Tag Archives: Judenverfolgung

Hilfe für die Verfolgten (1): Das Büro Grüber

Zu den Einrichtungen, die insbesondere nach den Novemberpogromen von 1938 als ‚Juden‘ Verfolgten halfen, gehörte eine, von dem Berliner Pfarrer Heinrich Grüber eingerichtete und geleitete Hilfsstelle, die vor allem von Mitgliedern der Bekennenden Kirche unterstützt wurde. Viele der von Grüber angefragten Kirchenautoritäten und -stellen versagten sich weiterreichender Unterstützung.

Zielgruppe waren jene Christen, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft als ‚Nichtarier‘ verfolgt wurden. Neben finanzieller Unterstützung, Rechtsberatung und Seelsorge bemühten sich die Mitarbeiter auch darum, die Auswanderung von Verfolgten soweit als möglich zu fördern.

Grüber selbst hielt mit Blick auf die Novemberpogrome in seinen Erinnerungen fest: „Wenn es Tage in unserer Zeitgeschichte gibt, deretwegen uns Deutschen immer wieder die Schamröte ins Gesicht treten muß, dann sind es vor allem die Novembertage 1938“ (Grüber, Heinrich: Erinnerungen aus sieben Jahrzehnten, 2. Aufl., Köln, Berlin 1968, S. 109).

Das ‚Büro Grüber‘ und seine sächsischen Außenstellen

Das Büro Grüber unterhielt Außenstellen in zahlreichen deutschen Städten – eine Aufstellung vom Mai 1939 listet 21 Orte (vgl. Meier, Kurt: Kirche und Judentum. Die Haltung der evangelischen Kirche zur Judenpolitik des Dritten Reiches, Halle an der Saale 1968, S. 110 f.). Drei dieser Vertrauensstellen befanden sich in Sachsen.

Chemnitz

In Chemnitz agierte der im Ruhestand befindliche Pfarrer Karl Richard Mensing (1863-1953) als Vertrauensmann für den Kirchenbezirk Zwickau-Chemnitz. Mensing war aufgrund des ‚Arierparagraphen‘ in den Pfarrernotbund eingetreten und wegen seines Engagements als ‚Judenpastor‘ angefeindet (vgl. Krohn, Benjamin: Illusionen und Spaltungen – Die evangelisch-lutherische Kirche in Chemnitz während des Nationalsozialismus: Viertel, Gabriele; Weingart, Stephan; Pfalzer, Stephan; Kaden, Werner (Redak.): Chemnitz in der NS-Zeit. Beiträge zur Stadtgeschichte 1933-1945, Leipzig 2008, S. 123–144, hier: S. 133).

Leipzig

In Leipzig oblag die Arbeit dem Pfarrer der Thomaskirche, Walter Böhme, der Hilfe für die Verfolgten leistete. Böhme nahm diese Aufgabe ab September 1938 wahr.

Dresden

In Dresden wurde zunächst Sekretär des Landesbruderrats Martin Richter (1886-1954) als Vertrauensmann eingesetzt. Unterstützt wurde die Arbeit durch Max von Loeben (1879-1958), der aufgrund eines jüdischen Großvaters selbst verfolgt war, und durch Hans Feder, der ‚Nichtariern in privilegierter Mischehen‘ betreute (vgl. Feurich, Anneliese: Die Vertrauensstelle des „Büros Grübner“ in Dresden, in: Kirchliche Bruderschaft Sachsens (Hg.): Juden und Christen. Kinder eines Vaters, Dresden [1988], S. 59–71, hier: S. 60-64).

