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Verfolgte schreiben in der Emigration über die Pogrome

Im August 1939 lobte die ‚New York Times‘ einen Aufsatzwettbewerb aus: Augenzeugen sollten berichten, was sie nach dem 30. Januar 1933 im Deutschen Reich erlebt hatten.

263 Manuskripte

Ausgelobt hatten den Wettbewerb Wissenschaftler der Havard University unter der Leitung von Edward Hartshorne. Dieser plante ursprünglich ein Buch unter dem Titel ‚Nazi Madness. November 1938‘, das 1941 erscheinen sollte, allerdings nie die Öffentlichkeit erblickte.

Ausführlich über diese Geschichte berichtet ein aktuell über SPIEGEL ONLINE abrufbarer Artikel, der auch auf die Hintergründe eingeht: http://www.spiegel.de/einestages/emigranten-preisausschreiben-augenzeugen-ueber-novemberpogrome-1938-a-1203921.html

2009 erschien eine Auswahl der von Hartshorne gesammelten Berichte als Edition, herausgegeben von Ute Gerhardt und Thomas Karlauf (Nie mehr zurück in dieses Land. Augenzeugen berichten über die Novemberpogrome 1938).

Die Verteilung der Pogromgewalt in Sachsen (2): Forschungsdichte

Einhergehend mit den Bezügen zwischen Pogromgewalt und Bevölkerungsdichte lässt sich auch eine größere Forschungsdichte in den Regionen des heutigen Sachsen annehmen, in denen bis 1938 viele Menschen lebten, die dann als Juden verfolgt waren.

Lokale Forschungsschwerpunkte

So sind insbesondere die Geschichten jener Städte, in denen jüdische Gemeinden bestanden, relativ gut erforscht. Für einzelne sächsische Regionen, wie das Vogtland, den Chemnitzer Raum oder die Oberlausitz haben sich darüber hinaus einzelne Forscher oder Forschergruppen mit der Geschichte von als Juden verfolgten Menschen intensiv beschäftigt. Dadurch sind auch für kleinere Städte Pogromereignisse bekannt geworden.

Die Verteilung der Pogromgewalt in Sachsen (1): Bevölkerungsdichte

Die Karte zu den Novemberpogromen von 1938 auf dem Gebiet des heutigen Sachsen zeigt eine Konzentration der Gewalt und Verhaftungen auf den südwestsächsischen Raum. Abgesehen von den Orten mit jüdischen Gemeinden ließen sich bislang für Nord- und Ostsachsen deutlich weniger Hinweise zu lokalen Pogromen finden.

Bevölkerungsdichte

Hauptgrund für die räumliche Verteilung dürfte tatsächlich die Bevölkerungsdichte des damaligen Sachsen sein. Die meisten Menschen außerhalb der Großstädte lebten im stark industrialisierten Raum um Chemnitz. In diesen Gebieten ließen sich etwa ab der Gründung des Kaiserreichs auch zahlreiche jüdische oder von Juden abstammende Händler und Kaufleute nieder.

Sofern diese im Herbst 1938 nicht schon in die größeren Städte übergesiedelt oder ins Ausland emigriert waren, traf sie auch in den kleineren Orten die Wucht der Pogrome.

Eine Karte zur Bevölkerungsdichte findet sich unter: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/Lange_diercke_sachsen_freistaat_sachsen_volksdichte.jpg

Konfessions-, Voll-, Halb- und Vierteljuden: Statistische Erhebungen durch das nationalsozialistische Regime

Nach 1933 ist es in vielen Fällen extrem schwer, genaue Zahlen über die in den einzelnen sächsischen Orten lebenden und als Juden verfolgten Menschen zu erhalten. Dies lag einerseits daran, dass durch Migration im Inland – den Wegzug aus den kleineren Orten in die mutmaßlich größere Anonymität der Großstädte – und ins Ausland zu erheblichen Fluktuationen kam. Andererseits muss immer genau beachtete werden, auf welcher Zahlen- und Definitionsgrundlage die ‚Juden‘ erfasst wurden.

