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Die Gastwirtschaft ‚Waldrose‘ in Radeburg-Oberrödern – Nachtrag

Wie bereits früher geschrieben, wurde am 10. November 1938 auch die kleine Gastwirtschaft ‚Waldrose‘ in Radeburg-Oberrödern zerstört.

Hinweise auf die Täter

Hinweise auf die Täter liefert ein Prozessbericht in der ‚Sächsischen Zeitung‘ vom Frühjahr 1949, in dem über die Verhandlung gegen den ehemaligen SS-Hauptsturmführer Kurt Heilmann in Meißen berichtet wird. Heilmann wurde auch für seine Beteiligung an den Novemberpogromen zur Rechenschaft gezogen und zu insgesamt zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt.

Im Prozessbericht heißt es, dass Heimann an der Zerstörung von Geschäften und Lokalen in Meißen und Radeburg beteiligt gewesen sei. Der gelernte Metalldreher gehörte also offensichtlich zu den Tätern, die die Gastwirtschaft ‚Waldrose‘ zerstörten.

Möglicherweise finden sich in Prozessunterlagen dazu noch weitere Hinweise.

Pogromprozesse (3): Dresden 1947-1949

Pirna

Das Landgericht in Dresden verhängte im Oktober 1947 eine Gefängnisstrafe von fünf Jahren gegen Johannes B. aus Pirna wegen Pogromtaten und Denunziation. Die Strafe wurde nach Revision noch in eine Zuchthausstrafe umgewandelt.

Neustadt und Königstein

Auch Walter B. aus dem benachbarten Neustadt wurde 1948 unter anderem wegen seiner Beteiligung an Pogromhandlungen zu eineinhalb Jahren Internierung verurteilt. Der Besitzer einer Autoreparaturwerkstadt in Königstein, Max G., erhielt wegen Denunziation und als ‚Pogromgewinnler‘ im gleichen Jahr acht Jahre Zuchthaus.

Verurteilung in Abwesenheit

Der in die westlichen Besatzungszonen übergesiedelte Walter H., der als Herausgeber der ‚Sächsischen Elbzeitung‘ mit zum Pogrom aufgerufen hatte, wurde 1949 mit Vermögensentzug belegt.

Pogromprozesse (2): Leipzig 1946/1947

Nach dem ersten großen Prozess im November 1945 in Leipzig klagte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht im Juli 1946 einen LKW-Fahrer B. an. Diesem wurde die Organisation der Inbrandsetzung der Synagoge in der Gottschedstraße zu Lest gelegt, für die er zwanzig Litern Benzin organisiert habe. B. wurde zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Urteile wegen der Friedhofszerstörung

Wilhelm Kempeni wurde wegen der Plünderung der Synagoge, körperlicher Gewalt gegen den Inspektor des Neuen Jüdischen Friedhofs sowie, zusammen mit dem ehemaligen SA-Mann Hans Straube, der Inbrandsetzung der Friedhofsgebäude zu 15 Jahren verurteilt. Im Mai 1947 erging nochmals Anklage gegen 16 Personen, die nach einer NSDAP-Ortsgruppenversammlung am Morgen des 10. November 1938 durch Neu-Gohlis marschierten, in Wohnungen einbrachen und etwa neunzig als Juden verfolgte Menschen in der Turnhalle einer katholischen Schule einsperrten.

Strafverfolgung von Denunzianten

Zudem kam es 1946 und 1947 zu Prozessen wegen der Denunziation, wegen derer auch Kritiker der Pogromgewalt sich polizeilicher Maßnahmen und Haft ausgesetzt sahen.

Pogromprozesse (1): Leipzig 1945

Zu den Themenfeldern, die im Zusammenhang mit den Pogromereignissen noch weiterer systematischer Forschung bedürfen, zählen die nach Kriegsende gegen Pogromtäter angestrebten und durchgeführten Prozesse.