Das Ende des Büros Grüber

Mit dem Beginn des Krieges und den ersten Deportationen von Juden engte sich der Spielraum des Büros Grüber immer weiter ein. Grüber selbst wurde am 19. Dezember 1940 von der Gestapo verhaftet und kam ins Konzentrationslager Sachsenhausen. Sein Mitarbeiter Werner Sylten, der die Berliner Geschäftsstelle abwickelte, wurde Ende Februar 1941 verhaftet, kam ins Konzentrationslager Dachau und wurde im Folgejahr in der österreichischen Euthanasie-Anstalt Hartheim ermordet. Damit endete die Arbeit der Hilfsstelle (dazu und zur Biografie Werner Syltens vgl. Röhm, Eberhard; Thierfelder, Jörg: Juden, Christen, Deutsche, 1933-1945, Bd. 3, 2, Stuttgart 1995, S. 294-330).

Strafverfolgung (2): Die Ahndung des Mordes an Hermann Fürstenheim nach 1945

Zumindest einige der Mörder des Chemnitzer Tietz-Geschäftsführers Hermann Fürstenheim wurden nach Kriegsende strafrechtlich belangt.

Der Fall des SS-Rottenführers Guido Immerthal

Bereits am 18. November 1947 erließ das Amtsgericht Chemnitz einen Haftbefehl gegen den 1909 geborenen Guido Immerthal. Am 5. Februar 1948 wurde er in U-Haft genommen, zunächst jedoch auf Kaution im August des Jahres wieder entlassen. Am 6. April 1951 wurde der als Kaufmann in München lebende Immerthal erneut in Untersuchungshaft genommen. Wegen Beihilfe zum Mord erhielt er 1953 nach Revision eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren.

Immerthal war Anfang 1930 in die SA und ein Jahr später in die NSDAP eingetreten. Im Oktober 1932 wurde er Rottenführer bei der Allgemeinen SS. Während des Krieges gehörte er zum Personal des Konzentrationslagers Stutthof (vgl. Diamant, Adolf: Chronik der Juden in Chemnitz heute Karl-Marx-Stadt. Aufstieg und Untergang einer jüdischen Gemeinde in Sachsen, Frankfurt am Main 1970, S. 159 f.).

Der Fall des SS-Rottenführers Kurt Müller

Auch den zu diesem Zeitpunkt 53-jährigen ehemaligen SS-Rottenführer Kurt Müller holte seine Beteiligung am Fürstenheim-Mord ein. Im Dezember 1961 wurde sein Fall beim Landgericht Tübingen verhandelt. Der Fall wurde dann an das Oberlandesgericht Stuttgart abgegeben, dass Müller am 18. Juni 1962 von dem Vorwurf der Beteiligung an der Tat mangels Beweisen freisprach (vgl. ebd., S. 162 f.).

SA-Obersturmführer Werner Görner und SA-Sturmbannführer Werner Puchta

Zum Zeitpunkt der Urteile gegen Immerthal und Müller blieben die anderen beiden Tatbeteiligten anscheinend unbehelligt. Nach dem 1907 in Plauen geborenen Werner Görmer fahndete zwar die Staatsanwaltschaft des Landgerichts Paderborn (vgl. ebd. S. 163). Werner Puchta blieb anscheinend unbehelligt.

Strafverfolgung (1): Das Oberste Parteigericht der NSDAP deckt die Täter

Nach den Pogromereignissen wurden die Staatsanwaltschaften seitens des Reichsjustizministeriums instruiert, Haftbefehle gegen Personen, die sich an der Gewalt beteiligt hatten, zu untersagen. Die Verfolgung von Delikten lag damit bei der Gestapo (vgl. Mommsen, Hans: Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa, Göttingen 2014, S. 101).

Das Oberste Parteigericht der NSDAP

Delikte wie Mord, Vergewaltigung und nicht angeordnete Aktionen wurden durch den Stellvertreter des Führers an das Oberste Parteigericht der NSDAP verwiesen. Von November 1938 bis Februar 1939 verhandelte es die Mordfälle, sprach jedoch in den meisten Fällen Freisprüche aus (vgl. Graml, Hermann: Der 9. November 1938. „Reichskristallnacht“, Bonn 1955, S. 50 f.).