Statistische Zahlen von 1937

Der Sicherheitsdienst der SS erstellte 1937 eine Statistik über die im Deutschen Reich als Juden verfolgten Menschen: Nach ihren Schätzungen lebten im Juni 1937 noch 392.000 Konfessionsjuden in Deutschland. Etwa 107.000 seien seit 1933 ausgewandert. Die Gesamtzahl, so die Notiz des Referatsleiters Herbert Hagen, erhöhe sich nach Schätzungen des Direktors des Statistischen Reichsamts um weitere 120.000 ‚Volljuden‘ nichtjüdischen Bekenntnisses sowie etwa 160.000 ‚Halb-‚ und ‚Vierteljuden‘.

Der SD ging im Sommer 1937 also von etwa 672.000 Menschen im Deutschen Reich aus, die vollkommen ausgegrenzt und zur Auswanderung gedrängt werden sollten.

Die Notiz Hagens ist auszugsweise ediert bei: Pätzold, Kurt (Hg.): Verfolgung Vertreibung Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933 bis 1942, 4. Aufl., Leipzig 1991, S. 140 f.

Das Gustloff-Attentat 1936 (3): Pressepropaganda im November 1938

Nach dem Pariser Attentat von 1938 konnte die nationalsozialistische Propaganda nun endlich auch das Gustloff-Attentat in der Schweiz nutzen. Eine Anweisung des Deutschen Nachrichtenbüros vom 7. November 1938 wies ausdrücklich darauf hin, auf den Fall Gustloff Bezug zu nehmen und Verbindungslinien zu behaupten.

Die sächsische Presse

In Sachsen nahmen nicht nur die Redner auf antisemitischen Hetzkundgebungen Bezug auf Gustloff, wie der Dresdner Kreisleiter der NSDAP Hellmuth Walter. Auch in den Zeitungen finden sich Bezugnahmen, wie etwa im ‚Oelsnitzer Volksboten‘ vom 8. November. Dort hieß es nach dem Grynszpan-Attentat unter anderem drohend: „Abgesehen davon, daß dieser Ueberfall Paris zu erkennen gibt, wie gefährlich es ist, wenn es dem Treiben der jüdischen Emigranten geduldig zusieht und keine ernsten Schritte dagegen unternimmt, sehen wir Deutsche in diesem frechen und feigen Ueberfall auf deutschem Boden in Paris einen neuen Fall Gustloff, der die schwersten Folgen für die Juden in Deutschland haben muß, und zwar auch für die ausländischen Juden in Deutschland.“

Das Gustloff-Attentat 1936 (2) Joseph Goebbels

Im Gegensatz zu den Anweisungen des Reichsinnenministeriums, Einzelaktionen zu unterbinden, stand Goebbels 1936 auf verlorenem Posten: Angesichts des Gustloff-Attentats regte er bereits damals antisemitische Maßnahmen an, konnte sich damit allerdings nicht durchsetzen.

Goebbels als Initiator der Pogrome von 1938

1938 hingegen hielt Goebbels das Heft des Handels fest in der Hand: Er überzeugte nicht nur Hitler, sondern initiierte mit seiner Rede von der in München versammelten Parteiprominenz die antisemitische Gewalt höchstpersönlich mit.

Das Gustloff-Attentat 1936 (1): Verhütung von ‚Einzelaktionen‘

Am 4. Februar 1936 wurde der Schweizer Landesgruppenleiter der NSDAP-Auslandsorganisation Wilhelm Gustloff von dem jüdischen Studenten David Frankfurter in seiner Wohnung erschossen (Gustloff-Affäre). Das Attentat wurde nach dem Grynszpan-Attentat in Paris immer wieder als Beleg für eine ‚jüdische Verschwörung‘ gegen das Deutsche Reich herangezogen.

Keine Aktionen 1936

Im Unterschied zu 1938, als nach dem Tod Ernst vom Raths die Pogromgewalt über die als Juden verfolgten Menschen hereinbrach, blieb es 1936 ziemlich ruhig: Das Innenministerium ordnete am Folgetag an, dass Gewaltaktionen zu unterbleiben hätten. So hieß es:

„Unter Bezugnahme auf meinen Erlass zur Verhinderung von Ausschreitungen vom 20.8.1935 ordne ich im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers Rudolf Hess an, dass Einzelaktionen gegen Juden aus Anlass der Ermordung des Leiters der Landesgruppe Schweiz der NSDAP Wilhelm Gustloff in Davos unbedingt zu unterbleiben haben. Ich ersuche gegen etwaige Aktionen vorzugehen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrecht zu erhalten“ (zit. nach: Pätzold, Kurt (Hg.): Verfolgung Vertreibung Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 1933 bis 1942, 4. Aufl., Leipzig 1991, S. 125).