Erster Prozesse dieser Art in Deutschland

Schon im Herbst 1945 verhandelte das Leipziger Schöffengericht gegen sechs NSDAP-Block- und Zellenleiter, den Betriebsangestellten Heinrici, den Buchbinder Robert Woserau, die Schneider Walter Taubert und Reinhold Steiner, den kaufmännischen Angestellten Rudolf Schreck und den Offsetdrucker Paul Schuster. Den Angeklagten wurde schwerer Landfriedensbruchs zur Last gelegt, weil sie im Bereich ihrer NSDAP-Ortsgruppe Osten-A am 10. November 1938 die Einrichtungen von zwei Geschäften zerstört, auf die Straße geworfen und geplündert hätten.

Der Urteilsspruch

Die Angeklagten versuchten ihre Beteiligung weitestgehend herunterzuspielen; einer berief sich darauf, Befehle ausgeführt zu haben. Schreck, der den Zerstörungstrupp 1938 nach Aussage der Mitangeklagten organisiert habe, leugnete eine Beteiligung. Das Gericht verurteilte Schreck zu sieben, Woserau zu vier, Heinrici, Schuster und Taubert zu je drei Jahre Zuchthaus; Steiner wurde wegen Landfriedensbruchs zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Untersuchungshaft kam wegen fehlender Aussagebereitschaft nicht in Anrechnung.

Der Zeitungsbericht über den Prozess erschien in der ‚Volksstimme‘ (15.11.1945). Der Verfasser hob ausdrücklich hervor, dass es sich dabei um das erste Verfahren dieser Art in ganz Deutschland handle.

Für den Hinweis auf den Prozess und den Artikel in der ‚Volksstimme‘ danke ich Prof. Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut Dresden.

Brennende Synagoge und Kunst (1): Die Synagoge in Chemnitz

Wie schon mehrfach betont, prägt die öffentliche Erinnerung an die Novemberpogrome von 1938 das Bild der brennenden oder zerstörten Synagoge.

Ein Gemälde der brennenden Chemnitzer Synagoge

Auch in die Kunst, hier konkret die Malerei, fanden die brennenden Synagogen Eingang. Nicht selten wurden nach 1990 entstandene Synagogenneubauten, zerstörter Synagogenbau und Ruine kombiniert.

Im neuen Chemnitzer Gemeindezentrum befindet sich ein Gemälde, das die brennende Synagoge am Stephansplatz zeigt. Das von Adolf Diamant, der aus Chemnitz stammte und selbst verfolgt war, gestiftete Bild entstand auf Grundlage einer Fotografie vom Morgen des 10. November 1938. Es zeigt die Flammen vor der düsteren Kulisse des Gebäudes.

Das Bild ist mit „Chemnitz“ und Künstlernamen (Bon…?) signiert.

 

Die Zionskirche in Dresden: Die Ruine für den Synagogenneubau?

Als in Dresden Mitte der 1990er-Jahre die Debatten um den Neubau einer Synagoge liefen, gab es auch den Vorschlag, die Ruine der bei den Luftangriffen zerstörten Zionskirche an der Nürnberger Straße für den Synagogenbau zu nutzen. Um die Kirche hatte es während der Pogrome einen bizarren Namensstreit gegeben.

Ablehnung durch die Jüdische Gemeinde

Ein Artikel in den ‚Dresdner Neuesten Nachrichten‘ vom März 1996 wusste dann allerdings zu berichten, dass die Jüdische Gemeinde Dresden den Vorschlag abgelehnt habe. Als Begründung wurde die Monumentalität der noch erhaltenen Bausubstanz angeführt.

Die Zeit der Standortdiskussionen

Ehe die Entscheidung für einen modernen Neubau am Hasenberg fiel, dem alten Standort der 1938 zerstörten Synagoge, war in dieser Zeit – unter anderem von Adolf Diamant favorisiert – auch ein (verkleinerter) Neubau der alten Sempersynagoge im Gespräch.

Zum Wettbewerb für den Neubau am Hasenberg kann gegenwärtig eine kleine Ausstellung in den Räumen von HATiKVA in der Dresdner Neustadt besichtigt werden.

Denunziationen (1): Der Fall des Leipziger Molkereibetreibers Henze

Gerichts- und Polizeiakten, sofern sie überliefert sind, zeigen, dass es einige Fälle gab, in denen Unmutsäußerungen oder Pogromkritik zu Denunziationen durch Dritte führten.