Auch die Mörder von Hermann Fürstenheim in Chemnitz, der SA-Sturmbannführer Werner Puchta, der SA-Obersturmführer Werner Görmer, der SS-Scharführer Guido Immerthal und der SS-Rottenführer Kurt Müller, wurden lediglich verwarnt und ihnen wurde für ein Jahr das Recht zum Tragen von Schusswaffen aberkannt (vgl. Rascher, Felix: Die Kristallnacht. 9. November 1938, Fulda [1958], S. 18; Diamant, Adolf: Chronik der Juden in Chemnitz heute Karl-Marx-Stadt. Aufstieg und Untergang einer jüdischen Gemeinde in Sachsen, Frankfurt am Main 1970, S. 161)

Spielraum für Gewaltexezesse

Der Bericht des Obersten Parteigerichts vom 13. Februar 1939 hielt jedoch auch fest, dass die von Joseph Goebbels am Abend des 9. November 1938 in München gehaltene antisemitische Brandrede breiten Auslegungsspielraum für die Gewalt und insbesondere auch die Morde eröffnete. Goebbels hatte in seiner Rede betont, dass die NSDAP und ihre Gliederungen zwar nichts vorbereiten, aber ‚spontanen‘ Ausschreitungen auch nicht entgegentreten sollten.

Mordfälle (2): Felix Cohn und Rachmiel Preismann in Leipzig

In Leipzig wurden zwei Personen im direkten Zusammenhang mit den Novemberpogromen ermordet; weitere starben in der Folgezeit aufgrund von Verletzungen oder in den Konzentrationslagern.

Der Arzt Felix Benno Cohn

In den Morgenstunden des 10. November 1938 stürmte die Gestapo die Praxis des 1891 in Memel geborenen Arztes Felix Cohn am Nordplatz 3. Dabei schossen sie durch die Praxistür und verletzten Cohn schwer. Der Arzt starb wenig später im Leipziger Polizeigefängnis.

An ihn erinnert heute ein Stolperstein.

Der Kaufmann Rachmiel Preismann

Weniger ist bislang über das Schicksal des 1893 in Vilnius geborenen Kaufmanns Rachmiel Preismann bekannt, der in der König-Johann-Straße 20 lebte. Er kam vermutlich unter ähnlichen Umständen am 10. November 1938 ums Leben.

Siehe auch: Held, Steffen: Novemberpogrom 1938 und das Entstehen einer Erinnerungskultur, in: Leipziger Volkszeitung (16.06.2017).

Mordfälle (1): Hermann Fürstenheim in Chemnitz

Im direkten Kontext der Pogromereignisse sind für Sachsen bislang drei Mordfälle bekannt.

Die Ermordung von Hermann Fürstenheim in Chemnitz

In Chemnitz drangen in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 vier SA- und SS-Männer in die Villa das Tietz-Geschäftsführers Hermann Fürstenheim in der Weststraße 4 ein. Sie schleppten ihn in den Keller und töteten ihn mit mehreren Schüssen. Die Leiche wurde behördlich konfisziert, verbrannt und die Asche dann seiner Ehefrau Ida zugestellt.

Erinnerung in Chemnitz

Heute erinnern an den 1877 geborenen Fürstenheim eine Gedenktafel an seiner ehemaligen Villa und ein Stolperstein auf dem Vorplatz des Tietz.

Angaben nach: Diamant, Adolf: Chronik der Juden in Chemnitz heute Karl-Marx-Stadt. Aufstieg und Untergang einer jüdischen Gemeinde in Sachsen, Frankfurt am Main 1970, S. 137).

„Reichskristallnacht“ – Nachtrag zum Begriff

Wie bereits bemerkt, ist der Begriff ‚Reichskristallnacht‘ heute weitestgehend durch den Terminus ‚Pogrom‘ abgelöst.

