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Pogrom und Popkultur (2): Kristallnaach

Zu den bekanntesten Songs zum Thema der Novemberpogrome gehört ‚Kristallnaach‘, das die Kölner Band BAP 1982 veröffentlichte.

Kristallnaach

‚Kristallnaach‘, das im Kölner Dialekt von Wolfgang Niedecken verfasst wurde, war ein Versuch der Band, sich mit der Frage des Neofaschismus in Europa auseinanderzusetzen. Das Erstarken rechter Kräfte und restaurativer Bestrebungen, die Auseinandersetzungen in der deutschen Vergangenheitsbewältigung führten dazu, dass in dem Stück bewusst die Novemberpogrome zum Thema gemacht wurden.

Hochdeutsche Sprache

2017 erfolgte die Aufnahme einer hochdeutschen Version des Liedes, mit der Niedecken das Projekt Demotapes unterstützte.

Pogrom und Popkultur (1): Be Deutsch!

Nicht nur in der Malerei und im Film, sondern auch in die Musik fand und findet das Thema der Novemberpogrome von 1938 Eingang. In der Regel verbinden sich damit konkrete politische Statements von Musikern und Produzenten angesichts aktueller Entwicklungen, die den Vergleich zum Herbst 1938 andeuten oder ziehen

Jan Böhmermann – Be Deutsch!

Ein aktuelles Beispiel ist das Musikvideo des durch seine Schmähkritik auf den türkischen Präsidenten bekannten Satirikers Jan Böhmermann. Unter dem Titel ‚Be Deutsch!‘ nahm das im Stil der Band Rammstein und in englischer Sprache verfasste Stück auf satirische Weise deutsche Tugenden in den Blick. Böhmermann bekräftigte die Fähigkeit zur Bewältigung der im März 2016, als der Song erschien, noch aktuellen Flüchtlingskrise und Fremdenfeindlichkeit.

Gleich am Anfang des Musikvideos wird der Bezug zum 9. November 1938 hergestellt. Die klar abgrenzenden Bezüge zu Nationalismus und Nationalsozialismus sind an mehreren Stellen ebenfalls hervorgehoben.

 

Pogromfolgen (1): Haftpsychose

Kurt Sabatzky, der als Syndikus des Jüdischen Centralvereins arbeitete, erlebte die Pogrome auf Dienstreise in Dresden. Hier wurde er am Morgen des 10. November 1938 verhaftet. Am Folgetag kamen er und weitere Gefangene aus dem Polizeigefängnis zunächst zur Gestapostelle. Schließlich erfolgte ihr Abtransport per Bahn ins Konzentrationslager Buchenwald.

In der Haft

In seinem späteren Bericht über seine Erlebnisse am 10./11. November 1938 schilderte Sabatzky auch einen Gefangenen im Polizeigefängnis. Dieser, etwa 60-jährige Mann habe eine Haftpsychose erlitten: Er habe geschrien und getobt. Am nächsten Tag sei er freigelassen worden.

Solche und ähnliche Fälle sind auch für die Konzentrationslager dokumentiert. Sie zeigen, welch enormer psychischer Stress auf den Verfolgten lastete.

Nachbarn als Täter (1): Ein Hausmeister in Leipzig

Wie nahe die Täter der Pogrome nicht selten wohnten, auch in den größere Anonymität versprechenden Großstädten, zeigt ein Fall in Leipzig.

‚Judenschweine!‘

Sascha Hammerstein, der auf dem Ranstädter Steinweg 49 wohnte, berichtete Jahre später von seiner Festnahme. Dabei habe sich besonders der Hausmeister des Grundstücks, K. Siegel, hervorgetan. Dieser habe sie nicht nur beschimpft, sondern ihnen auch den Wohnungsschlüssel weggenommen habe.

Sie seien in Richtung Parthe geführt worden, allerdings – so zumindest die Erinnerungen Hammersteins – durch den polnischen Konsul zunächst gerettet worden (Lange, Bernd-Lutz: Davidstern und Weihnachtsbaum. Erinnerungen von Überlebenden, Leipzig 1992, S. 157).

Protest (1): Die Angestellten der Leipziger Stadtreinigung

Im Zuge des Leipziger Pogroms forderte der Direktor der Leipziger Stadtreinigung seine Angestellten dazu auf, das jüdische Eitingon-Krankenhaus zu demolieren. Diese verweigerten jedoch das Ansinnen.

Das Krankenhaus war 1928 aus Mitteln der Chaim Eitingon-Stiftung errichtet worden. Die ebenfalls von Eitingon gestiftete Ez Chaim-Synagoge in der Otto-Schill-Straße brannte dagegen während des Pogroms gänzlich nieder.