Ein Molkereibetreiber in Leipzig

In Leipzig zeigte der Kreisbeauftragte des Winterhilfswerks, H. Fischer, den Molkereiinhaber Otto Henze beim Polizeipräsidium Leipzig an. Er warf Henze vor, in einer Nähstube des Winterhilfswerks am 10. November geäußert zu haben, dass „so grosse Unruhe in der Stadt [herrsche], die Menschen […] blutig geschlagen [werden]. Unser Staat ist über Nacht ein Räuberstaat geworden.“

Vernehmung durch die Geheime Staatspolizei

Im Februar 1939 wurde Henze durch die Leipziger Gestapo vernommen. Er betonte dabei, dass er lediglich kritisiert habe, was ihm Dritte berichtet hätten, und zwar, „daß Plünderungen und Diebstähle geschehen seien und sogar Leute in den Schaufenstern gestanden hätten und sich Mäntel angezogen haben. Keinesfalls wollt [sic!] ich dadurch Partei für die Juden ergreifen.“

Zudem versicherte er, treu hinter der nationalsozialistischen Regierung zu stehen.

Einstellung des Verfahrens beim Sondergericht Freiberg

Henzes Fall kam an das Freiberger Sondergericht, das 1933 eigens zur Ahndung von Verbrechen gegen den Staat nach der sogenannten ‚Reichstagsbrandverordnung‘ (Verordnung zum Schutz von Volk und Staat) eingerichtet worden war. Das Gericht stellte das Verfahren allerdings mangels rechtlicher Handhabe ein.

Die entsprechende Sondergerichtsakte ist im Hauptstaatsarchiv in Dresden überliefert.

Pogromgedenken im Exil 1939

Bereits 1939 gedachten ins Exil geflohene Juden der Pogromgewalt vom November 1938 im Deutschen Reich. Nicht nur in Großbritannien fanden in den Synagogen Gedenkgottesdienste statt. Zudem wurden Memorbücher für die zerstörten Synagogen und jüdischen Gemeinden angelegt sowie Augenzeugenberichte gesammelt.

Die Exilpresse erinnert an die Gewalt

In New York erschien im November 1939 ein Artikel in der deutschsprachigen jüdischen Zeitung ‚Der Aufbau‘, der nochmals ein Resümee der Pogromgewalt zu ziehen versuchte und gleichzeitig im Kontext des inzwischen ausgebrochenen Zweiten Weltkriegs stand. Darin hieß es: „Die Tatsache, dass es am 10. November 1938 möglich war, auf das Kommando einer kleinen Bande von demoralisierten Machthabern hin, den Mob zum Rauben, Töten und Plündern loszulassen, soll uns immer daran erinnern, wie oberflächlich jene Tünche an manchen Leuten haftet, die sie so gern Nächstenliebe und Humanität nennen. Am 10. November 1938 ist etwas noch viel Schlimmeres geschehen: Die Masse des deutschen Volkes, die Masse jener Menschen, die wir lange Zeit für aufrecht und ehrlich, für rechtlich denkend und mutig gehalten hatten, die Masse der Deutschen hat nichts, gar nichts getan, um dem Mord und Raub an der wehrlosen jüdischen Bevölkerung Einhalt zu gebieten“ (zitiert nach: Gross, Raphael: November 1938. Die Katastrophe vor der Katastrophe, München 2013, S. 83).

Im polnischen Konsulat in Leipzig

Helga Ehlert, geb. Dresner, berichtete nicht nur über die Flucht in polnische Konsulat in Leipzig am 10. November 1938, sondern auch über das, was sie dort erlebte:

„Wir waren fast zwei Tage im Konsulat. Meine Mutter erlitt einen Schwächeanfall, und der polnische Generalkonsul [Feliks] Chiczewski, ordnete an, daß sie in der oberen Etage, die seine Privaträume beherbergte, in einen Ruheraum kam und sich jemand um sie kümmerte. Die unteren Räume, die Eingangshalle und das Souterrain waren von Hunderten verängstigten polnischen Juden bevölkert. Sie weinten, waren total ratlos, wußten überhaupt nicht, was sie machen sollten. Es war entsetzlich.

