Tag Archives: Judenverfolgung

Ein Objekt und seine Geschichte (3): Steine der Synagoge als Gartentreppe

Die Firmen, die den Abriss und Abtransport des Bauschutts der zerstörten Synagogen in Chemnitz, Dresden und Leipzig übernahmen, bemühten sich um eine Weiterverwertung noch verwendbarer Baumaterialien.

Verkauf von Steinen der Dresdner Synagoge

Das Dresdner Abbruchunternehmen Mätschke verkaufte so unter anderem Sandsteinblöcke von der Dresdner Synagogenruine, die dann bei anderen Bauvorhaben zur Verwendung kamen.

Einige dieser Steine fanden Eingang in die Treppe eines Privatgrundstücks in einem kleinen Ort bei Dresden. Verkauft wurden sie von Mätschke Ende Dezember 1938 für knapp 40 Reichsmark.

Die späteren Besitzer erfuhren erst 1971 von der Herkunft der Steine und machten die Geschichte 2001 publik, als in Dresden die Neue Synagoge geweiht wurde.

Objekte der Erinnerung

Einige der aufgefundenen Steine befinden sich heute im Vorhof der Neuen Synagoge. Sie sind in den dort aufgebrachten Grundriss der alten Sempersynagoge eingelassen.

Pogrom im Roman (2): Der Reisende

Zu den frühesten literarischen Werken, die die Pogromereignisse in Deutschland verarbeiten, zählt Ulrich Alexander Boschwitzs Roman ‚Der Reisende‘, der zuerst 1939 in England (‚The man who took the trains‘, unter Pseudonym John Grane), 1940 in den USA (‚The Fugitive‘) und erst 2018 in deutscher Sprache erschien. Eine französische Übersetzung erschien 1945 in Frankreich (‚Le fugitif‘, unter Pseudonym John Grane).

Inhalt: Eine Fluchtodyssee

Der Roman schildert mit vielen Details das Leben des Berliner Kaufmanns Otto Silbermann in den Tagen ab dem 10. November 1938. Nach der Zerstörung seiner Wohnung flieht Silbermann mit dem Zug durch das Deutsche Reich. Er trifft andere Verfolgte, glühende Verehrer des Nationalsozialismus, Menschen die sich seines Schicksals annehmen, scheitert mit einem versuchten illegalen Grenzübertritt nach Belgien, wird von seinem ‚arischen‘ Geschäftspartner hintergangen und verliert schließlich auch noch 36.000 Reichsmark, die ihm während seiner letzten Zugfahrt gestohlen werden.

Die unzähligen Bahnfahrten bringen den ‚Reisenden‘ schließlich zu dem Schluss: „Ich bin in die Deutsche Reichsbahn integriert“ (S. 174). Der Roman endet mit der Verhaftung Silbermanns. Andeutungen im Verlauf des Buches lassen erahnen, dass dem Festgenommenen nunmehr die Verschleppung ins Konzentrationslager und körperliche Gewalt drohen.

Die Themen und Szenen des Romans spiegeln auch eine Auseinandersetzung Boschwitzs mit seinen eigenen Lebenserfahrungen wider: Der 1915 geborene Autor floh 1935 zunächst nach Schweden und ging 1939 nach England. 1942 starb er, als ein von der britischen Regierung gechartertes Passagierschiff vor den Azoren von einem deutschen U-Boot versenkt wurde.

Eine Sammlung persönlicher Unterlagen Boschwitz‘ verwahrt das Leo Baeck Institute; das deutsche Typoskript seines Romans liegt in der Deutschen Exilbibliothek der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main.

Der sächsische Bezug: Dresden

Auch, wenn sich der Großteil der Romanhandlung auf andere Orte und insbesondere auch die Zugreisen Silbermanns bezieht, so nimmt das Buch auf Sachsen Bezug: Der Reisende gelangt bei seiner vorletzten Zugfahrt von Berlin nach Dresden, wo er einen Schwächeanfall erleidet und in ein Krankenhaus gebracht wird, aus dem er sich als ‚Jude‘ schnell wieder zu entfernen sucht. Er fährt auf den Weißen Hirsch und lässt den Blick über die Stadt schweifen, um sich schließlich zur Rückkehr in seine Wohnung nach Berlin zu entscheiden. Auf dieser Fahrt wird ihm sein mitgeführtes Geld gestohlen und die Verzweiflung des Verfolgten auf den Höhepunkt gesteigert.

Zum Lesen: Boschwitz, Ulrich Alexander: Der Reisende, Stuttgart 2018.

