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Der Abriss der Pogromruinen (1): Die Anordnung des sächsischen Innenministeriums

Durch Verfügung des sächsischen Innenministeriums wurde am 11. November 1938 der Abriss der Ruinen von Synagogen und Gebäuden der jüdischen Gemeinden in Sachsen angeordnet.

Anweisung des Innenministeriums

Regierungsdirektor Martin Hammitzsch forderte die Oberbürgermeister von Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Plauen und Zittau sowie den Ersten Bürgermeister von Annaberg telefonisch auf, die in Brand geratenen Synagogen als Gefahr für die öffentliche Sicherheit und da sie unmittelbar ihre Umgebung verschandeln würden, zu beseitigen. Die Eigentümer, also die jüdischen Gemeinden, seien zu veranlassen, spätestens am 12. November mit dem Abriss zu beginnen und diesen bis zum 15. November 1938 abzuschließen. Sollten die jüdischen Gemeinden nicht fristgemäß mit dem Abbruch beginnen, so die Anweisung, sollten die Baupolizeibehörden auf deren Kosten alles Notwendige veranlassen.

Abbrucharbeiten bereits begonnen

Tatsächlich hatten in den meisten Städten die Abbrucharbeiten zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen – auch aus Gründen der Bausicherheit, wie in Leipzig. Da viele Entscheidungsträger in Haft oder im Konzentrationslager einsaßen, setzten die städtischen Behörden, wie im Falle Dresdens, Zwangsverwalter ein, die alle nötigen Schritte veranlassten.

Beteiligung von Technischer Nothilfe oder anderen Organisationen

Das von Hammitzsch gezeichnete Schreiben vom 11. November befugte die städtischen Behörden auch dazu, die Technische Nothilfe oder andere geeignete Organisationen in den Abbruch einzubinden. Offensichtlich war also Eile geboten, um die sichtbaren Zeugnisse der Pogromgewalt schnellstmöglich zu beseitigen.

Der Erfolg der Abbrucharbeiten sollten dem Innenministerium dann bis zum 17. November 1938 gemeldet werden.

9. November 1938 – 13. /14. Februar 1945 (5): Gottes Strafe

Zu den Menschen, die Bezüge zwischen der Pogromgewalt und den Luftangriffe des 13./14. Februar 1945 auf Dresden schriftlich festhielten, gehörte auch Karl Josef Friedrich (1888-1965). Friedrich, der in Seifersdorf und Schönborn bei Radeberg als evangelischer Pfarrer arbeitete, notierte:

„Und nach fast 100 Jahren, am grausigen 9. November 1938, war die Synagoge mit allen anderen Synagogen Deutschlands nachts angezündet worden, und die Feuerwehr stand dabei und sah zu. Damals sagten fromme Leute: Das kann dem Hitler nicht gut ausgehen, wenn der schon anfängt Gotteshäuser anzuzünden, dann kriegt er’s mit Gott dem Herrn zu tun, und die Juden sind und bleiben einmal ein altes adliges Volk und sind das Volk unseres Heilands. Und diese Frommen behielten recht.“ (Friedrich, Karl Josef: Die Dresdner Fastnacht. Ein Erlebnisbericht vom 13. Februar 1945, Radebeul 2004, S. 90).

Mit der Deutung der Luftangriffe als göttliche Strafe für den Brand der Synagoge, eines Gotteshauses, war Friedrich nicht allein.

 

Pogrom und nationalsozialistische Presselenkung (13): Von ‚Gynszpan‘ zu ‚Grünspan‘

Einen Beleg für die Steuerung der Tagespresse auch in Sachsen zeigt sich in der Schreibweise des Namens des Pariser Attentäters Herszel Grynszpan.

Von ‚Grynszpan‘ zu ‚Grünspan‘

Der ‚Dresdner Anzeiger‘ vom 7. November berichtete noch, dass sich der Attentäter „echt polnisch“ Herschel Seibel (Feibel) Grynszpan nenne. Allerdings, so das Blatt, könne er dadurch seine ‚Rassezugehörigkeit‘ nicht verleugnen. Am Folgetag schwenkte das Blatt auf die Schreibweise ‚Grünspan‘ um, die vermeintlich stärker den jüdischen Hintergrund des Attentats hervorhebt.