Das Eitingon-Krankenhaus wurde dann am 15. Dezember 1939 auf Anweisung des sächsischen Gauleiters Martin Mutschmann von jüdischen Kranken geräumt.

Lastkraftwagen der Stadtreinigung

Gleichwohl blieb die Stadtreinigung an der Leipziger Pogromgewalt nicht gänzlich unbeteiligt: Es waren Lastkraftwagen aus ihrem Fuhrpark, mit denen mindestens die Mitgliederkartei und der Schriftverkehr aus den Büros des ‚Central-Vereins‘ in das Gebäude des SD-Oberabschnitts verbracht wurden.

Die Synagoge brennt: Eine Schulklasse in Chemnitz nach den Erinnerungen von Hans Reichmann

Hans Reichmann (1900-1964), Jurist und Rechtsanwalt, seit 1927 für Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens in Berlin aktiv, gehörte zu den im Zuge der Novemberpogrome Verhafteten.

Nach Sachsenhausen

Ausführlich schilderte Reichmann seine Situation und den Aufenthalt im Lager in seinen Erinnerungen, die 1998 im Druck erschienen (Reichmann, Hans, Deutscher Bürger und verfolgter Jude. Novemberpogrom und KZ Sachsenhausen 1937 bis 1939, München 1998). Nach seiner Inhaftierung kam er in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Nach seiner Entlassung am 28. Dezember 1938 verließen er und seine Frau Eva Reichmann schließlich im April 1939 das Deutsche Reich.

Schülergesang vor der Chemnitzer Synagoge

In seinen Erinnerungen nimmt Reichmann auch auf die Chemnitzer Pogromgewalt Bezug. Demnach hätten sich dort Schulkinder vor die brennende Synagoge gestellt und gesungen: ‚Die Synagoge brennt, die Synagoge brennt‘ (S. 248). Bislang konnte ich dieses Geschehen noch nicht durch anderen Quellen oder Berichte bestätigen. Gleichwohl, das zeigen auch die Pogrome in anderen sächsischen Orten, wurden viele Schüler teils sogar zwangsweise Zeugen der Ereignisse – oder nahmen aktiv daran teil.

Ein zerstörter Bücherschrank in Leipzig: Die Erinnerungen von Heinz Zaspel (2)

Heinz Zaspel in Leipzig erinnerte sich auch daran, dass sein Vater einem als Juden Verfolgten einen Schreibtisch und einen kaputten Bücherschrank, bei dem die Glasscheiben zerstört gewesen seien, zum Kauf angeboten habe. Dieser wollte mit dem Geld wohl emigrieren.

Tatsächlich, so Zaspels Erinnerungen, habe der Vater beide Möbelstücke gekauft – aus der Sicht der Darstellung des Sohnes also einem verfolgten Menschen geholfen.

Hilfe für die Verfolgten: Reparaturen

Tatsächlich gibt es mehrere Berichte für die von den Pogromen heimgesuchten sächsischen Orte, nach denen Nachbarn und Handwerker den von den Zerstörungen Betroffenen halfen, Wohnungen und Geschäfte zu sichern und auch Möbel wiederherzurichten, so etwa in Weißwasser. Sie taten dies nicht ohne Gefahr, wurden so zum Teil etwa von öffentlichen Aufträgen aufgrund ihrer ‚Hilfe für Juden‘ ausgeschlossen (zu Weißwasser siehe: Schubert, Werner: Beiträge zur Geschichte der Juden in Weißwasser. Eine bedeutsame Episode zwischen 1881 und 1945, Weißwasser in der Oberlausitz 2014, S. 118, 220).

‚Glasnacht‘ in Leipzig: Die Erinnerungen von Heinz Zaspel (1)

Dass die Pogrome vom November 1938 nicht nur unter dem Begriff ‚Reichskristallnacht‘ im Volksmund bekannt waren, zeigen die Erinnerungen eines Leipziger Zeitzeugen.

… in der Glasnacht versteckt

Heinz Zaspel, der in der Leipziger Färberstraße wohnte, erinnerte sich, dass sein bester Freund ein Jack Parnes gewesen sei. Tatsächlich weist das Adressbuch für Leipzig für 1938 die Familie eines Kaufmanns Adolf Parnes in der Parallelstraße der Färberstraße, der Leibnizstraße 21, aus. Parnes war als Jude verfolgt.