Für den Hinweis auf das Buch danke ich Benjamin Rosenkranz.

Ein Objekt und seine Geschichte (2): Ein Kleiderbügel aus Meißen

Zu den Objekten, die einen Bezug zur Geschichte der sächsischen Pogrome gestatten, zählen auch Werbeartikel jener Geschäfte, die am 9. und 10. November 1938 angegriffen wurden.

Ein Kleiderbügel aus Meißen

In Meißen war von der Gewalt unter anderem das Geschäft von Alexander Löwenthal betroffen. Die Gesamtschadenssumme belief sich auch fast 12.400 Reichsmark, für die Löwenthal selbst aufkommen musste (vgl. Christl, Andreas; Steinecke, Gerhard: Juden in Meißen. Nossen 2000, S. 25).

Bei einer Haushaltsauflösung im nahe gelegenen Radebeul fand sich vor einigen Monaten ein Kleiderbügel des Meissner Herren- und Knabengarderobegeschäfts, der die Aufschrift „A. Loewenthal, Meissen.“ trägt.

Es sind Objekte wie dieses, die einen Zugang zur Geschichte einer von den Pogromen betroffenen Familie erlauben. Löwenthal und seine Frau Else wurden 1942 von Berlin nach Riga transportiert und wurden dort vermutlich sofort ermordet. Das Schicksal der beiden Kinder Kurt und Käthe ist unbekannt.

 

 

Ein Objekt und seine Geschichte (1): Eine Schere aus Buchenwald

Mit den Pogromereignissen sind nicht nur Augenzeugenberichte und Fotografien verbunden, sondern auch einige Objekte. Zu diesen zählt eine Schere, die sich heute im Besitz von Anneliese Schellenberger in Leipzig befindet.

Dank eines als Juden Verfolgten

Die kleine Schere stammte aus dem Besitz ihres Vaters Alfred Schellenberger, der als Kommunist im Konzentrationslager Buchenwald einsaß. Nach der Erinnerung Anneliese Schellenbergers habe der Vater diese von einem als Juden Verfolgten nach den Pogromen erhalten, dem er im Lager geholfen habe und der sich dafür auf diese Weise bedanken wollte.

Der Name des Schenkers ist indes unbekannt, so dass der Geschichte nicht noch weiter auf den Grund gegangen werden konnte.

Ein Foto und seine Geschichte (16): Passfotos

Nicht nur die Fotografien von den während der Pogrome zerstörten Gebäuden oder den direkten Gewaltexzessen gegen die als Juden verfolgten Menschen sind als Bildquellen für die Geschichte der Ereignisse von besonderem Wert. Auch andere Fotografien erzählen die Geschichte der Pogrome und der darin verwickelten Menschen.

Im Konzentrationslager

Dazu zählen insbesondere die Passfotos jener als Juden verfolgten Männer, die im Zuge der Pogrome in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau verschleppt wurden. Aus hygienischen Gründen, aber auch als Form der Demütigung, wurden ihnen dort die Haare abrasiert. Die Personalfotos für die ab 1939 eingeführten neuen Kennkarten für Juden dokumentieren diesen Sachverhalt: Sie zeigen die Männer oft noch mit kurzgeschorenen Haaren.

Arthur Hiller aus Görlitz

Zu den Verhafteten, die in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt wurden, gehörte auch der Görlitzer Fell- und Häutehändler Arthur Hiller. Er war am 15. November festgenommen wurden und bis zum 28. Dezember in Sachsenhausen inhaftiert. Auch ihm waren die Haare geschoren worden, was nach seiner Freilassung seinen Mitmenschen ganz offensichtlich vor Augen stand. Auf einem Passfoto, das Hiller für seinen Ausmusterungsschein im Sommer 1940 vorlegen musste – Juden galten als dauernd wehrunwürdig – ist er dann bereits wieder mit nachgewachsenen Haaren zu sehen.

Die seelischen Schäden lassen sich auf dergleichen Fotografien indes nur erahnen.

Ein Foto und seine Geschichte (16): Fotografieren als Akt des Widerstands und der Dokumentation

Eine weitere Aufnahme, die die zerstörten Friedhofsgebäude des Neuen Israelitischen Friedhofs in Leipzig zeigt, stammt von dem Hobbyfotografen Fritz (Friedrich) Heinze (1904-1958).