Debatten Ende der 1950er-Jahre

Schon Ende der 1950er-Jahre, als sich die Pogromereignisse zum zwanzigsten Mal jährten, wurde über die dafür gebrauchten Begriffe debattiert. In einem Vortrag zur Geschichte der Juden in der Weimarer Republik brachte es Eva Reichmann, die Leiterin der Forschungsabteilung der Wiener Library in London, mit folgenden Worten auf den Punkt:

„Ob Reichskristallnacht oder nicht Reichskristallnacht – da diese ominöse Frage des Ausdrucks hier angeschnitten worden ist, darf ich vielleicht sagen, daß ich es auf diesem Gebiet mit den Worten von Albrecht Goes halte, der einmal gesagt hat, man solle von der Novembernacht des Jahres 1938, der Nacht, in der die Synagogen brannten, nicht, wie es heute unter uns oft geschieht, als von der Kristallnacht reden. Kristallnacht – ein solches Wort wecke Vorstellungen von Dummenjungenstreichen oder allenfalls von mutwilliger Büberei. Was damals in Wirklichkeit geschah, war das Verbrechen des Sakrilegs. Der Geist nimmt uns in Pflicht. Man darf nicht verharmlosen – auch in Worten nicht – gerade in Worten nicht“ (Reichmann, Eva: Die Lage der Juden in der Weimarer Republik, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Die Reichskristallnacht. Der Antisemitismus in der deutschen Geschichte, 2. Aufl., Bonn 1960, S. 19-31, hier: S. 19).

Aus der Sicht der Verfolgten

Reichmann, die 1897 als Eva Gabriele Jungmann im schlesischen Lublinitz geboren wurde, war selbst von den Pogromen betroffen: Nachdem ihr Mann in Folge derselben einige Zeit im Konzentrationslager Sachsenhausen einsaß, emigrierte das Paar 1939 nach England.

Reichmann, die als Soziologin und Publizistin Bekanntheit erlangte, starb im September 1998 in London.

Literaturhinweis: Eva Reichmann, Die Flucht in den Haß. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1958.

Die Zionskirche in Dresden: Namensstreit im Angesicht der Pogrome

Die sächsischen Pogromereignisse zeitigten an einigen Stellen aus heutiger Sicht seltsam erscheinende Auswüchse, auch in Kirchenkreisen

Die Forderung der Umbenennung der Zionskirche am 10. November

In Dresden wendete sich der Präsident des Evangelisch-lutherischen Landeskirchenamts Sachsen, der seit 1925 der NSDAP angehörende Jurist Johannes Klotzsche, an den Kirchenvorstand der Zionskirchgemeinde. Er forderte einen Eilbeschluss zur Umbenennung der Kirche, da man – mit Blick auf die Pogromgewalt der vorhergehenden Nacht – nicht wissen könne, was in der kommenden Nacht noch passieren werde. Der am Kirchengebäude angebrachte Spruch „Lobe Zion Deinen Gott“ sollte verdeckt werden.

Fortsetzung des Namensstreits

Die Gemeindeverantwortlichen um Pfarrer Ringulf Siegmund waren nicht bereit, der Forderung einfach nachzukommen. Letztlich entschied die Kirchenkanzlei in Berlin, dass der Name Zion durchaus nicht als ‚jüdisch‘ anzusehen sei, sondern zum christlichen Sprachgebrauch gehöre. Sollten allerdings lokale Umstände eine Umbenennung einer Kirche erfordern, so wäre diese zu bedenken.

Obwohl die Entscheidung die Möglichkeit der Umbenennung eröffnete, änderte sich in Dresden erst einmal nichts. Der in der Südvorstadt befindliche Kirchenbau wurde schließlich bei den Luftangriffen 1945 zerstört. Die überdachte Ruine dient der Stadt Dresden heute als Lapidarium.

Kirchenumbenennung in Bremen

Anders, als in Dresden, entschied man im Dezember 1940 in Bremen: Die dortige, zur St.-Pauli-Gesamtgemeinde gehörende Zionskirche wurde mit Zustimmung der Gemeindeleitung in Kreuz-Kirche umbenannt.