Diese Schreibweise setzte sich dann bis zum 10./11. November allgemein in den sächsischen und überhaupt den deutschen Zeitungen durch. Die Grundlage dafür bildete eine Presseanweisung vom 9. November. In dieser hieß es: „Der Moerder Gruenspan solle in deutschen Zeitungen nicht mit ‚y‘ geschrieben werden“ (Peter, Karen (Bearb.): NS-Presseanweisungen der Vorkriegszeit. Edition und Dokumentation, Bd. 6/III: 1938, München 1999, S. 1057).

Und so wurde in allen weiteren Artikel fortan nur noch vom ‚Juden Grünspan‘ gesprochen.

Pogrom und Popkultur (2): Kristallnaach

Zu den bekanntesten Songs zum Thema der Novemberpogrome gehört ‚Kristallnaach‘, das die Kölner Band BAP 1982 veröffentlichte.

Kristallnaach

‚Kristallnaach‘, das im Kölner Dialekt von Wolfgang Niedecken verfasst wurde, war ein Versuch der Band, sich mit der Frage des Neofaschismus in Europa auseinanderzusetzen. Das Erstarken rechter Kräfte und restaurativer Bestrebungen, die Auseinandersetzungen in der deutschen Vergangenheitsbewältigung führten dazu, dass in dem Stück bewusst die Novemberpogrome zum Thema gemacht wurden.

Hochdeutsche Sprache

2017 erfolgte die Aufnahme einer hochdeutschen Version des Liedes, mit der Niedecken das Projekt Demotapes unterstützte.

Pogrom und Popkultur (1): Be Deutsch!

Nicht nur in der Malerei und im Film, sondern auch in die Musik fand und findet das Thema der Novemberpogrome von 1938 Eingang. In der Regel verbinden sich damit konkrete politische Statements von Musikern und Produzenten angesichts aktueller Entwicklungen, die den Vergleich zum Herbst 1938 andeuten oder ziehen

Jan Böhmermann – Be Deutsch!

Ein aktuelles Beispiel ist das Musikvideo des durch seine Schmähkritik auf den türkischen Präsidenten bekannten Satirikers Jan Böhmermann. Unter dem Titel ‚Be Deutsch!‘ nahm das im Stil der Band Rammstein und in englischer Sprache verfasste Stück auf satirische Weise deutsche Tugenden in den Blick. Böhmermann bekräftigte die Fähigkeit zur Bewältigung der im März 2016, als der Song erschien, noch aktuellen Flüchtlingskrise und Fremdenfeindlichkeit.

Gleich am Anfang des Musikvideos wird der Bezug zum 9. November 1938 hergestellt. Die klar abgrenzenden Bezüge zu Nationalismus und Nationalsozialismus sind an mehreren Stellen ebenfalls hervorgehoben.

 

Pogromfolgen (1): Haftpsychose

Kurt Sabatzky, der als Syndikus des Jüdischen Centralvereins arbeitete, erlebte die Pogrome auf Dienstreise in Dresden. Hier wurde er am Morgen des 10. November 1938 verhaftet. Am Folgetag kamen er und weitere Gefangene aus dem Polizeigefängnis zunächst zur Gestapostelle. Schließlich erfolgte ihr Abtransport per Bahn ins Konzentrationslager Buchenwald.

In der Haft

In seinem späteren Bericht über seine Erlebnisse am 10./11. November 1938 schilderte Sabatzky auch einen Gefangenen im Polizeigefängnis. Dieser, etwa 60-jährige Mann habe eine Haftpsychose erlitten: Er habe geschrien und getobt. Am nächsten Tag sei er freigelassen worden.

Solche und ähnliche Fälle sind auch für die Konzentrationslager dokumentiert. Sie zeigen, welch enormer psychischer Stress auf den Verfolgten lastete.

Nachbarn als Täter (1): Ein Hausmeister in Leipzig

Wie nahe die Täter der Pogrome nicht selten wohnten, auch in den größere Anonymität versprechenden Großstädten, zeigt ein Fall in Leipzig.

‚Judenschweine!‘

Sascha Hammerstein, der auf dem Ranstädter Steinweg 49 wohnte, berichtete Jahre später von seiner Festnahme. Dabei habe sich besonders der Hausmeister des Grundstücks, K. Siegel, hervorgetan. Dieser habe sie nicht nur beschimpft, sondern ihnen auch den Wohnungsschlüssel weggenommen habe.