Heinze war Mitglied der KPD. Wegen seiner nebenberuflichen Mitarbeit an der kommunistischen Zeitung ‚Volksecho‘ hatten ihn die Nationalsozialisten von Mitte Juni bis Mitte August 1933 im Konzentrationslager Colditz inhaftiert, dann aber aus Mangel ans Beweisen freigelassen. Im Oktober 1934 wurde Heinze wegen fortgesetzter Arbeit für die KPD und Weiterzahlung der ‚Roten Hilfe‘ erneut festgenommen und zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Er wurde in Leipzig, Bautzen und Grimma inhaftiert und im Februar 1936 entlassen.

Ein Sonntagsausflug

Der Familienüberlieferung zufolge nutzte Heinze einen Sonntagsausflug, um heimlich die zerstörten Friedhofsgebäude zu dokumentieren. Auch von den Anweisungen eines Polizisten, weiterzugehen, ließ er sich nicht abhalten, gleichsam in einem widerständigen Akt sein Foto zu schießen.

Zur Biografie Fritz Heinzes und zum Foto siehe: http://peterthiel.de/fritz_heinze.htm (Stand: 22.05.2018)

Ein Foto und seine Geschichte (15): Der Neue Israelitische Friedhof in Leipzig

Zu den Gemeindeeinrichtungen, die in Leipzig gezielten Angriffen der Pogromtäter ausgesetzt waren und zerstörten wurden, gehörten auch die Gebäude des Neuen Israelitischen Friedhofs an der Delitzscher Straße.

Verschiedene Fotos

Am 10. November wurden die Gebäude in Brand gesetzt. Die nur wenig beschädigte Kuppel der Trauerhalle wurde Anfang 1939 gesprengt (vgl. verschiedene Fotografien).

Gleich mehrere Aufnahmen sind bekannt, die die zerstörten Friedhofsgebäude nach dem 10. November 1938 abbilden. Sie zeigen auch, dass zahlreiche Menschen die Ruinen mit ihren zerstörten Dächern und rußgeschwärzten Fensterhöhlen in Augenschein nahmen.

Mehrere unterschiedliche Aufnahmen der Friedhofsruinen sind im Archiv der Israelitischen Gemeinde zu Leipzig überliefert. Über die Herkunft der Bilder und den Fotografen sind mir keine Hinweise bekannt.

Eine der Aufnahmen, die unter anderem einen PKW vor dem Friedhofsgrundstück zeigt, ist abgedruckt in: Held, Steffen: Jüdische Friedhöfe in Leipzig, Leipzig 1999, [o. S.].

Ein Foto und seine Geschichte (14): Der Pogrom in Wilthen

Zu den erschütterndsten Aufnahmen, die die Demütigung von als Juden verfolgten Menschen in Sachsen zeigen, zählt eine Fotografie aus Wilthen. Die Aufnahme zeigt eine offensichtlich erheiterte Menschenmenge vor dem Gasthaus ‚Goldener Engel‘, das mit Hakenkreuzfahnen geschmückt ist.

Im Leiterwagen durch den Ort

Inmitten der Menschen ist ein Leiterwagen zu sehen, auf dem die Unternehmerin Gertrud Joachimsthal und ihr kriegsversehrter, zu dieser Zeit auf Besuch weilender Bruder Hugo Rosenthal am 10. November 1938 durch Wilthen gezogen und gedemütigt wurden. Die Aufnahme befindet sich heute im Archiv des Stadtmuseums in Bautzen. Der Fotograf ist unbekannt. Es ist durchaus denkbar, dass sich einzelne Personen auf dem Foto heute noch namentlich identifizieren lassen.

Während Joachimsthal und Rosenthal nach vorhergehenden Schlägen ernst, aber mit Würde die Demütigung über sich ergehen lassen müssen, lachen die meisten auf dem Foto abgelichteten Frauen, Männer und Kinder. Die Menschen tragen zum Teil ihre Arbeitskleidung. Die Aufnahme erweckt fast den Eindruck einer Volksfeststimmung; Uniformen sind nicht zu erkennen.

Über die Zerstörung der Fabrik und des Wohnhauses von Gertrud Joachimsthal sowie die gegen die sie und ihren Bruder geübte Gewalt schrieb schon in den 1960er-Jahren Erich Lodni. In seinem Beitrag wurde offensichtlich auch erstmals das Foto abgedruckt. Offen ist, ob noch weitere Aufnahmen der antisemitischen Exzesse in dem kleinen Ort entstanden und die Zeit in privaten Fotoalben überstanden haben.

