Category: Bruchstücke 1938|2018

Steinernes Gedenken (9): Ein Gedenktafel in Löbau

In Erinnerung an den Pogrom wurde auch in Löbau ein Gedenkstein in Form einer Menora am Promenandenring errichtet.

Die Weihe der Stele erfolgte 1988 im Kontext der offiziellen Gedenkveranstaltung anlässlich des 50. Jahrestags der Novemberpogrome. Sie ist heute Ort des jährlichen Pogromgedenkens.

Inschrift

Die Inschrift des Stein lautet:

„9. November
1938
Gedenke
Vergiss nie“

Eine Fotografie findet sich unter: http://www.loebaufoto.de/denkmal11.htm

Pogromereignisse in Löbau

Am 10. November 1938 war es im benachbarten Georgewitz zu einer antisemitischen Kundgebung und zur Festnahme von als Juden verfolgten Männern gekommen.

Dresden – Berichte von Augenzeugen (6): Ilse Frischmann

Zu den Augenzeugen, die in Dresden selbst als Jüdin verfolgt wurde, zählte auch Ilse Frischmann. Die auch durch ihre Bergsteigerleidenschaft bekannte Frischmann lebte mit ihren Eltern in der Markgrafenstraße in der Dresdner Neustadt.

Pogromübergriffe gegen kleine Geschäftsinhaber

Später erinnerte sich Frischmann wie folgt:

„Wir wohnten damals in der Markgrafenstraße, Ecke Louisenstraße. Meine Mutter hatte einen kleinen Laden mit Tabakwaren und Briefmarken. Untern im Haus war unser Laden, aber unsere Wohnung war im dritten Stock, mit Küche, Schlafzimmer und meinem Zimmer. […]. In unserem Haus wohnte ein Gestapomann, Köhler, der uns das Leben schwer machte. Er brachte eines Tages an und in unserem Haus gelbe Schilder an mit der Warnung, wir, die Frischmanns, seien Juden und wer mit uns verkehrt, sei ein Staatsfeind.

In der Nacht des 9. November 1938 kamen SA-Männer mit Lastwagen und Fackeln laut grölend durch unsere Straße. Wir standen am Fenster, hinter den Gardinen, und sahen, wie sie das Textilgeschäft von Natowitz verwüsteten. Dann splitterten in unserem Haus unten die Scheiben“ (abgedruckt in: Stellmacher, Hildegard (Red.): Juden in Sachsen. Ihr Leben und Leiden, Berlin 1994, S. 96).

Nicht nur das Geschäft der Mutter war in der Neustadt betroffen, sondern auch das von Ignatz Natowitz auf der Louisenstraße 55.

Plauen – Berichte von Augenzeugen (2): Siegfried Gentsch

Auch Siegfried Gentsch erlebte die Pogromgewalt in Plauen, die er in seinen 1999 erschienenen Kindheitserinnerungen niederschrieb (Gentsch, Siegfried: Meine Kindheit im tausendjährigen Reich. Ein Plauener berichtet aus seinem Leben, Berlin 1999).

Geschäftszerstörungen

Gentsch erinnerte:

„Ein weiteres spontanes, aber dafür um so tiefgründigeres Erlebnis hinterließ bei mir im Jahre 1938 die Reichskristallnacht, wo gerade diese Uniformierten Fenster einwarfen, Läden zerstörten sowie Menschen verschleppten oder fast zu Tode prügelten – und die Polizei sah tatenlos zu oder war überhaupt nicht präsent. Daß es sich bei den betroffenen Personen um Juden handelte, dafür besaß ich als Steppke kein Verständnis; für mich waren es Menschen, denen Böses geschah, denen man eigentlich helfen müßte. Für mich tat sich in diesem Zusammenhang ein tiefer Widerspruch auf. Nämlich der, wenn wir als Kinder eine Fensterscheibe einschlugen oder ein kleineres Kind verprügelten, dann war die Polizei sofort präsent, bestrafte uns und wir bekamen obendrein vom Vater noch Maulschellen. Aber in diesem Falle durften erwachsene Uniformierte all solches tun; ja, sie erhielten von einer nicht geringen Anzahl an Zuschauern Beifall und wurden teilweise sogar aufgefordert, noch härter durchzugreifen. Meinen Vater, der mit diesem pöbelhaften Vorgehen der SA, SS und der Hitlerjugend sicher nicht einverstanden war, erlebte ich das erste Mal sprachlos. Er gab mir auf meine Fragen keine Antwort und versuchte ständig, das Gespräch in eine andere Richtung zu drängen. Meine Mutter erklärte sich mit dem Vorgehen ihrer Parteigenossen nicht einverstanden, denn als sanftmütiger Mensch verabscheute sie gewaltsames Vorgehen gegen Menschen. In ihrer Ratlosigkeit versuchte sie mich und sich selbst mit der Annahme zu beruhigen, daß diese Ausschreitungen offensichtlich nur die Handlung einzelner seien, die vom Führer sicher dafür bestraft würden. us der heutigen Sicht ist eine solche Naivität nahezu erschreckend. Aber es gab eine Reihe anderer, die ebenso dachten und damit ihr eigenes Gewissen beruhigen wollten. In welche Gewissenskonflikte solche Menschen einige Jahre später kommen sollten, kann man nur ahnen“ (S. 13 f.).

