Category: Bruchstücke 1938|2018

Städte ohne Pogrome? (3): Freital

Auch für Freital, für das ebenfalls nur eine verschwindend geringe an Anzahl an Personen angenommen werden kann, die nach 1933 durch die Nationalsozialisten als Juden verfolgt wurden, finden sich bislang keine Hinweise auf Übergriffe im Rahmen der Pogrome. Die Geschichte der Freitaler Juden ist bislang lediglich ansatzweise untersucht.

Die Familien Heilbut und Eckstein

Vor allem zwei Schicksale sind genauer bekannt: Das der Familie des Zeitungsredakteurs Kurt Heilbut (1888-1943), der allerdings nach Verfolgung und ‚Schutzhaft‘ nach Dresden umgezogen war und dann offensichtlich hier nach den Pogromen erneut in Haft kam (dazu: Schmeitzner, Mike; Steinberg, Swen: Kulturpolitik und Gewalterfahrung. Der Sozialdemokrat und Journalist Kurt Heilbut in Freital, in: Dresdner Hefte 34 (2016), 1 (=34), S. 36–44).

Zum anderen sind wir über das Schicksal der Familie von Alois Eckstein besser im Bilde. Eckstein sah sich bereits im März 1938 massiver antisemitischer Übergriffe ausgesetzt, das Geschäft wurde boykottiert, Eckstein wenig später verhaftet und massiv misshandelt (siehe hierzu: Gläser, Arthur: Familie Eckstein – Opfer der „Eichmänner“, in: Sächsische Zeitung [Freital], 109 (08.05.1961), [o. S.]).

In Zusammenhang mit den Pogromen standen die Übergriffe, wie es Adolf Diamant später schlussfolgerte, allerdings nicht. Das Geschäft wurde schon im Juni 1938 als ‚arisiert‘ beworben. Über das Schicksal Ecksteins ist bislang sonst kaum etwas bekannt.

Städte ohne Pogrome? (2): Bischofswerda

Ähnlich wie in Hoyerswerda stellt sich der Befund für Bischofswerda dar. Auch für diese Stadt sind bislang keine Pogromereignisse dokumentiert. Abgesehen davon, dass die Nachrichten über die Gewaltexzesse durch die gesteuerte Zeitungspresse und über den Rundfunk auch hier die Menschen erreicht haben dürften, gibt es einige wenige Hinweise zur Verfolgung von Menschen jüdischer Herkunft. Bekannt ist zumindest, dass die Zahl der vor Ort lebenden Juden sehr klein war.

Forschung steht noch am Anfang

Wie Mathias Hüsni, der sich mit der Geschichte der Verfolgten im Kreis Bischofswerda befasst hat, schon 2008 bemerkte, so steht die Forschung auch heute noch ziemlich am Anfang. Die gilt auch für das konkrete Ereignis der antisemitischen Gewalt im November 1938.

Literaturhinweise:

Hüsni, Mathias: Jüdische Mitbürger in Bischofswerda und Umgebung. Zum derzeitigen Forschungsstand anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnnacht vom 9. November 1938, in: Schiebocker Landstreicher (2008), 3, S. 46.

Schäfer, Heidrun: Nur mit Hilfe der Nachbarn überlebt, in: Sächsische Zeitung (27.01.2001), S. 10.

Städte ohne Pogrome? (1): Hoyerswerda

Hoyerswerda gehörte 1938 zur preußischen Provinz Schlesien. Für die Stadt, heute immerhin die drittgrößte der Oberlausitz, gibt es nur wenige Spuren zur Geschichte des Lebens von Juden und der nationalsozialistischen Judenverfolgung vor Ort.

Pogromgewalt in der Stadt?

Bislang ist kein Beleg dafür zu finden, dass es in Hoyerswerda 1938 zu Pogromgewalt kam. Die ‚Hoyerswerdaer Nachrichten‘ vom November 1938 berichten lediglich über Pogromereignisse in anderen sächsischen Orten, wie der Stadt Görlitz. Auf Übergriffe oder antisemitische Kundgebungen vor Ort wurde nicht eingegangen. Vermutlich war die Zahl der Verfolgten in der Stadt zu klein – im Mai 1936 erfasste eine Zählung lediglich 38 Personen im gesamten Kreis Hoyerswerda.

