Category: Bruchstücke 1938|2018

Reste einer Thorarolle in Görlitz

Das Nachrichtenblatt der Jüdischen Gemeinde von Groß-Berlin und des Verbandes der Jüdischen Gemeinden in der DDR berichtet im September 1964 von einem besonderen Vorgang: Das Görlitzer Ratsarchiv hatte der Jüdischen Gemeinde in Dresden eine Pergamentrolle zugesendet, die den Rest einer Thorarolle darstellten.

Material für die Schuhproduktion

An das Archiv abgegeben hatte das Material Artur Walter, der laut Görlitzer Adressbuch von 1949/1950 als Schuhmachermeister am Brautwiesenplatz arbeitete. Walter hatte das Pergament anscheinend nach den Pogromereignissen erhalten, um damit Schaftstiefel zu füttern.

Weitere Forschungen erforderlich

Ob die Thorareste tatsächlich im Zuge der Pogrome entwendet wurden und woher sie genau stammten, muss an dieser Stelle offen bleiben. Auch ist mir bislang nicht bekannt, ob die Überreste beigesetzt wurden oder was sonst mit ihnen geschah.

Die ‚Sühneleistung‘ und die in Görlitz als Juden Verfolgten

Die am 12. November 1938 verabschiedete Verordnung über eine ‚Sühneleistung der Juden deutscher Staatszugehörigkeit‘, mit der der deutsche Staat den als Juden Verfolgten eine Sonderabgabe in Höhe von mindestens einer Milliarde Reichsmark auferlegte, traf in erster Linie jene Menschen, die Vermögen über 5.000 Reichsmark besaßen.

Rückgriff der Verfolgungsbehörden auf frühere Verordnungen

Die Grundlage für die Erhebung der sogenannten Judenvermögensabgabe bildete die im Frühjahr 1938 erlassen Verordnung über die Anmeldung von Vermögen der Juden über 5.000 Reichsmark. Die Durchführungsverordnung zur ‚Sühneleistung‘ vom 21. November 1938 ordnete konkret an, dass als Juden Verfolgte, die zur Anmeldung ihrer Vermögen verpflichtet waren, zwanzig Prozent davon bis zum 15. August 1939 in vier Raten abzuzahlen hatten. In ‚Mischehen‘ war nur der nichtarische Ehepartner zur Abgabe verpflichtet. Zur Zahlung waren auch staatenlose Juden verpflichtet.

Verschärfung 1939: Die zweite Durchführungsverordnung

Mit der Zweiten Durchführungsverordnung über die Sühneleistung der Juden vom 19. Oktober 1939 wurde die Höhe der Abgabe von zwanzig auf fünfundzwanzig Prozent erhöht, um so die Summe von einer Milliarde Reichsmark zu erreichen. Insgesamt wurden die Verfolgten dadurch um mehr als 1,1 Milliarden Reichsmark geschröpft – Gelder, die der deutsche Staat für den inzwischen ausgelösten Krieg benötigte.

Der konkrete Fall: Görlitz

Was dies für die Verfolgten an den einzelnen Orten bedeutete, zeigen Zahlen aus Görlitz: Hier betrug der Anteil an der ‚Sühneleistung‘ 515.600 Reichsmark. Gezahlt werden musste dieser Betrag von jenen 38 Haushalten, die ihr Vermögen mit über 5.000 Reichsmark angemeldet hatten (vgl. Otto, Roland: Die Görlitzer Juden unter der NS-Diktatur 1933-1945, in: Bauer, Markus; Hoche, Siegfried (Hg.): Die Juden von Görlitz. Beiträge zur jüdischen Geschichte der Stadt Görlitz, Görlitz 2013, S. 123–152, hier: S. 142).

Aktuelle Projekte zu den Pogromereignissen (1): Schüler fotografieren

Natürlich gibt es angesichts des nahenden 80. Jahrestags der Novemberpogrome verschiedene Initiativen und Projekte, die sich mit dem historischen Ereignis auseinandersetzen.

Erinnerung sichtbar machen

Zu den speziell an Schulen und Schüler gerichteten Wettbewerben gehört ‚Erinnerung sichtbar machen: 80 Jahre Reichspogromnacht 2018‘. Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des Ehrenpräsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Dr. Johannes Gerster. Es wird von der Zentrale für Unterrichtsmedien e.V. ausgerichtet.

