Nach dem Attentat von Herszel Grynszpan auf den Legationsrat Ernst vom Rath in Paris waren die Tat und die antisemitischen Kollektivvorwürfe gegen die ‚Juden‘ Gegenstand der Tagespresse. Diese richteten sich nach genauen Anweisungen aus Berlin, wonach die allgemeine Empörung, die Schuld „Alljudas“ und das Ende der Geduld deutlich zu thematisieren seien. Die lokalen Ereignisse sollten dagegen eher kurz behandelt werden.
„Spontaner Volkszorn“
Mit Blick auf die Pogromereignisse sollte der „spontane Volkszorn“, also die Empörung der breiten Masse gegen die ‚Juden‘, deutlich hervorgehoben werden. Diese Strategie ging allerdings nicht auf, da den meisten Zuschauer die Organisation und Durchführung der Gewalt durch Angehörige von NS-Formationen deutlich vor Augen standen oder zumindest bewusst war.
Fotografien in der Presse – eine Leerstelle
Inzwischen habe ich etwa siebzig sächsische Zeitungen, die meisten davon Lokalblätter, gesichtet. Neben der Tatsache, dass sich die allgemeine Berichterstattung zum Attentat und den Pogromen wie auch den nachfolgenden antisemitischen Gesetzen weitestgehend, zum Teil sogar bis aufs Wort gleichen, finden sich auch Fotografien. Diese zeigen allerdings nur den Attentäter Grynszpan, seine verhafteten Pariser Verwandten, die deutschen Ärzte, die Hitler zur Rettung vom Raths in die französische Hauptstadt geschickt hatten, Ernst vom Rath sowie die Trauer- und Beisetzungsfeierlichkeiten.
Eine Fotografie aus Leipzig
Lokale Aufnahmen sucht man indes vergebens. Dies war Absicht, auch, um publizistischen Gegenkampagnen in der ausländischen Presse kein Bildmaterial zu liefern. Das Regime war dabei insgesamt sehr erfolgreich (vgl. Kreutzmüller, Christoph; Simon, Hermann; Weber, Elisabeth: Ein Pogrom im Juni. Fotos antisemitischer Schmierereien in Berlin 1938, Berlin 2013, S. 26-28).
Doch es gibt eine Ausnahme: Die Leipziger Tageszeitung brachte am 11. November 1938 eine Fotografie des am Vortag von SA-Männern in Brand gesteckten Kaufhauses Bamberger & Hertz am Augustusplatz.
Warum gerade diese Zeitung als einzige eine Fotografie zum Abdruck brachte, ist nicht bekannt. Vielleicht trafen die Herausgeber den Entschluss vor dem Hintergrund, dass der Brand tatsachenwidrig den als ‚Juden‘ verfolgten Kaufhausbesitzern zur Last gelegt wurde. Diese hätten sich die Versicherungssumme erschleichen wollen – ein Vorgang, den fast alle sächsischen und viele nichtsächsische Zeitungen ebenfalls in ihre Berichterstattungen aufnahmen.