Hoyerswerda ‚judenrein‘

Im Juni 1939 verkündete das Blatt dann, dass Hoyerswerda ‚judenrein‘ sei, hier also keine als Juden verfolgten Menschen mehr leben würden.

Sicher ist gleichwohl: Allein durch die mediale Verbreitung gelangten die Pogromereignisse – etwa über die Zeitung – auch in Hoyerswerda zu Bekanntheit. Was sich am 9./10. November 1938 oder der Folgezeit genau in der Stadt ereignete, bleibt – sofern zu rekonstruieren – weiteren Untersuchungen vorbehalten.

Nachzulesen bei: Meusel, Günter: Geschichte der Stadt Bernsdorf, Bd. 3: Bernsdorf in der Zeit des Dritten Reiches 1933-1945, Cottbus 2005, S. 167-176.

Flöha am 10. November 1938

1933 lebten in der Stadt Flöha nach amtlicher Zählung nur noch 34 Menschen jüdischer Religionszugehörigkeit. Im Zuge der Novemberpogrome wurden auch fünf Männer aus dem Kreis Flöha verhaftet.

‚Kauft nicht bei Juden‘

Am 10. November 1938 kam es in der Stadt offensichtlich ebenfalls zu einer antisemitischen Aktion, obwohl man offenbar keine als Juden Verfolgte vor Ort hatte: Der NSDAP-Ortsgruppenleiter – im Adressbuch von 1938 findet sich der Name Hermann Seltmann, der möglicherweise auf noch im Herbst des Jahres diese Funktion innehatte – ergriff die Initiative: Durch den Ort fuhr ein Lkw mit Sprechchor und Transparent mit der Aufschrift ‚Kauft nicht bei Juden‘.

Dieser Geschichte im Rahmen weiterer Forschungen noch tiefgründiger nachzugehen,  lohnt sich, denn sie zeigt: Auch dort, wo es keine als Juden verfolgten Menschen mehr gab, fanden die Pogrome ihren Niederschlag in antisemitischen Handlungen.

Nachzulesen bei: Stein, Dietmar, Erinnerung an jüdische Schicksale, in: Freie Presse [Flöhaer Zeitung] (09.11.2012), S. 11.

Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (11): Der Synagogenbrand (IV)

Zu den Augenzeugen, die einen guten Blick auf das Grundstück der Dresdner Synagoge und damit am 9./10. November 1938 auch auf die dortigen Pogromereignisse hatten, gehörte die 1930 geborene Eva Köllnberger.

Wohnung mit Blick auf das brennende Gotteshaus

Die Familie wohnte Marschallstraße 1 an der Ecke zum Elbberg. Am 9. November, dem Geburtstag der Mutter, durfte Eva Köllnberger bis zum Abschied der Gäste wachbleiben. Leider ist nicht genau bekannt, um welche Uhrzeit dies war. In ihren Erinnerungen wurde die gerade einmal Achtjährige mit dem Ruf „Die Synagoge brennt!“ wohl aus dem ersten Schlaf gerissen. Von ihrem erhöhten Standpunkt aus konnte die Familie das Ausmaß des Brandes erahnen. Sie erlebte auch den Zusammenbruch der Kuppel. Die Fensterscheiben der Wohnung seien durch das Feuer ganz heiß geworden.

Wieder nur Indizien

Leider gab auch Köllnberger keine genaue Chronologie des Abends und der Nacht, doch deuten auch ihre Darstellungen darauf hin, dass das Feuer schon am Abend des 9. November gelegt worden sein könnte.

Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (10): Der Synagogenbrand (III)

Auch der 1933 geborene Dieter H. erinnerte sich an den Brand der Dresdner Synagoge. Mit seinem Vater sei er als kleiner Junge zu dem brennenden Gotteshaus gegangen, bei dem einer der Türme – wohl die Kuppel – ganz schief gestanden hätte.

Kindliche Erinnerung als Indiz zur Chronologie des Dresdner Synagogenbrandes?

Natürlich war H. zum Zeitpunkt des Dresdner Pogroms gerade einmal fünf Jahre – und doch hatte sich ihm die Begebenheit gleichsam eingebrannt. Auch, wenn H. in der Erinnerung nur vermuten kann, wann er an der brennenden Synagoge gestanden habe, so lässt doch zumindest das Alter des Jungen vermuten, dass er nicht mitten in der Nacht zu dem Gebäude mitgenommen worden sein wird.