Dabei sollen „Schulklassen, Kurse, Schülergruppen oder einzelne Schüler/innen […] altes Bildmaterial zu Synagogen oder dem ehemaligen jüdischen Leben in ihrer Stadt [recherchieren] und publizieren diese mit den Ortskoordinaten in einer speziellen Datenbank […], die den historischen Vergleich mit der heutigen Situation aus identischem Blickwinkel ermöglicht. Mit Hilfe der GPS-Koordinaten und mit Hilfe der augmented reality Technik auf dem Smartphone oder Tablet soll damit Geschichte vor Ort sichtbar und real erlebbar gemacht werden.“ Aber auch Videos, Hintergrundrecherchen und weitere Informationen sollen im Rahmen des Projekts zusammengetragen werden.

Die Inhalte sollen dann über das Internet weltweit verfügbar sein. Bereits jetzt existieren eine Facebook-Seite sowie ein Youtube-Video, das auch zeigt, wie unterschiedlich der Wissensstand in der Bevölkerung zum Thema ist.

Bislang nehmen nur wenige Schulen und Initiativen an dem Projekt teil. Eine sächsische Schule befindet sich nicht darunter.

Ausführlich zum Projekt berichtet auch ein Spiegel Online-Artikel vom 21. Februar 2018.

„Reichskristallnacht“ – noch zweimal zum Begriff (2)

Interessant ist mit Blick auf die Verwendung des Begriffs ‚Reichskristallnacht‘ auch, dass ihn manche Historiker den Begriffen des ‚Novemberpogroms‘ oder der ‚Pogromnacht‘ vorziehen, wenn er dann auch meist in Anführungszeichen genutzt wird (so etwa Kellerhoff, Sven Felix: „Kristallnacht“. Das Novemberpogrom 1938 und die Verfolgung der Berliner Juden 1924 bis 1945, Berlin 2008, S. 10). Sie argumentierten, dass ‚Pogrom‘ weder der authentische noch der auf die Besonderheit der deutschen Pogromgewalt im Herbst 1938 passende Begriff sei. Bei dem Terminus ‚Reichskristallnacht‘ sei indes eindeutig klar, dass es hier um die organisierte Gewalt um den 9./10. November 1938 im Deutschen Reich gehe.

Ablehnung aus Kreisen der Verfolgten als Euphemismus

Deutliche Ablehnung des Begriffes kam dagegen aus den Kreisen der Verfolgten. Schon 1948 wehrte sich die ‚Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen‘ gegen den in ihren Augen beschönigenden Begriff.

Instrumentalisierung

Gleichwohl wurde ‚Kristallnacht‘ immer wieder auch instrumentalisiert: 1966 etwa gegen die chinesische Kulturrevolution, die in einem Zeitungsartikel als ‚rote Kristallnacht‘ tituliert wurde; 1970 sprach Franz-Joseph Strauß davon, dass Apo-Mitglieder Kristallnacht praktizieren würden.

Nach der heftig diskutierten Gedenkrede von Bundestagspräsident Philipp Jenninger aus Anlass des 50. Jahrestags der Pogrome wurden auch Debatten über die Begrifflichkeiten erneut geführt. Jenninger musste in der Folge seiner rhetorisch verunglückten Rede von seinem Amt zurücktreten.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache nahm ‚Reichskristallnacht‘ und ‚Reichspogromnacht‘ in ihre Liste der Wörter des Jahres 1988 auf.

Zu alledem vor allem: Eitz, Thorsten; Stötzel, Georg: Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch, Hildesheim 2007, S. 523-531.

„Reichskristallnacht“ – noch zweimal zum Begriff (1)

In einem Beitrag von 2010 führt die Bundeszentrale für politische Bildung den Begriff ‚Reichskristallnacht‘ neben neun weiteren als sogenannte Stigmavokabel aus der Zeit des Nationalsozialismus auf. Abgesehen davon, dass der Beitrag noch mit den altbekannten und viel zu niedrigen Zahlen mit Blick auf die zerstörten Synagogen und die im Zuge oder in der Folge der Pogrome umgekommenen Verfolgten arbeitet, wird kurz auf den Ursprung des Begriffs eingegangen: Einerseits, so heißt es, könne ‚Reichskristallnacht‘ aus dem Berliner Volksmund stammen, andererseits habe ein Zeitzeuge den Begriff dem Berliner Kabarettisten und Schriftsteller Werner Finck zugeschrieben.