Sie seien in Richtung Parthe geführt worden, allerdings – so zumindest die Erinnerungen Hammersteins – durch den polnischen Konsul zunächst gerettet worden (Lange, Bernd-Lutz: Davidstern und Weihnachtsbaum. Erinnerungen von Überlebenden, Leipzig 1992, S. 157).

Protest (1): Die Angestellten der Leipziger Stadtreinigung

Im Zuge des Leipziger Pogroms forderte der Direktor der Leipziger Stadtreinigung seine Angestellten dazu auf, das jüdische Eitingon-Krankenhaus zu demolieren. Diese verweigerten jedoch das Ansinnen.

Das Krankenhaus war 1928 aus Mitteln der Chaim Eitingon-Stiftung errichtet worden. Die ebenfalls von Eitingon gestiftete Ez Chaim-Synagoge in der Otto-Schill-Straße brannte dagegen während des Pogroms gänzlich nieder.

Das Eitingon-Krankenhaus wurde dann am 15. Dezember 1939 auf Anweisung des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann von jüdischen Kranken geräumt.

Lastkraftwagen der Stadtreinigung

Gleichwohl blieb die Stadtreinigung an der Leipziger Pogromgewalt nicht gänzlich unbeteiligt: Es waren Lastkraftwagen aus ihrem Fuhrpark, mit denen mindestens die Mitgliederkartei und der Schriftverkehr aus den Büros des ‚Central-Vereins‘ in das Gebäude des SD-Oberabschnitts verbracht wurden.

Die Synagoge brennt: Eine Schulklasse in Chemnitz nach den Erinnerungen von Hans Reichmann

Hans Reichmann (1900-1964), Jurist und Rechtsanwalt, seit 1927 für Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in Berlin aktiv, gehörte zu den im Zuge der Novemberpogrome Verhafteten.

Nach Sachsenhausen

Ausführlich schilderte Reichmann seine Situation und den Aufenthalt im Lager in seinen Erinnerungen, die 1998 im Druck erschienen (Reichmann, Hans, Deutscher Bürger und verfolgter Jude. Novemberpogrom und KZ Sachsenhausen 1937 bis 1939, München 1998). Nach seiner Inhaftierung kam er in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach seiner Entlassung am 28. Dezember 1938 verließen er und seine Frau Eva Reichmann schließlich im April 1939 das Deutsche Reich.

Schülergesang vor der Chemnitzer Synagoge

In seinen Erinnerungen nimmt Reichmann auch auf die Chemnitzer Pogromgewalt Bezug. Demnach hätten sich dort Schulkinder vor die brennende Synagoge gestellt und gesungen: ‚Die Synagoge brennt, die Synagoge brennt‘ (S. 248). Bislang konnte ich dieses Geschehen noch nicht durch anderen Quellen oder Berichte bestätigen. Gleichwohl, das zeigen auch die Pogrome in anderen sächsischen Orten, wurden viele Schüler teils sogar zwangsweise Zeugen der Ereignisse – oder nahmen aktiv daran teil.

Ein zerstörter Bücherschrank in Leipzig: Die Erinnerungen von Heinz Zaspel (2)

Heinz Zaspel in Leipzig erinnerte sich auch daran, dass sein Vater einem als Juden Verfolgten einen Schreibtisch und einen kaputten Bücherschrank, bei dem die Glasscheiben zerstört gewesen seien, zum Kauf angeboten habe. Dieser wollte mit dem Geld wohl emigrieren.

Tatsächlich, so Zaspels Erinnerungen, habe der Vater beide Möbelstücke gekauft – aus der Sicht der Darstellung des Sohnes also einem verfolgten Menschen geholfen.

Hilfe für die Verfolgten: Reparaturen

Tatsächlich gibt es mehrere Berichte für die von den Pogromen heimgesuchten sächsischen Orte, nach denen Nachbarn und Handwerker den von den Zerstörungen Betroffenen halfen, Wohnungen und Geschäfte zu sichern und auch Möbel wiederherzurichten, so etwa in Weißwasser. Sie taten dies nicht ohne Gefahr, wurden so zum Teil etwa von öffentlichen Aufträgen aufgrund ihrer ‚Hilfe für Juden‘ ausgeschlossen (zu Weißwasser siehe: Schubert, Werner: Beiträge zur Geschichte der Juden in Weißwasser. Eine bedeutsame Episode zwischen 1881 und 1945, Weißwasser in der Oberlausitz 2014, S. 118, 220).