Stillhalten angesichts der Olympischen Winterspiele

Das Attentat geschah zur Unzeit: Am 6. Februar 1936 wurden in Garmisch-Patenkirchen die Olympischen Winterspiele eröffnet. Eine antisemitische Reaktion und öffentliche Gewalt hätten das internationale Ansehen Deutschlands in der Welt beschädigt.

Steinernes Gedenken (8): Ein Gedenktafel in Zittau

Auch in Zittau wurde im Erinnerungsjahr 1988, in dem sich die Pogrome zum 50. Mal jährten, die Anbringung einer Gedenktafel durch die örtliche Friedensgruppe initiiert.

Eine Tafel an der Einfahrt zum ehemaligen Synagogengrundstück

Die Tafel, die am 1. September 1989 eingeweiht wurde, befindet sich an der Einfahrt zum ehemaligen Synagogengrundstück in der Lessingstraße. Sie ist heute ein zentraler Ort für die Durchführung der Gedenkzeremonien am 9. November.

Inschrift

Im Hintergrund die-
ses Grundstückes
stand bis zum 9. No-
vember 1938 die Syn-
agoge der Jüdischen
Gemeinde Zittau. Sie
wurde an diesem Tag völlig zerstört.
Wir gedenken aller
jüdischen Menschen,
die Opfer des Faschis-
mus wurden. 1989

Mehr hierzu über die Homepage der Hillerschen Villa in Zittau unter: http://www.hillerschevilla.de/cms/de/363/Geschichte-der-Juden-in-Zittau

Steinernes Gedenken (7): Ein Gedenktafel in Plauen

In Plauen, wo 1938 die nur wenige Jahre alte moderne Synagoge der Pogromgewalt zum Opfer gefallen war, wurde am 6. Mai 1988 eine Gedenktafel am ehemaligen Standort des Gotteshauses enthüllt. Anwesend waren unter anderem Hans Eisen und Detlef Zellner als Vertreter der Israelitischen Religionsgemeinde Leipzig und Siegmund Rotstein, der Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR. Die Einladung erfolgte durch den Rat der Stadt Plauen.

Reden zur Enthüllung

Bei der Enthüllung sprachen sowohl Rotstein als auch der Plauener Oberbürgermeister Norbert Martin. Nach der Niederlegung von Blumen sprach Detlef Zellner das Kaddischgebet.

Es folgten Kranzniederlegungen auf dem Plauener Jüdischen Friedhof.

Fotografien zu den Gedenkveranstaltungen kamen im Nachrichtenblatt des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR in der Septemberausgabe 1988 zum Abdruck (S. 39 f.)

Inschrift der Gedenktafel

IRGP
Hier stand die Synagoge
der Israelitischen
Religionsgemeinde
zu Plauen.
Geweiht am 6.4.1930,
Zerstört in der Nacht
Vom 9. zum 10.11.1938
Durch die Faschisten.

Steinernes Gedenken (6): Gedenktafeln in Leipzig

Neben dem Gedenkensemble an der Gottschedstraße erinnern in Leipzig weitere Gedenktafeln an den historischen Kontext der Novemberpogrome von 1938:

  • Gedenktafel Otto-Schill-Straße/Apels Garten, erinnert an die 1922 geweihte Ez-Chaim-Synagoge;
  • Gedenkstein Parthenstraße, erinnert an die Drangsalierung von als Juden verfolgten Menschen im Parthengraben;
  • Gedenktafel an der ehemaligen Volks- und Höhere Israelitische Schule (Gustav-Adolf-Straße 7, Carlebach-Schule), die während des Pogroms ebenfalls in Brand gesetzt wurde. Der Brand konnte allerdings gelöscht werden. Die von Gerd Nawroth entworfene Tafel wurde 1988 enthüllt;
  • Gedenktafel am ehemaligen Kaufhaus Bamberger & Hertz, Augustusplatz/Ecke Goethestraße, das während des Pogroms ausbrannte.

Literaturhinweis: Braun, Jens (Red.): Stätten des Gedenkens für Verfolgte und Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und für antifaschistische Widerstandskämpfer in und um Leipzig, Schkeuditz 2006.