Ein Zeitzeuge erinnert sich

In einem Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 4. Dezember 1998 meinte sich der besagte Zeitzeuge zu erinnern, wie Finck den Begriff in ironischer Deutung verwendet habe. Gesichert ist dies allerdings bis heute nicht – ganz im Gegensatz zur Verwendung des Begriffs durch einen NS-Beamten 1939.

Zum Begriff siehe auch: Eitz, Thorsten; Stötzel, Georg: Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch, Hildesheim 2007, 523-531.

Beschmierte Schaufenster in Kamenz? – Ein Nachtrag

Nach wie vor ist nicht eindeutig gesichert, ob es in Kamenz im Kontext der Novemberpogrome von 1938 zu antisemitischen Aktionen kam. Ein Zeitungsartikel von Anfang 1991 hatte nahegelegt, dass es dort zwar nicht zu Zerstörungen gekommen, aber ein Geschäft beschmiert worden sei.

Adolf Grünberger (1864-1945)

Neue Recherchen legen nun nahe, dass es sich dabei um das Geschäft des Kaufmanns Adolf Grünberger in der Schulstraße 2 gehandelt haben könnte. Der 1864 im oberschlesischen Plania geborene Grünberger stammte aus einem jüdischen Elternhaus, war aber zum Protestantismus konvertiert.

In Kamenz engagierte Grünberger sich ehrenamtlich: Er wirkte im Gewerbeausschuss und im Vorstand des Militärvereins. Nach 1933 verlor er diese Posten, wurde verfemt und geächtet. Schließlich kam er mit 79 Jahren ins Konzentrationslager Buchenwald, wo er am 31. März 1945 verstarb.

Erinnern in der Lessing-Stadt

Heute ist in Kamenz eine Straße nach Grünberger benannt. Ein Stolperstein erinnert an sein Schicksal. Ob beziehungsweise wie Grünberger und sein Geschäft am 9./10. November 1938 vom Pogrom betroffen waren, bleibt indes nach wie vor offen.

Literaturhinweis: Rostowski, Dieter: Zum Gedenken an Adolf Grünberger, in: Lausitzer Almanach (2008), 3, S. 110 f.

9. November (3): Das Elser-Attentat und seine Folgen 1939

Am 8. November 1939 – der Zweite Weltkrieg hatte zwei Monate zuvor begonnen – detonierte im Münchner Bürgerbräukeller eine, in einer Säule versteckte Bombe. Der Sprengsatz sollte Hitler töten, der anlässlich des Jahrestags des Hitler-Putsches von 1923 gesprochen, den Saal aber dieses Mal früher verlassen hatte. Sieben Menschen starben, sechzig wurden verletzt.

Der Plan des Tischlers

Platziert hatte die Bombe der Tischler Johann Georg Elser. Seine Entscheidung, Hitler zu töten, um einen großen Krieg zu verhindern, hatte er schon im Herbst 1938 getroffen. Eine Sonderkommission des Reichssicherheitshauptsamts nahm zunächst auch an, dass die Hintermänner des Attentats in Großbritannien zu vermuten seien. An eine Einzeltat Elsers, der noch am 8. November beim Versuch des Grenzübertritts in die Schweiz festgenommen worden war, glaubte zunächst niemand.

Folgen für die als Juden verfolgten Menschen

Auch für die als Juden Verfolgten blieb das Attentat nicht ohne Folgen: Am 9./10. November 1939, ein Jahr nach den Pogromen, führte die Gestapo eine reichsweite ‚Sonderaktion‘ durch, bei der auch Juden verhaftet wurden.

In Leipzig, so hat es der Historiker Steffen Held herausgearbeitet, kamen 98 Menschen in Gewahrsam. Unter diesen befanden sich auch 47 als Juden Verfolgte. Und der Kommandant des Konzentrationslagers Buchenwald, Karl Otto Koch, ließ am 9. November 1939 21 jüdische Häftlinge als Vergeltung für den Anschlag erschießen.

