Die Novemberpogrome waren 1938 nicht die ersten koordinierten Gewaltexzesse, die sich ausdrücklich gegen als ‚Juden‘ verfolgte Menschen richteten. Neben alltäglichen Übergriffen kam es bereits im März und April im Zuge des sogenannten ‚Anschlusses‘ von Österreich – tatsächlich die faktische Annektierung und Besetzung des Landes, die gleichwohl von vielen Österreichern begrüßt wurde – zu Pogromen.
Die Anschlusspogrome in Österreich
Seit Mitte der 1920er-Jahre berichtete aus Wien der Korrespondent George Eric Rowe Gedye von den Entwicklungen in Österreich. Gedye schrieb unter anderem für die New York Times. Er beobachtete den ‚Anschluss‘ und erlebte die in Wien gegen als ‚Juden‘ Verfolgte gerichtete Gewalt. Seine Wahrnehmungen verarbeitete er in einem Buch, dass zuerst 1939 in England, 1940 in den USA und schließlich 1947 als deutsche Ausgabe in Wien erschien (Gedye, George E. R.: Als die Bastionen fielen. Die Errichtung der Dollfuß-Diktatur und Hitlers Einmarsch in Wien und den Sudeten, Wien 1981).
„Reibepartien“ – Die antisemitische Gewalt in Wien
Darin heißt es unter anderem
„Von meinem Büro am Petersplatz konnte ich auch Wochen hindurch den Lieblingssport des Nazimobs beobachten: jüdische Männer und Frauen wurden gezwungen, auf allen vieren kriechend, den Gehsteig mit einer scharfen Lauge zu reiben, die ihnen die Haut verbrannte, so daß sie sich sofort in Spitalsbehandlung begeben mußten“ (S. 294).
Mit diesen ‚Reibepartien‘ einher gingen öffentliche Demütigungen, die Beschmierung von Geschäften und weitere Gewaltexzesse. Der Historiker Dieter Hecht hat nicht nur auf den daraus resultierenden Anstieg der Selbstmordrate um das Vierfache hingewiesen, sondern auch hervorgehoben, dass die NS-Behörden zwar bereits am 14. März erstmals einschritten, eine wirkliche Unterbindung der Ausschreitungen dann allerdings erst Ende April 1938 durch Gauleiter Josef Bürckel versucht wurde (siehe: Hecht, Dieter: Demütigungsrituale – Alltagsszenen nach dem „Anschluss“ in Wien, in: Welzig, Werner (Hg.): „Anschluss“. März/April 1938 in Österreich, Wien 2010, 39–71, hier: S. 42 f.).
Die ‚Anschlusspogrome‘ hatten auch die Verdrängung der Verfolgten aus ihren Geschäften und Unternehmen sowie eine große Fluchtwelle zur Folge, die wiederum eine Verschärfung der Einreisebedingungen in mehreren Aufnahmeländern nach sich zog und die Emigration von als ‚Juden‘ Verfolgten aus dem Deutschen Reich erschwerte.