„Reichskristallnacht“ – noch zweimal zum Begriff (2)

Interessant ist mit Blick auf die Verwendung des Begriffs ‚Reichskristallnacht‘ auch, dass ihn manche Historiker den Begriffen des ‚Novemberpogroms‘ oder der ‚Pogromnacht‘ vorziehen, wenn er dann auch meist in Anführungszeichen genutzt wird (so etwa Kellerhoff, Sven Felix: „Kristallnacht“. Das Novemberpogrom 1938 und die Verfolgung der Berliner Juden 1924 bis 1945, Berlin 2008, S. 10). Sie argumentierten, dass ‚Pogrom‘ weder der authentische noch der auf die Besonderheit der deutschen Pogromgewalt im Herbst 1938 passende Begriff sei. Bei dem Terminus ‚Reichskristallnacht‘ sei indes eindeutig klar, dass es hier um die organisierte Gewalt um den 9./10. November 1938 im Deutschen Reich gehe.

Ablehnung aus Kreisen der Verfolgten als Euphemismus

Deutliche Ablehnung des Begriffes kam dagegen aus den Kreisen der Verfolgten. Schon 1948 wehrte sich die ‚Notgemeinschaft der durch die Nürnberger Gesetze Betroffenen‘ gegen den in ihren Augen beschönigenden Begriff.

Instrumentalisierung

Gleichwohl wurde ‚Kristallnacht‘ immer wieder auch instrumentalisiert: 1966 etwa gegen die chinesische Kulturrevolution, die in einem Zeitungsartikel als ‚rote Kristallnacht‘ tituliert wurde; 1970 sprach Franz-Joseph Strauß davon, dass Apo-Mitglieder Kristallnacht praktizieren würden.

Nach der heftig diskutierten Gedenkrede von Bundestagspräsident Philipp Jenninger aus Anlass des 50. Jahrestags der Pogrome wurden auch Debatten über die Begrifflichkeiten erneut geführt. Jenninger musste in der Folge seiner rhetorisch verunglückten Rede von seinem Amt zurücktreten.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache nahm ‚Reichskristallnacht‘ und ‚Reichspogromnacht‘ in ihre Liste der Wörter des Jahres 1988 auf.

Zu alledem vor allem: Eitz, Thorsten; Stötzel, Georg: Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“. Die NS-Vergangenheit im öffentlichen Sprachgebrauch, Hildesheim 2007, S. 523-531.

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