Stadtchroniken als Quellen zu den Pogromereignissen: Das Beispiel Delitzsch (2)

Neben der ausführlichen Chronik, die die Pogromereignisse in Delitzsch im November 1938 schildert, existiert im Stadtarchiv noch eine weitere, handschriftliche Chronik für die Jahre 1816 bis 1956. Auch darin findet der Pogrom Eingang.

„Vorgehen gegen Juden“

Darin heißt es unter dem 11. November 1938:

„Wie in anderen Städten so ist man auch in Delitzsch zerstörend gegen die jüdischen Geschäftsinhaber vorgegangen. Laden und Wohnung eines jüdischen Geschäftsinhabers wurden zerstört, die jüdische Kapelle der ‚Judentempel‘ dem Erdboden gleichgemacht. Damit dürften wohl endlich und für immer die letzten äußerlichen Zeichen ‚jüdischer Niederlassung‘ in Delitzsch verschwunden sein.“

Der zeitgenössische Eintrag weißt einen deutlichen antisemitischen Einschlag auf, wie er etwa auch in der Tagespresse zu finden war und dem Tenor der nationalsozialistischen Judenpolitik entsprach.

Quelle: Stadtarchiv Delitzsch.

Stadtchroniken als Quellen zu den Pogromereignissen: Das Beispiel Delitzsch (1)

Ihren Eingang fanden die Pogromereignisse auch in die Chroniken mancher sächsischer Orte. Die Stadt Delitzsch etwa verfügte über eine inzwischen auch im Druck erschienene Chronik, die von 1207 bis 1990 reicht.

Die Pogrome in Delitzsch in der Ortschronik

Die Chronik enthält für den November 1938 einen umfassenden Eintrag, der sich fast ausschließlich dem lokalen Pogromgeschehen zuwendet.

Darin heißt es:

„In der Nacht vom 09. zum 10. November erfolgt das als ‚Reichskristallnacht‘ bekannte Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung. Der Chronist der Stadtverwaltung schreibt dazu:

‚Wie in anderen Städten, so ist man auch in Delitzsch zerstörend gegen die jüdischen Geschäftsinhaber vorgegangen. Laden und Wohnung eines jüdischen Geschäftsinhabers wurden zerstört, die jüdische Kapelle, der ‚Judentempel‘, dem Erdboden gleichgemacht. Damit dürften wohl endlich und für immer die letzten Zeichen ‚jüdischer Niederlassung“ in Delitzsch verschwunden sein.‘ In der Delitzscher Zeitung erscheint die Schlagzeile: ‚Delitzsch nun in seinem äußeren Stadtbild völlig judenrein!‘ […] Die Polizeibehörde Delitzsch erhält folgenden Funkspruch von der Stapo Halle: ‚Auf Grund des Attentates in Paris sind Demonstrationen zu erwarten. Die Polizei hat diese Demonstration nicht zu verhindern, sondern die Befolgung folgender Richtlinien zu überwachen. a. Eine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums ist zu verhindern. b. Wohnungen und Geschäfte von Juden dürfen nur zerstört, aber nicht geplündert werden. Plünderer sind festzunehmen. c.: Nichtjüdische Geschäfte sind unbedingt vor Schaden zu bewahren. d.: Ausländer, auch wenn es sich um Juden handelt, dürfen auf keinen Fall belästigt werden. Festnahmen von Juden sind, soweit sie in vorhandene Hafträume untergebracht werden können, durchzuführen. Dabei ist nur auf gesunde männliche Juden mit nicht zu hohem Alter zurückzugreifen.‘ In Delitzsch geschieht am 10. November 1938 folgendes: Am Nachmittag jenes Tages werden die drei großen Schaufenster des Jacobsohnschen Geschäftes in der Breiten Straße 1 zertrümmert. Die Schaufensterpuppen, die Auslagen aus dem Bekleidungsgeschäft, Hausrat und unzählige Glassplitter liegen auf der Straße. Aus dem Reichsbahnausbesserungswerk hat eine Rotte Männer unter Führung eines SS-Mannes, der in der Bismarckstraße ein Textilgeschäft hat, das Geschäft und die Wohnung der Familie Jacobsohn geschändet. Danach geht es grölend zum Judenfriedhof. Unter den mitziehenden Kindern und Jugendlichen befinden sich auch Konfirmanden der Knabenvolksschule. Auf dem jüdischen Friedhof wird die Kapelle angezündet und zerstört und die angeheuerten Jugendlichen werfen die Grabsteine um. Nach diesen Vorkommnissen berichtet am darauffolgenden Tag die Presse, daß sich das gesunde deutsche Volksempfinden einmal mehr spontan Luft verschafft hätte! Der Bürgermeister als Ortspolizeibehörde berichtet am 10. November an den Herrn Landrat und an die Stapo Halle: Politische Tagesmeldung: Am 10. November war gegen 17 Uhr eine Demonstration mit etwa 300 Delitzscher Einwohnern. Die Erregung der Menge steigerte sich über die ruchlose Tat des Juden Grynspan an den Legationsrat von Rath von Minute zu Minute, bis schließlich die Menge dazu überging, das in der Breiten Straße dem Juden Walter Jacobsohn gehörende Kaufhaus zu zerstören. Das Ereignis war so groß, daß die gesamte Laden- und Wohnungseinrichtung zerstört wurde. Auch der auf dem Judenfriedhof befindliche Judentempel (es handelt sich nur um eine Andachtshalle) wurde von der erregten Menge in Brand gesteckt. Die Polizei versuchte, die Plünderung bei Jacobsohn zu verhindern. Die im Grundstück befindlichen Juden, Frau Jacobsohn sen. und jun., sowie der aus Bitterfeld stammende Jude Georg Wolff, der zu Besuch weilte, werden in Schutzhaft genommen. Der Inhaber des Ladens Walter Jacobsohn war geflüchtet und wurde von der Delitzscher Polizei kurz vor Benndorf gefangen und kam in Schutzhaft. Die beiden Frauen wurden freigelassen. Jacobsohn und Wolff wurden am 10. November 1938 19.30 Uhr der Stapo Halle vorgeführt.“

Der Eintrag weist ausführlich die in Delitzsch erfolgten Übergriffe nach, benennt aber keine Täter namentlich – im Gegensatz zu den Verfolgten, deren Namen wir erfahren. Interessant ist der Chronikeintrag vor allem deshalb, weil er auch die Befehls- und Berichtsketten deutlich macht, die mit den Ereignissen in Verbindung standen.

Quelle: Stadtarchiv Delitzsch.

Die Instrumentalisierung angeblicher Waffenfunde bei Juden in Leipzig

Die vorgebliche Suche nach Waffen in den Wohnungen der Verfolgten, die oft Zerstörungen, Gewalt und Diebstähle nach sich zogen, als auch das Verbot des Waffenbesitzes für Juden vom 11. November 1938 zeigen nur zu deutlich, wie die antisemitische Politik und Propaganda die als Juden Verfolgten zu Kriegstreibern und Gewaltmenschen abzustempeln versuchte.

Waffen im Leipziger ‚Judentempel‘

In Leipzig seien während des Pogroms, so berichten es Zeitungen, gar Waffen gefunden worden. Die ‚Werdauer Zeitung‘ (wie zahlreiche andere sächsische Blätter) schrieb dazu am 11. November:

„In einem der Judentempel in Leipzig hat man einen sehr aufschlußreichen Fund gemacht. Hier waren braune SA.-Hosen, Parteiabzeichen und Munition versteckt. Dieser Fund dürfte Beweisstücke dafür liefern, daß von jüdischer Seite beabsichtigt war, Rassegenossen als SA.-Männer zu tarnen und dann irgendwelche Zwischenfälle zu provozieren!“ (Werdauer Zeitung für Stadt und Land, 58, 264 (11.11.1938), S. 3).

Auch hier also wurden die als Juden Verfolgten wieder zu Kriegstreibern und Unruhestiftern gemacht, gegen die der ‚spontane Volkszorn‘ der Pogrome mehr als berechtigt sei. Die gefundenen Objekte wurden vermutlich untergeschoben.