Gegenüber Bernd-Lutz Lange gab Zaspel an, dass er seinen Freund „in der Glasnacht“ im Stadtteil Marienbrunn in einem Keller versteckt habe (Lange, Bernd-Lutz: Davidstern und Weihnachtsbaum. Erinnerungen von Überlebenden, Leipzig 1992, S. 112 f.).

Sein Vater Paul Zaspel habe den Verfolgten zum Klempner ausgebildet, wobei er dann deswegen keine Lehrlinge mehr habe ausbilden dürfen.

Interessant ist, dass Zaspel neben den bekannten Begriffen hier noch einen weiteren Begriff nennt, unter dem die Pogrome firmierten: ‚Glasnacht‘ – in Anspielung auf die zerstörten Fensterscheiben. Auch für andere Orte ist die Verwendung des Begriffs durch die Zeitgenossen belegt, so etwa für Chemnitz.

Ein Ereignis, viele Begriffe

Im Volksmund gingen die Pogrome auch noch unter weiteren Begriffen ein, die Bezüge auf das Geschehen, auf die Geschichte oder auf das Datum nahmen und je nach Perspektive unterschiedlich aufgeladen waren:

  • ‚Martinsnacht‘
  • ‚Gläserner Donnerstag‘ (dort, wo die Pogromgewalt erst am 10. November 1938 einsetzte)
  • ‚Nacht der langen Messer‘
  • ‚Bartholomäusnacht‘
  • ‚Tag der deutschen Scherbe‘
  • ‚Reichstrümmertag‘
  • ‚Rath-Aktion‘
  • ‚Grünspan-Affäre‘
  • ‚Sonderaktion‘

(siehe dazu u. a.: Schmid, Harald: Erinnern an den „Tag der Schuld“. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, Hamburg 2001, S. 83).

Heute sind die Begriffe ‚Pogromnacht‘ und ‚Novemberpogrom(e)‘ am gebräuchlichsten.

9. November 1938 – 13. /14. Februar 1945 (4): Ein Buch

Im Jahr 2002, kurz nach der Weihe der neuen Dresdner Synagoge am Hasenberg, veröffentlichte der katholische Priester Michael Ulrich ein Büchlein dokumentarischen Charakters: Der Band beschäftigte sich vor allem mit dem Synagogenneubau und dem Wiederaufbau der Frauenkirche

Feuer im Kleinen, Feuer im Großen

Bereits der Titel: „Dresden – Nach der Synagoge brannte die Stadt“ zeigt den inneren Zusammenhang auf, den Ulrich zwischen Synagogenbrand und der Zerstörung des Stadt 1945 sieht. Ziel des Buches sei es, „[d]as oft zitierte Wort: ‚Erst brannte die Synagoge, dann brannte die Welt‘ […] am Beispiel Dresdens“ zu konkretisieren und veranschaulichen (Ulrich, Michael: Dresden – nach der Synagoge brannte die Stadt. Dokumente, Berichte und persönliche Zeugnisse, Leipzig 2002, S. 9).

Das Buchcover

Die Veranschaulichung der Verbindung zwischen 1938 und 1945 bietet bereits das Cover des Bändchens: Es zeigt den Schatten der während des Pogroms zerstörten Synagoge auf den Ruinen der luftkriegszerstörten Elbestadt

9. November 1938 – 13. /14. Februar 1945 (3): Eine Gedenkrede in Dresden 1988

Wie eng der Bezug zwischen dem Pogrom und den Luftangriffen sein konnte, zeigten auch Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 50. Jahrestags des Pogroms.

Eine Rede des Dresdner Oberbürgermeisters

Am 11. November 1988 fand in Dresden an der Stele am Hasenberg eine große Gedenkveranstaltung statt. Auch der damalige Dresdner Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer hielt eine Gedenkrede. Dabei forderte er, „den Zusammenhang zwischen den Opfern der Pogromnacht, des Weltkriegs und des 13. Februar 1945 in Dresden nicht zu vergessen und den Geist der antifaschistischen Tradition immer als aktuelle Verpflichtung zu sehen“ – so die Zusammenfassung seiner Rede im Nachrichtenblatt des Verbands der Jüdischen Gemeinden in der DDR (3/1989, S. 29).

Der Grundtenor von Berghofers Rede war dabei von einem antifaschistischen Selbstverständnis getragen, das die Symptome für Krieg und Zerstörung schon in der Gewalt des November 1938 angelegt sah.

Zum Pogrom- und Luftkriegsgedenken in Dresden zwischen 1945 und 1989 möchte ich auf die Magisterarbeit von Thomas Fache verweisen: Alliierter Luftkrieg und Novemberpogrom in lokaler Erinnerungskultur am Beispiel Dresdens (2007).