Tag Archives: Judenverfolgung

Antisemitische Publikationen 1938 (2): Fritz Arlts ‚volksbiologische Untersuchungen der Leipziger Juden‘

Neben Harteinsteins Arbeit erschien 1938 eine weitere Studie zu den Juden Leipzigs, die deutlich von antisemitischen und rassetheoretischen Ansätzen durchzogen war.

‚Volksbiologische Untersuchungen über die Juden in Leipzig‘

Der Verlag S. Hirzel publizierte die Studie „Volksbiologische Untersuchungen über die Juden in Leipzig‘, die der Gauamtsleiter des Rassenpolitischen Amtes Schlesien, Fritz Arlt (1912-2004) verfasst hatte.

Arlt, der in Niedercunnersdorf geboren wurde, hatte ab 1932 bereits als NSDAP-Mitglied Theologie in Leipzig studiert. Als Dissertationsschrift legte er 1936 eine ‚Vergleichende rassen- und völkerpsychologische Untersuchung‘ als ‚Beitrag zur Rassenbiologie‘ vor. Zudem stand er ab 1934 dem Kreisamt der NSDAP für Rassen- und Bevölkerungspolitik in Leipzig vor.

Wissenschaftlicher Antisemitismus

Seine ‚volksbiologischen Untersuchungen‘, ein Studie zum ‚Großstadtjudentum‘, verstand Arlt als Beitrag zum Kampf gegen die Juden, der vom ‚Blut‘ als entscheidendem Rassekriterium geleitet sei. Er empfahl darin unter anderem die Ausweisung der Leipziger Juden als Ausländer in ihre polnischen Herkunftsorte. Am Schluss des Bandes stellte er fest, dass „die genaue Betrachtung des Judentums einer Großstadt […] die Notwendigkeit unseres Kampfes gegen das in den deutschen Volkskörper eindringende Judentum erwiesen [habe]. Sie zeigt darüber hinaus noch mehr: daß dieser Kampf nach menschlichem Ermessen zum Ziele führt“ (S. 46).

Während des Krieges war Arlt auch an ethnischen Säuberungen in Polen beteiligt. 1949 wurde er in München als ‚Mitläufer‘ entnazifiziert und wirkte dann unter anderem als Funktionär des westdeutschen Arbeitgeberverbandes.

Antisemitische Publikationen 1938 (1): Johannes G. Hartenstein über die Leipziger Juden

1938 erschienen mehrere Abhandlungen, die sich der Geschichte und Rolle von Juden in den sächsischen Großstädten unter rassischen und antisemitischen Gesichtspunkten zuwendeten. Hierzu gehörte auch eine Arbeit Johannes G. Hartensteins, die 1938 unter dem Titel: ‚ Die Juden in der Geschichte Leipzigs. Von der Entstehung der Stadt an bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts‘ im Berliner Theodor Fritsch-Verlag erschien.

Eine Untersuchung des ‚rassenmäßigen Verhaltens der Juden‘

Hartenstein beabsichtigte mit seiner Studie, das rassenmäßige Verhalten der Juden in Leipzig bis Anfang 19. Jahrhundert zu untersuchen. Danach seien die Juden auch in andere Berufe eingedrungen (S. 6 f.). Der Autor, dessen Biografie ich bislang noch nicht kenne, betonte dabei, dass die bisher erschienenen Bücher ‚zum jüdischen Anteil an den Leipziger Messen‘ mit Schönheitsfehlern behaftete seien: Entweder stammten diese von Juden selbst oder wurde zumindest deren Drucklegung von solchen ermöglicht. In der Konsequenz, so Hartenstein, werden in diesen Büchern deshalb immer vom ‚jüdischen Standpunkt‘ aus geurteilt (S. 7).

Ein pauschales Fazit gegen die Juden

In seinem Fazit zu seiner Studie hält der Autor fest: „Es ist kein schmeichelhaftes Bild vom Juden, das die Leipziger Stadtgeschichte widerspiegelt. Grundzug seines Charakters ist seine Habsucht und Geldgier“ (S. 128). Der ‚Jude‘ betrüge, sei geldgierig und sein Handeln gegen das Volk, in dem er lebe gerichtet. Er leiste gegen das Gesetz Widerstand und schände deutsche Mädchen, so die pauschalen Vorurteile Hartensteins (S. 128 f.). In der Schlussfolgerung betont er: „Aber gerade dieser Handel läßt die Eigenart des Judentums, seine Wesensverschiedenheit vom deutschen Volke scharf hervortreten. Es kann keine Gemeinschaft geben, wo die Notlage des einen Teils der Bevölkerung einem andern Teil höchsten Gewinn bedeutet“ (S. 129).