Gentsch war im November 1938 gerade einmal sechs Jahre. Er starb 2003 in Plauen.

Plauen – Berichte von Augenzeugen (1): Joachim Frotscher

1938 war Joachim Frotscher in Plauen gerade einmal elf Jahre, als er den Brand der Synagoge erlebte. Besonders beschäftigte Frotscher, der in einer adventistischen Familie aufwuchs, dass seine Gemeinde nicht einmal ein Wort der Anteilnahme gegenüber den als Juden Verfolgten gezeigt habe.

Ich schäme mich dafür

In einem Interview äußerte er sich Anfang 2003 wie folgt:

„Auch unsere Familie schwieg. Wie konnte es sein, dass sich niemand in unserer Gemeinde, nicht ein einziger, darüber empörte? Wir sahen die Synagoge brennen, aber ich hörte kein Wort des Mitleids oder der Anteilnahme aus dem Mund meiner Eltern. Man nahm die Ereignisse zur Kenntnis – es sprach sich schnell herum, dass die SA den Brand gelegt hatte – und schob den Juden die Schuld zu. Sie wären für ihr Unglück selbst verantwortlich. Sie hätten doch in Jerusalem gerufen: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.‘ Nun müssten sie die Folgen ihrer Einstellung tragen […] Was mich bis heute besonders bedrückt hat, ist die Tatsache, dass wir als Adventgemeinde in Plauen in dieser bitteren Stunde einfach nur schwiegen und wegschauten. Dieses ‚Warum‘ quält mich. Ich schäme mich dafür“ (zitiert in: Heinz, Daniel: Missionarische Offenheit in der Welt, ideologische Anpassung in Deutschland: Siebenten-Tags-Adventisten und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Heinz, Daniel (Hg.): Freikirchen und Juden im „Dritten Reich“. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld, Göttingen 2011, S. 281–308, hier S. 296).

Auf dem ehemaligen Synagogengrundstück steht heute die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Plauen.

 

Ein Davidstern aus Bautzen und seine Geschichte

Zu den Objekten, die die Pogromgewalt überstanden, gehört auch ein Davidstern aus Bronze. Der Stern stammt aus der Betstube der Jüdischen Gemeinde in Bautzen

Auf die Straße geworfen

Der Stern sei während der Demolierung der Bautzener Betstube am 10. November 1938 auf die Straße geworfen und dabei auch beschädigt worden. Er wurde von einem Bautzener geborgen und aufbewahrt.

Heute gehört der Stern der Jüdischen Gemeinde in Dresden als Rechtsnachfolgerin der Bautzener Jüdischen Gemeinde. Er ist unter anderem auf dem Cover der 12. Jahresschrift des Stadtmuseums Bautzens abgebildet.

„Synagogen werden rauchen“ – Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann und die Pogrome (3)

Dass Martin Mutschmann den wirtschaftlichen Ausschluss der Juden durch die der Pogromgewalt folgenden Verordnungen als antisemitischen Meilenstein ansah, belegt sein Rückblick auf das Jahr 1938 in der nationalsozialistischen Zeitung ‚Der Freiheitskampf‘.

Die ‚Judenfrage‘ endgültig gelöst

Zu dem Attentat auf den Pariser Botschaftsmitarbeiter und den Pogromen schrieb er dort:

„Im Jahre 1938 wurde in Deutschland die Judenfrage endgültig gelöst! Die Schüsse, mit denen der Jude Grünspan den deutschen Botschaftsrat vom Rath niederstreckte, um damit Deutschland zu treffen, haben zwar ein blühendes Menschenleben ausgelöscht, aber dem Judentum selbst den größten Schlag gegeben. Das Judentum hat sich mit diesem organisierten Mord selbst den schlechtesten Dienst erwiesen. Ein einziger Schrei der Empörung über diesen Judenmord ging durch das antisemitisch eingestellte deutsche Volk hindurch und die Staatsführung brauchte tatsächlich nur dem spontanen Willen des Volkes Rechnung zu tragen, als sie die drakonischen wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Juden in Deutschland erließ. Während die Nürnberger Gesetze die Reinerhaltung des deutschen Blutes vor dem Juden sicherstellten, bringen die jetzigen Verordnungen gegen die Juden auch die wirtschaftliche Befreiung des deutschen Volkes von den jüdischen Parasiten“ (Mutschmann, Martin: 1938 – das stolze Jahr Großdeutschlands, in: Der Freiheitskampf, 1 (01.01.1939), S. 1 f., hier S. 2).