Ein weiteres Indiz für eine frühe Inbrandsetzung der Dresdner Synagoge also?

Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (9): Der Synagogenbrand (II)

Eine der Aussagen, die die nächtliche Inbrandsetzung der Dresdner Synagoge in Frage stellt, stammt von dem 1938 in Dresden als Soldat stationierten Hans Schneider. Schneider erinnerte sich 1998, als die Plane für den Neubau einer Synagoge in Dresden konkrete Formen annahmen, an seine Erlebnisse am 9. November 1938.

Ein Leserbrief

Er schrieb dazu einen Leserbrief, der am 16. November 1998 in der Sächsischen Zeitung zum Abdruck kam. Darin heißt es:

„Eines Nachmittags – es wurde schon dunkel – kamen einige Kameraden aus der Stadt und berichteten: ‚Dort in der Stadt brennt die Synagoge!‘ Daß es irgendwo mal brannte, war ja nichts Außergewöhnliches, und die übliche Diskriminierung und Boykotthetze gegen die Juden war uns nichts Neues, aber gleich ihre Kirche? Davon, daß die „kochende Volksseele“ das alles organisiert hatte, hatten wir natürlich keine Ahnung. Ich fuhr mit ein paar Kameraden mit der Straßenbahn Linie 9 (die Endhaltestelle war ja direkt vor der Kaserne) in die Stadt. Schon auf der Augustusbrücke sahen wir das Feuer. An der Hofkirche stiegen wir aus und liefen über die Brühlsche Terrasse. Um die Synagoge standen ca. 25 bis 30 Leute und starrten auf die Flammen, die aus der Kuppel schlugen. Kaum jemand sprach ein Wort. Und das war für mich das Erschütterndste, das ich bis heute nicht vergessen kann: Das betretene Schweigen der Umstehenden. Ich fragte ein paar junge Leute, die in einer Gruppe da mit rumstanden: ‚Wo ist denn die Feuerwehr, es muß doch gelöscht werden!‘ Zunächst bekam ich überhaupt keine Antwort, nur ein Achselzucken. Einige feixten vielsagend, bis mir einer erklärte: ‚Ja die Feuerwehr war wohl da, aber die haben bloß so bissel getan und waren im Übrigen in der Hauptsache damit beschäftigt, erst mal eine große Bresche in die Mauer zu schlagen.‘ Es fielen auch hämische Bemerkungen. Das alles war mir völlig unverständlich. Als ich dann weiter fragte, zog mich ein Kamerad am Ärmel: ‚Komm, hör auf, das gibt bloß Ärger!‘ Wie es dann weiterging, wissen wir ja nun alle.“

Schneider erinnerte sich, dass er von dem Brand der Synagoge am späten Nachmittag als es schon dunkel gewesen sei, erfahren habe. Seine Erinnerungen deuten also darauf hin, dass das Dresdner Gotteshaus schon am Abend des 9. November 1938 in Flammen aufging – und eben nicht erst in den Nachtstunden. Leider ist Schneider bereits vor einigen Jahren verstorben und kann nicht noch einmal selbst zu dem Sachverhalt befragt werden.

Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (8): Der Synagogenbrand (I)

Wann genau brannte die Dresdner Synagoge? Diese Frage kann ich bislang noch nicht abschließend beantworten. Die Dresdner Zeitungen verlegen den Brand in die Nachtstunden. Die ‚Dresdner Neuesten Nachrichten‘ schrieb darüber am 10. November 1938: „Während der Nacht geriet die Synagoge am Zeughausplatz in Brand. Das Gebäude brannte völlig aus. Es gelang der Dresdner Feuerwehr, die umliegenden Wohngebäude zu halten.“

Zeitangaben im Dresdner Anzeiger

Ausführlicher und mit einer Zeitangabe berichtete der ‚Dresdner Anzeiger‘ vom 10. November: „In der Nacht zum Donnerstag gegen 2.10 Uhr wurde die Feuerwehr nach dem Zeughausplatz gerufen. Dort stellte sie fest, daß in der Synagoge ein Feuer ausgebrochen war, das in dem völlig ausgetrockneten Gestühl des Judentempels rasend um sich griff. Innerhalb kürzester Zeit stand die gesamte Synagoge in Flammen, so daß es den Feuerwehrmännern nicht mehr möglich war, in das Innere einzudringen.