Ich erinnere mich, daß ich ein grünes Kleid getragen habe. Aber ich war damals nicht so entsetzt, wie ich es heute bin, wo ich das mit dem Abstand und mit der Weisheit des Alters sehe. Ich war ein Backfisch, ein Flapper. Ich habe mit den Augen des Teenagers gesehen, und wie gesagt, meine Eltern haben alle politischen Dinge in der Nazizeit von uns ferngehalten. Wir waren ziemlich unbedarft, mein Bruder und ich. Aber die Situation im Konsulat hat uns die Augen etwas geöffnet. Wir waren dort zwei Tage, und in der Nacht hat der Konsul im Graten Stroh auslegen lassen, damit die Leute dort campieren konnten. Es waren so viele, es war kein Platz für sie im Garten und auch nicht in den Räumen. Also mußte man draußen in der Kälte campieren. Ich konnte auf einem Campingbett in einem großen Saal im Keller nächtigen. Von Schlaf war keine Rede, weil alles weinte und ratlos war. Am Tage haben Schaulustige vor dem Konsulat gestanden und interessiert auf die weinenden und klagenden Juden geschaut. Ich glaube, daß sie auch Schmähungen gerufen haben.

Wir konnten zwei oder drei Tage später wieder nach Hause gehen. Ich erinnere mich noch genau, daß der 9. und 10. November auf einen Mittwoch und auf einen Donnerstag fielen. Inzwischen lagen halbherzige Zusagen der Verwandten aus Edinburgh und aus Chicago vor, sie würden uns aufnehmen. Mein Vater war beherrscht von der Idee, daß er erst seine achtzigjährige Mutter bei Verwandten in Polen unterbringen müsse, ehe er mit seiner Familie nach Chicago reisen könne. Die Oma Dresner hatte nur einen Arm und war halbblind, und es gab in Polen eine relativ große Verwandtschaft, die sich um sie gekümmert hätte“ (abgedruckt in: Ehlert, Helga: Ich fühle mich nicht als Deutsche, in: Ostow, Robin (Hg.): Juden aus der DDR und die deutsche Wiedervereinigung. Elf Gespräche, Berlin 1996, S. 162–197, hier: S. 166-168).

Das Ende der Kindheit

Was Ehlert hier im Rückblick auch schilderte, war das Ende ihrer Kindheit und Unbeschwertheit. 1939 reiste sie mit ihrem Bruder Rolf über einen Kindertransport nach England aus. Ihre Eltern und weitere Verwandte kamen während der Schoa ums Leben. Sie selbst kehrte nach Kriegsende nach Ostdeutschland zurück und starb 2014.

Radiopropaganda nach den Pogromen

Der US-amerikanische Historiker Alan E. Steinweis gilt als einer der besten Kenner der Ereignisse der Pogrome vom November 1938.

Radio und Pogrom

Bei seinen Recherchen zu der antisemitischen Gewalt warf Steinweis auch einen Blick auf das deutsche Radioprogramm. Er stellte fest, dass nach den Pogromen nicht nur in den Zeitungen eine wüste antisemitische Propagandakampagne angefahren worden war, sondern auch im Radio. Seien in den Wochen zuvor kaum antisemitische Sendungen gelaufen, habe es danach eine große Zahl an entsprechenden Beiträgen gegeben, darunter solche zur Propagandaausstellung „Der ewige Jude“, zur „Judenfrage“, zu „jüdischer“ Kriminalität, zu den Rothschilds oder zu den Juden in den USA und der Sowjetunion.

Im Dezember habe die Anzahl der antisemitischen Beiträge dann abgenommen. Diese blieben aber weiterhin Bestandteil des Programms. Auch hier lässt sich eine ähnliche Tendenz auch für die Pressepropaganda feststellen.

Beide, Zeitung und Radio, erreichten auch die Hörer in Sachsen – jene, die verfolgt wurden, ebenso wie jene, die verfolgten oder zusahen.

Zur Lektüre: Steinweis, Alan E.: Kristallnacht 1938, Cambridge/London 2009.