Hartensteins Studie erschien 1938, in einem Jahr also, das nicht nur Pogromgewalt, sondern auch die massive Verschärfung der antisemitischen Politik und Ausgrenzung kennzeichneten. Hierfür lieferte es eine, zwar auf einzelnen historischen Fakten beruhende, in ihrer Deutung jedoch pseudowissenschaftliche Grundlage.

Ein Foto und seine Geschichte (9): Das ausgebrannte Kaufhaus Bamberger & Hertz in Leipzig

Neben der Fotografie des ausgebrannten Kaufhauses Britania in Borna ist in einem Beitrag zur Geschichte des kommunistischen Widerstandskampfes in Leipzig von 1986 auch eine weitere Aufnahme zu den Leipziger Pogromen abgebildet: Diese zeigt das ausgebrannte Kaufhaus Bamberger & Hertz in Leipzig. Das Gebäude ist bereits mit Brettern vernagelt (Friederici, Hans-Jürgen: Die Bezirksorganisation der KPD im Kampf gegen die Errichtung und Festigung der faschistischen Diktatur. Das Ringen um die Einheitsfront der Arbeiterklasse und die antifaschistische Volksfront (1933-1939), in: Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Leipzig der SED (Hg.): In der Revolution geboren. In den Klassenkämpfen bewährt, Leipzig 1986, S. 349–446); hier S. 436).

Ähnliches Motiv – unterschiedliche Aufnahme

Auch hier ist die genaue Quelle der Aufnahme nicht ausgewiesen. Eine ähnliche Aufnahme findet sich jedoch in den Beständen des Stadtgeschichtlichen Museums Leipzig. Diese stammt aus dem ehemaligen Museum für die Geschichte der Arbeiterbewegung, das 1960 in das Stadtgeschichtliche Museum aufging. Es ist also gut möglich, dass beide Aufnahmen im selben Kontext entstanden oder zumindest gesammelt wurden.

Insgesamt ist das von den Pogromen zerstörte Kaufhaus Bamberger & Hertz neben Aufnahmen von Synagogenruinen das Gebäude, von dem heute die meisten unterschiedlichen Aufnahmen und die einzige bekannte Pressefotografie, die im November 1938 veröffentlich wurde, bekannt sind.

Ein Foto und seine Geschichte (8): Das ausgebrannte Kaufhaus Britania in Borna – ein Nachtrag

Bereits in einem früheren Blogartikel bin ich auf eine Fotografie eingegangen, die das bereits mit Brettern verschlagene, ausgebrannte Kaufhaus Britania der Familie Rose in Borna zeigt.

Das Foto im Kontext der Geschichte der Arbeiterbewegung

Damals bin ich davon ausgegangen, dass die Aufnahme sich in Privatbesitz befindet und bislang mit Ausnahme eines kleinen Youtube-Films nicht öffentlich bekannt ist. Inzwischen habe ich aber eine Arbeit zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Leipzig studieren können, die auch einen Beitrag zum ‚antifaschistischen Widerstandskampf‘ der Leipziger KPD gegen den Nationalsozialismus enthält (Friederici, Hans-Jürgen: Die Bezirksorganisation der KPD im Kampf gegen die Errichtung und Festigung der faschistischen Diktatur. Das Ringen um die Einheitsfront der Arbeiterklasse und die antifaschistische Volksfront (1933-1939), in: Kommission zur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung bei der Bezirksleitung Leipzig der SED (Hg.): In der Revolution geboren. In den Klassenkämpfen bewährt, Leipzig 1986, S. 349–446).

Auf Seite 435 ist auch das Foto des zerstörten Bornaer Kaufhauses abgedruckt. Eine präzise Quellenangabe ist dazu jedoch nicht vorhanden. Im Kontext des ‚antifaschistischen Geschichtsimperativs‘ stand die ‚Kristallnacht‘ 1938 in einer Kette von Ereignissen (‚Anschluss‘ Österreichs und der Sudetengebiete), die, so ein Zitat aus dem Abschnitt des Bandes, „offenbarten, daß der deutsche Imperialismus 1938 seine ökonomischen, politischen und militärischen Kriegsvorbereitungen im wesentlichen abgeschlossen hatte“ (S. 437).