Die Feuerwehr mußte sich darauf beschränken, die umliegenden Wohngebäude und die an den Tempel angrenzende Holzhandlung vor den Flammen zu schützen. Das Feuer hatte sich bald bis zur Kuppel hinaufgefressen und gegen 4 Uhr war die Synagoge ein riesiges Flammenmeer. Kurz darauf stürzte die Kuppel der Synagoge ein. Damit war die Hauptkraft der Flammen gebrochen.“

Offene Fragen

Wurde die Synagoge also erst in der Nacht in Brand gesteckt, wie es auch der ‚Freiheitskampf‘ am 11. November 1938 berichtete? Erreichten die Befehle also wie in Leipzig auch hier die Organisatoren der Gewalt erst gegen Mitternacht? Zumindest die Forschung ging bislang davon aus, dass die Angaben in den Zeitungsberichten korrekt waren. Überlieferungen der Brandberichte der Feuerwehr, die mehr Klarheit hätten geben können, sind indes nicht überliefert. Interessant scheint es, auch die Augenzeugenberichte noch einmal näher mit Blick auf die Chronologie in Augenschein zu nehmen.

Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (7): Die Zerstörung der Geschäfte (IV)

Obwohl ich bislang nur wenige Augenzeugenberichte zu den Dresdner Geschäftszerstörungen kenne, bildeten sie mit großer Sicherheit einen, wenn nicht gar den zentralen Gesprächsstoff der nächsten Tage.

Gespräch unter Schülern

Wie in Leipzig, so waren die Pogromzerstörungen auch in Dresden Gesprächsthema unter Schülern. Dabei ging es auch um zerstörte Geschäfte, wie Horst Winkler in seiner Autobiografie 1970 erinnerte: „Am 10. November sprachen alle Schulkameraden über den Sturm der SA durch die Dresdner Hauptgeschäftsstraßen. Jüdische Geschäfte hätten sie zertrümmert. Bei Pelz-Hirsch in der Prager Straße habe man alle Pelze geklaut.“

Er benennt dabei eines der Geschäfte, die konkret vom Pogrom betroffen waren: Das Modewaren- und Pelzgeschäft Hirsch & Co. auf der Prager Straße 6/8, das unter anderem Mitgliedern der Familie Merländer gehörte.

Der 1922 Geborene, der sich der Ereignisse im Nachhinein erinnerte, die er als Jugendlicher erlebt hatte, offenbarte in seinen Aufzeichnungen auch die seither stattgefundene Auseinandersetzung und sein allgemeines Wissen um die Pogromereignisse, wenn er im selben Atemzug schreibt: „Wie in Dresden hatten sie in ganz Deutschland gehaust …

Siebentausendfünfhundert jüdische Geschäfte zerstört, einhundertsiebenundsiebzig Synagogen in Flammen gesetzt, sechsundneunzig Betsäle [die Zahlen waren deutlich höher – Anm. DR] geschändet! Das war die ‚Kristallnacht‘.“

Zit. nach: Winkler, Horst: Einer vom Jahrgang 22. Autobiographie, Berlin 1970, S. 92 f.

Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (6): Die Zerstörung der Geschäfte (III)

Zu den Berichten über konkrete Übergriffe auf einzelne Dresdner Geschäfte zählt der des inzwischen verstorbenen Rolf W. Dieser erinnerte sich, wie er mit dem Fahrrad durch die Innenstadt gefahren sei und gesehen habe, wie ‚Braunhemden‘ (also SA-Leute) bei einem Juwelier geplündert hätten.

Der Laden seiner Kindheit

In der Erinnerung war W. empört, dass ‚sein‘ Schmuckgeschäft angegriffen worden sei: Wie oft hatte er „in der Weihnachtszeit vor dem Schaufenster gestanden und all den Glanz, den Flitter, das Märchenhafte der sich drehenden, über und über mit Gold und Edelsteinen geschmückten Pyramide bewundert. Seine Träume zerschlagen und geschändet!“ Verstanden habe er das nicht.

Für den Hinweis auf diese Augenzeugenaussage danke ich Uwe Schieferdecker, der das entsprechende Zeitzeugengespräch führte. Das Zitat stammt aus seinem Buch: Schieferdecker, Uwe: Treffpunkt Hauptbahnhof … unterm Strick. Einkauf „auf Nase“ bei Renner, 2. Aufl., Kassel 2007, S. 71.