Auch wurden in Kirchen immer wieder hebräische Inschriften wie Symbole entfernt und ‚eingedeutscht‘. Nicht anders erging es vor allem in deutschchristlichen Kreisen mutmaßlich ‚jüdischen‘ Textteile in Kirchenliedern.

Die Grundlage für diesen Beitrag bildet:

Röhm, Eberhard; Thierfelder, Jörg: Juden, Christen, Deutsche, 1933-1945, Bd. 3, 2, Stuttgart 1995, S. 59–71.

Die digitale Rekonstruktion zerstörter Synagogen in Sachsen (2): gepam.eu

Eine digitale Rekonstruktion der Dresdner Synagoge entstand auch im Rahmen eines grenzüberschreitenden Projekts der Technischen Universität Dresden und der Gedenkstätte Terezín (gepam.eu).

‚Jüdische Orte‘ im digitalen Stadtplan

Die Ergebnisse des Projektes sind seit Juni 2014 online verfügbar. Sie ermöglichen dem Nutzer anhand eines Stadtplans mit Hilfe der Google Earth-Software, digital rekonstruierte Orte jüdischen Lebens vor 1938 und ihre Geschichte – vielfach also ihre Zerstörung infolge der Novemberpogrome als auch der Luftangriffe vom Februar 1945 – und Orte der Schoa sowie des Neuanfangs jüdischen Lebens in Dresden nach 1945 bis zum Neubau der 2001 geweihten Neuen Synagoge nachzuverfolgen.

Das Projekt gepam.eu lotet dabei auch die Möglichkeiten der Verknüpfung vorhandener digitaler Plattformen und Werkzeuge aus.

Die rekonstruierte Synagoge

Zu den hierbei digital rekonstruierten Gebäuden zählt auch die während der Pogrome zerstörte Synagoge mitsamt den beiden Gemeindehäusern an der Zeughausstraße. Die Perspektive ermöglicht, sich die Lage des Gebäudes vor Augen zu führen und so auch eine Orientierung mit Blick auf die für Dresden bekannten Fotografien zu den Pogromen zu erhalten.

Die digitale Rekonstruktion der Synagoge legt aber auch Problemfelder offen: So zeigt sie zwar eindeutig den Bau der Dresdner Synagoge, allerdings nicht vor den Pogromen im Jahr 1938, sondern früher: Ein noch 1935 errichteter Anbau an das Gebäude (zu erkennen auf der hier abgebildeten Grafik links am Synagogenbau) ist nicht zu erkennen.

Bildquellen:

Bruno Gimpel, Synagoge Dresden, 1938 (abgedruckt in: Jüdisches Gemeindeblatt Dresden 14, 12 (15.06.1938), S. 1).

gepam.eu (MitteleuropaZentrum der TU Dresden – mit freundlichem Dank).

Ausführliche Hinweise zum Projekt:

https://tu-dresden.de/gsw/slk/mez/projekte/gepam/gepam

Die digitale Rekonstruktion zerstörter Synagogen in Sachsen (1): Ein Projekt an der TU Darmstadt

Mit den technischen Möglichkeiten zur Erstellung digitaler Architekturmodelle wurde es ab den 1990er-Jahren möglich, auch zerstörte Synagogen virtuell zu rekonstruieren.

Das Projekt der Technischen Universität Darmstadt

1995 begann das Fachgebiet CAD in der Architektur der Technischen Universität Darmstadt mit der Sammlung von Material zu Synagogenbauten im deutschen Raum. Eine Datenbank erfasste schrittweise über 2.200 Gebäude.

Vor allem aber rekonstruierte das Team um Professor Manfred Koob und Diplomingenieur Marc Grellert mehrere Synagogenbauten, die den Novemberpogromen von 1938 zum Opfer gefallen waren. Ziel war nicht allein, den kulturell-architektonischen Verlust offenzulegen, den die Zerstörung der jüdischen Sakralarchitektur bedeutete. Es ging vielmehr auch um die Frage, inwiefern die digitalen Rekonstruktionen neue Formen des kulturellen Gedächtnisses und der Erinnerung hervorbringen würden.