Die antifaschistische Deutung der Pogrome

Ein genaueres Eingehen auf die Fotografie aus Borna findet sich im Text nicht. Vielmehr stehen die Pogromereignisse hier im Kontext des herrschenden Geschichtsnarrativs, ohne in ihrer Eigenständigkeit und Bedeutung ausreichend gewürdigt zu sein: Die Pogrome wurden hier lediglich als Teil der faschistischen Kriegsvorbereitung gedeutet.

Mehr zur (Be-)Deutung und Instrumentalisierung des Pogromgedenkens bei: Schmid, Harald: Antifaschismus und Judenverfolgung. Die „Reichskristallnacht“ als politischer Gedenktag in der DDR, Göttingen 2004.

Pogromfolgen (4): Die ‚ Ausschaltung aus dem deutschen Wirtschaftsleben‘

Die dritte Gesetzesmaßnahme, die am 12. November 1938 gegen die Verfolgten erlassen wurde, war die Verordnung zur ‚Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben‘. Durch sie wurde zum 1. Januar 1939 die Schließung aller ‚jüdischen‘ Einzelhandelsgeschäfte und Betriebe angeordnet.

Das Ende der wirtschaftlichen Selbstständigkeit der Verfolgten

Die Verordnung unterband weitestgehend alle bislang noch möglichen selbstständigen Erwerbszweige der Verfolgten. Sie unterschied sich von den Verordnungen zur ‚Wiederherstellung des Straßenbildes‘ und zur ‚Sühneleistung‘ jedoch insofern, als dass sie vermutlich schon von längerer Hand vorbereitet worden war.

Die Verordnung wurde am 20. September 1945 durch das erste Gesetz des Alliierten Kontrollrats zusammen mit den meisten antisemitischen Gesetzen aus der Zeit des Nationalsozialismus wieder aufgehoben.

Der Volltext der Verordnung findet sich unter anderem unter: http://www.verfassungen.de/de/de33-45/juden38-6.htm

Pogromfolgen (3): Die ‚Sühneleistung‘

Neben der Verordnung zur ‚Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben‘ ordnete Hermann Göring weiterhin an, dass den Juden deutscher Staatsangehörigkeit zusätzlich zu den beschlagnahmten Versicherungssummen eine Kontribution von einer Milliarde Reichsmark aufzuerlegen sei (Verordnung über eine ‚Sühneleistung der Juden deutscher Staatszugehörigkeit‘).

Für die erlittene Gewalt bezahlen

„Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt,“ so der Vorsatz der Verordnung, „erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne.“ Faktisch bedeutete dies, dass die Verfolgten nunmehr für die erlittene Gewalt auch noch Strafe zahlen mussten.

Was dies für die Verfolgten im Einzelnen bedeutete, zeigt das Beispiel des Netzschkauer Gastwirts Ignatz Gutfreund. Dessen ‚Thüringer Hof‘ war während der Pogrome komplett zerstört worden. Gleichwohl musste er nun mit 2.000 Reichsmark seinen Anteil an der ‚Sühneleistung‘ erbringen.

Der Volltext der Verordnung findet sich unter anderem unter: http://www.verfassungen.de/de/de33-45/juden38-5.htm

Zum Schicksal von Ignatz Gutfreund vgl. Schmidt, Waltraud: Der Wirt des Thüringer Hofs in Netzschkau, in: Reichenbacher Kalender 39 (2006),S. 74–77.

Pogromfolgen (2): Die ‚Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben‘

Am 12. November 1938 ergingen drei Verordnungen, die im Gefolge der Pogromereignisse standen und die Verfolgten nochmals hart trafen.

Die ‚Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben‘

Mit der Verordnung zur ‚Wiederherstellung des Straßenbildes bei jüdischen Gewerbebetrieben‘ wurden die Verfolgten gezwungen, Schäden an Gebäuden und Schaufenstern sowie Wohnungen, die – so der Verordnungstext ausdrücklich – „durch die Empörung des Volkes“ entstanden seien, auf eigene Kosten sofort zu beseitigen. Da viele der betroffenen Männer in Haft oder einem Konzentrationslager saßen, mussten diese Aufgabe nicht selten Verwandte, Bekannte oder eingesetzte Verwalter umsetzen.

