25.

Städte ohne Pogrome? (3): Freital

Auch für Freital, für das ebenfalls nur eine verschwindend geringe an Anzahl an Personen angenommen werden kann, die nach 1933 durch die Nationalsozialisten als Juden verfolgt wurden, finden sich bislang keine Hinweise auf Übergriffe im Rahmen der Pogrome. Die Geschichte der Freitaler Juden ist bislang lediglich ansatzweise untersucht.

Die Familien Heilbut und Eckstein

Vor allem zwei Schicksale sind genauer bekannt: Das der Familie des Zeitungsredakteurs Kurt Heilbut (1888-1943), der allerdings nach Verfolgung und ‚Schutzhaft‘ nach Dresden umgezogen war und dann offensichtlich hier nach den Pogromen erneut in Haft kam (dazu: Schmeitzner, Mike; Steinberg, Swen: Kulturpolitik und Gewalterfahrung. Der Sozialdemokrat und Journalist Kurt Heilbut in Freital, in: Dresdner Hefte 34 (2016), 1 (=34), S. 36–44).

Zum anderen sind wir über das Schicksal der Familie von Alois Eckstein besser im Bilde. Eckstein sah sich bereits im März 1938 massiver antisemitischer Übergriffe ausgesetzt, das Geschäft wurde boykottiert, Eckstein wenig später verhaftet und massiv misshandelt (siehe hierzu: Gläser, Arthur: Familie Eckstein – Opfer der „Eichmänner“, in: Sächsische Zeitung [Freital], 109 (08.05.1961), [o. S.]).

In Zusammenhang mit den Pogromen standen die Übergriffe, wie es Adolf Diamant später schlussfolgerte, allerdings nicht. Das Geschäft wurde schon im Juni 1938 als ‚arisiert‘ beworben. Über das Schicksal Ecksteins ist bislang sonst kaum etwas bekannt.

Städte ohne Pogrome? (2): Bischofswerda

Ähnlich wie in Hoyerswerda stellt sich der Befund für Bischofswerda dar. Auch für diese Stadt sind bislang keine Pogromereignisse dokumentiert. Abgesehen davon, dass die Nachrichten über die Gewaltexzesse durch die gesteuerte Zeitungspresse und über den Rundfunk auch hier die Menschen erreicht haben dürften, gibt es einige wenige Hinweise zur Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft. Bekannt ist zumindest, dass die Zahl der vor Ort lebenden Juden sehr klein war.

Forschung steht noch am Anfang

Wie Mathias Hüsni, der sich mit der Geschichte der Verfolgten im Kreis Bischofswerda befasst hat, schon 2008 bemerkte, so steht die Forschung auch heute noch ziemlich am Anfang. Die gilt auch für das konkrete Ereignis der antisemitischen Gewalt im November 1938.

Literaturhinweise:

Hüsni, Mathias: Jüdische Mitbürger in Bischofswerda und Umgebung. Zum derzeitigen Forschungsstand anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnnacht vom 9. November 1938, in: Schiebocker Landstreicher (2008), 3, S. 46.

Schäfer, Heidrun: Nur mit Hilfe der Nachbarn überlebt, in: Sächsische Zeitung (27.01.2001), S. 10.

Städte ohne Pogrome? (1): Hoyerswerda

Hoyerswerda gehörte 1938 zur preußischen Provinz Schlesien. Für die Stadt, heute immerhin die drittgrößte der Oberlausitz, gibt es nur wenige Spuren zur Geschichte des Lebens von Juden und der nationalsozialistischen Judenverfolgung vor Ort.

Pogromgewalt in der Stadt?

Bislang ist kein Beleg dafür zu finden, dass es in Hoyerswerda 1938 zu Pogromgewalt kam. Die ‚Hoyerswerdaer Nachrichten‘ vom November 1938 berichten lediglich über Pogromereignisse in anderen sächsischen Orten, wie der Stadt Görlitz. Auf Übergriffe oder antisemitische Kundgebungen vor Ort wurde nicht eingegangen. Vermutlich war die Zahl der Verfolgten in der Stadt zu klein – im Mai 1936 erfasste eine Zählung lediglich 38 Personen im gesamten Kreis Hoyerswerda.

Hoyerswerda ‚judenrein‘

Im Juni 1939 verkündete das Blatt dann, dass Hoyerswerda ‚judenrein‘ sei, hier also keine als Juden verfolgten Menschen mehr leben würden.

Sicher ist gleichwohl: Allein durch die mediale Verbreitung gelangten die Pogromereignisse – etwa über die Zeitung – auch in Hoyerswerda zu Bekanntheit. Was sich am 9./10. November 1938 oder der Folgezeit genau in der Stadt ereignete, bleibt – sofern zu rekonstruieren – weiteren Untersuchungen vorbehalten.

Nachzulesen bei: Meusel, Günter: Geschichte der Stadt Bernsdorf, Bd. 3: Bernsdorf in der Zeit des Dritten Reiches 1933-1945, Cottbus 2005, S. 167-176.