Siehe: Lodni, Erich: Die Bautzener Kristallnacht 1938. Vor 25 Jahren, am 10. Nov. 1938, erlebte Bautzen die unmenschlichen Judenverfolgungen, in: Bautzener Kulturschau 13 (1963), 11, S. 2–5.

Évian – eine Flüchtlingskonferenz ohne Ergebnis im Sommer 1938

Nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs im März 1938, die massive antisemitische Exzesse nach sich zogen, verschärfte sich die Fluchtsituation von als Juden verfolgten Menschen in den annektierten Gebieten dramatisch. Auch im Deutschen Reich versuchten unzählige Verfolgte der radikalisierten deutschen Judenpolitik durch Flucht zu entgehen.

Initiative Roosevelts

Zahlreiche westeuropäische Staaten verschärften angesichts der massiven Einwanderungswelle die Einreise: Verfolgte wurden an der Einreise gehindert, die bürokratischen Hürden massiv erhöht.

In dieser Situation lud der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt zu einer internationalen Flüchtlingskonferenz in den französischen Badeort Évian-les-Bains am Genfer See. Vertreten waren die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, Belgien, die Schweiz, Schweden, Norwegen, Dänemark, Irland, Kanada, Australien, Neuseeland sowie nahezu alle mittel- und südamerikanischen Staaten. Polen und Rumänien, die in dieser Zeit selbst eine stark antisemitische Politik vertraten, entsandten Beobachter. Das Deutsche Reich, Italien, Japan, die Sowjetunion, die Tschechoslowakei und Ungarn waren nicht eingeladen.

Ohne echtes Ergebnis

Im Ergebnis sträubten sich die meisten Staaten, ihre Grenzen für als Juden Verfolgte zu öffnen. Vertreter aus osteuropäischen Staaten forderten sogar, dass auch die ‚Judenfrage‘ ihrer Länder durch Auswanderung gelöst werden müsse. Letzlich wurde lediglich ein Intergovernmental Committee on Refugees eingerichtet, das in Absprache mit deutschen Stellen die Emigration von als Juden Verfolgten regulieren sollte, dessen Wirkung aber letztlich von den historischen Ereignissen – den Novemberpogromen und 1939 dann dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs – überholt wurde.

Zum Thema aktuell auch SPIEGEL ONLINE unter: http://www.spiegel.de/einestages/konferenz-von-evian-1938-kein-asyl-fuer-juedische-fluechtlinge-a-1216376.html

 

Pogrom und Bildung (2): Was war wo? Ein Stadtrundgang durch Torgau 1933-1945

Zu den Projekten, die die lokale Geschichte der Zeit des Nationalsozialismus aufbereiten und für die Bildungs- wie Erinnerungsarbeit zur Verfügung stellen, gehört auch ‚Was war wo? Ein Stadtrundgang durch Torgau 1933-1945‘. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit des Dokumentations- und Informationszentrums Torgau und der Mittelschule Nordwest Torgau im Rahmen des Programms ‚LernStadtMuseum‘.

Google-Karte mit der Geschichte des Nationalsozialismus

Auf der Grundlage einer Google-Karte erschließt das Projekt eine Stadttopografie, die für die Zeit des Nationalsozialismus relevante Orte vorstellt. Darunter befinden sich neben Orten der Wehrmachtsjustiz, des Kriegsgeschehens oder der Erinnerung auch fünf Schicksale von als Juden verfolgten Torgauern.

Torgau und die Pogrome

Die kurzen Einträge geben auch Hinweise zum lokalen Pogrom:

Betroffen war davon etwa das in der Breiten Straße 26 (Hermann-Göring-Straße) gelegene Kaufhaus Ahlfeld, das 1938 von Kurt Kroner geleitet und verwüstet wurde. Bei dem Arzt Kurt Behmack am Schlageterplatz wurde zwar nichts zerstört, wohl aber die Patientenkartei beschlagnahmt. Auch das Textilkaufhaus Rosenthal von Max und Gertrud Isaacsohn, die beide evangelisch, aber als Juden aufgrund ihrer Abstammung verfolgt waren, wurde verwüstet. Im Gegensatz zu den anderen Genannten gelang ihnen die Emigration nicht; sie wurden Anfang 1942 nach Riga verschleppt und ermordet.

Ebenfalls demoliert wurde die Zahnarztpraxis von Max Kukurutz in der Breiten Straße 4 (damals Hermann-Göring-Straße). Kukurutz wurde festgenommen und war für sieben Wochen ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Er emigrierte 1939 nach New York; seine Familie konnte ihm erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nachfolgen.