Sächsische Synagogen in digitaler Rekonstruktion

Unter den rekonstruierten Synagogen finden sich auch drei der 1938 zerstörten jüdischen Glaubensorte in Sachsen: Die Dresdner, Leipziger und Plauener Synagoge. Online können sowohl Außen- als auch Innenarchitektur eingesehen werden.

Im Jahr 2000 präsentierte das Darmstädter Team seine Ergebnisse im Rahmen einer Ausstellung, die nicht nur Bilder, sondern einen filmischen Zugang (3D-CAD-Film) in die rekonstruierten Synagogen erlaubt.

Literaturhinweis:

Grellert, Marc: Immaterielle Zeugnisse. Synagogen in Deutschland, Bielefeld 2007.

Technische Universität Darmstadt, Fachgebiet CAD Architektur in der; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland; Institut für Auslandsbeziehungen (Hg.): Synagogues in Germany. A Virtual Reconstruction, Basel/Boston/Berlin 2004.

Zum Anliegen und den Motiven des Darmstädter Forscherteams außerdem:

Synagogenzerstörungen vor den Novemberpogromen 1938

Nicht erst während der Novemberpogrome wurden im Deutschen Reich Synagogen zerstört. Zu den frühsten davon betroffenen jüdischen Kultusbauten zählt die Synagoge in Hildburghausen, die schon 1933 abgerissen wurde. Allein 1938 wurden bis zu den Novemberpogromen mindestens 31 Synagogen geschändet oder zerstört. Nur im September fanden Anschläge auf Synagogen in mindestens einem Dutzend Orten statt, begleitet von antisemitischen Übergriffen.

Die Alte Synagoge in München

Eine der Synagogen, die dem Antisemitismus der Nationalsozialisten zum Opfer fiel, war die Alte Synagoge in München. Der 1887 geweihte Bau wurde vorgeblich aus verkehrstechnischen Gründen enteignet und im Juni 1938 abgerissen.

Die Synagoge am Hans-Sachs-Platz in Nürnberg

In der Stadt der Reichsparteitage wurde ab dem 10. August 1938 die Synagoge am Hans-Sachs-Platz abgerissen. Begründet wurde die Maßnahme mit städtebaulichen Motiven. Noch im Rahmen der Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Hauptverantwortlichen von Krieg und Massenmord, verteidigte sich der ehemalige Gauleiter und ‚Stürmer‘-Herausgeber Julius Streicher damit, dass der orientalische Bau angeblich nicht in das mittelalterliche Weichbild der Reichsstadt gepasst habe.

Die Alte Synagoge in Dortmund

In Dortmund wurde die Jüdische Gemeinde zum Verkauf des Grundstücks gezwungen, auf dem sich die Alte Synagoge befand. Noch im Sommer 1938 begann der Abriss des markanten Gebäudes, das 1900 eingeweiht worden war. Im Dezember des Jahres war der Abriss abgeschlossen.

Die Neue Synagoge in Kaiserslautern

Ein ähnliches Schicksal erfuhr auch die 1886 in Kaiserslautern eingeweihte Neue Synagoge. Auch hier waren es städte- und verkehrsbauliche Gründe, die für den erzwungenen Verkauf des Grundstücks an die Stadt in Stellung gebracht wurden. Nach einem Abschiedsgottesdienst am 29. August erfolgte dann der Abriss des Gebäudes.

Angaben zu den erwähnten Synagogenabrissen im Jahr 1938 sind u. a. entnommen:

Longerich, Peter: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München/Zürich 1998, S. 192 f.

Tabarelli, Petra: Zerstörung von Synagogen vor November 1938, Blogartikel unter 9nov38.de (2013).