Die Versicherungsansprüche der Verfolgten deutscher Staatsangehörigkeit wurden darüber hinaus zugunsten des Reiches beschlagnahmt.

Der Volltext der Verordnung findet sich unter anderem unter: http://www.verfassungen.de/de/de33-45/juden38-7.htm

Die Auslösung der Pogrome (7): Weitere Rundschreiben und Anweisungen am 10. November 1938

Aus Dokumenten des Obersten Parteigerichts der NSDAP geht hervor, dass am 10. November 1938 weitere Fernschreibungen und Anordnungen ergingen, die im Zusammenhang mit den Pogromen standen. Diese seien hier im Folgenden zumindest benannt:

  • 1:40 Uhr: Rundschreiben des Reichspropagandaleiters Joseph Goebbels
  • 2:56 Uhr: Rundschreiben des Stabes des Stellvertreters des Führers, Rudolf Heß, das Brandlegungen in ‚jüdischen‘ Geschäften untersagt
  • 15:15 Uhr: Rundschreiben des Stabes des Stellvertreters des Führers, dass feststellt, dass die Partei keine Verantwortung für die ‚Aktionen‘ trage und die Parteidienststellen sich entsprechend einzurichten hätten.

(Quelle: Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 32, Nürnberg 1948, S. 22).

Die Auslösung der Pogrome (6): Das Ende der Pogromgewalt in einem Fernschreiben Reinhard Heydrichs

Ein viertes Fernschreiben Reinhard Heydrichs vom 10. November 1938 dokumentiert das Ende der „Protestaktionen“. Heydrich wies alle Staatspolizei(leit)stellen und die SD-Ober- und Unterabschnitte an, in Zusammenarbeit mit der Ordnungspolizei verstärkt Streifendienst in der kommenden Nacht zu machen.

Etwa noch erfolgende Aktionen

Sollte es noch zu ‚Aktionen‘ kommen, seien diese möglichst zu verhindern. Dabei sei aber „Rücksicht zu nehmen auf die berechtigte Empörung der Bevölkerung.“ Gewaltexzesse waren damit auch in der zweiten Nacht (10./11. November) noch gedeckt.

Verhaftungen

Vollkommen unberührt vom Ende der offenen Pogromgewalt blieben die Verhaftungen: Diese sollten „ohne Einschränkung“ und ausschließlich durch die Staatspolizei(leit)stellen vorgenommen werden.

Abgedruckt in: Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 31, Nürnberg 1948, S. 519.

Die Auslösung der Pogrome (5): Zwei weitere Fernschreiben Reinhard Heydrichs und Anordnungen des Reichsjustizministeriums

Zwei weitere Fernschreiben Reinhard Heydrichs an die Staatspolizei(leit)stellen und im zweiten Fall auch an den Sicherheitsdienst (SD) begleiten die Pogrome am 10. November.

Strenges Vorgehen gegen Plünderungen

Im ersten Fernschreiben ordnete Heydrich nochmals an, dass gegen Plünderungen „rücksichtslos vorzugehen“ sei. Ermittlungen sollten aufgenommen und die Plünderer festgenommen werden.

Auch im zweiten Fernschreiben betonte Heydrich diesen Punkt nochmals deutlich. Außerdem wies er die untergeordneten Dienststellen darauf hin, dass das Reichsjustizministerium sämtliche Generalstaatsanwälte angewiesen habe, staatspolizeiliche Strafanstalten für die Unterbringung festgenommener Juden zur Verfügung zu stellen.

Straffreiheit für die Täter

Zudem erklärte er, dass das Reichsjustizministerium ersuche, „zunächst in keinem Fall Haftbefehle gegen Personen zu beantragen, die etwa im Zuge der Aktionen festgenommen worden seien. Auch seien „die Staatsanwaltschaften angewiesen [worden], keine Ermittlungen in Angelegenheiten der Judenaktionen vorzunehmen.“

Das Fernschreiben macht deutlich, dass auch über andere Kanäle – hier über das Reichsjustizministerium – Anweisungen zu den Pogromen erfolgten, die ein deutlicher Beleg für die staatliche Organisation der Gewalt sind. Und es zeigt auch, dass hier bereits damit begonnen wurde, den Pogromtätern weitgehende Straffreiheit zu gewähren.

Abgedruckt in: Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, Bd. 31, Nürnberg 1948, S. 518 f.