Mutschmann wiederholte dabei auch die Mär vom ‚spontanen Volkszorn‘. Die tatsächlich vor allem durch die NSDAP organisierte Gewalt blendete er in dem Beitrag vollkommen aus.

Für den Hinweis auf Mutschmanns Zeitungsbeitrag danke ich Prof. Dr. Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Dresden.

„Synagogen werden rauchen“ – Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann und die Pogrome (2)

Über die Rolle Mutschmanns während der sächsischen Pogromereignisse ist bislang nur wenig bekannt. Öffentlich in Erscheinung trat der Gauleiter in deren Kontext jedoch anscheinend nicht.

Geständnis vor dem sowjetischen Militärgericht

Nach seiner Gefangennahme im Mai 1945 räumte Mutschmann vor einem Moskauer Militärgericht schließlich seine Verantwortung für die sächsischen Novemberpogrome ein. Genaue Details sind aber nach wie vor offen (dazu: Schmeitzner, Mike: Der Fall Mutschmann. Sachsens Gauleiter vor Stalins Tribunal, Beucha 2011, S. 125).

In München zum ‚Tag der Bewegung‘

Sicher ist, dass sich Mutschmann zumindest am 8. November zum Treffen der ‚alten Kameraden‘ der NSDAP in München aufhielt. Dass er vor dem Moskauer Militärgericht einräumte, zu den Pogromen in Sachsen aufgerufen zu haben, lässt sich zumindest als Indiz lesen, dass der Gauleiter Goebbels‘ Aufruf zum antisemitischen Gewalt in München erlebte.

Weniger wegen seines Antisemitismus als vielmehr wegen seiner Rolle als Reichsverteidigungskommissar sowie der Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter wurde Mutschmann in Moskau schließlich zum Tode verurteilt. 1947 wurde er erschossen.

„Synagogen werden rauchen“ – Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann und die Pogrome (1)

1925 wurde der Plauener Spitzenfabrikant Martin Mutschmann (1879-1947) zum sächsischen NSDAP-Gauleiter ernannt. Er galt als glühender Antisemit, gleichsam als ein zweiter Julius Streicher.

Synagogen werden brennen

Mehrfach trat er schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten antisemitisch in Erscheinung: In Reden und Zeitungsbeiträgen hetzte er immer wieder gegen die Juden. Während einer Ansprache in Weimar im Juni 1931 prophezeite Mutschmann, dass „einmal Synagogen rauchen“ werden und „der Tag der furchtbaren Abrechnung“ mit den Juden kommen werde.

Antisemitismus als politische Handlungsmaxime

Nach der ‚Machtübernahme‘ durch die Nationalsozialisten 1933 stieg Mutschmann in Sachsen zum Reichsstatthalter und 1935 auch zum Ministerpräsidenten auf. Seinen Antisemitismus bekamen die als Juden Verfolgten deutlich zu spüren.

Zur Biografie: Schmeitzner, Mike: Der Fall Mutschmann. Sachsens Gauleiter vor Stalins Tribunal, Beucha 2011.

Die Haltung der Bevölkerung zu den Pogromen (2): Handlungsoptionen und Mitwisserschaft

Während viele Menschen angesichts der Pogrome wie gelähmt waren, halfen einige den Verfolgten mit Verstecken, Nahrung oder Informationen. Wieder andere nutzten die Gelegenheit, durch die Übernahme von ‚jüdischen’ Geschäften oder durch Beteiligung an den Plünderungen die eigene wirtschaftliche Position zu verbessern. All diese Fälle gab es auch in Sachsen vielfach.

Öffentliche Gewalt – die Mitwissenden

Wer wusste von den Pogromen? – diese Frage ist sicherlich eine, die gerade angesichts des jahrelangen Schweigens nach 1945 einer Antwort bedarf. Einerseits fanden die Pogrome auch in Sachsen im öffentlichen Raum statt. Bereits die zahlreichen Fotografien belegen, dass eine große Zahl von Schaulustigen die Orte der Gewalt und Zerstörung aufsuchten. Andererseits zeigen der Blick in die Tagespresse als auch das Wissen um Radiosendungen, dass das Thema medial breitenwirksam aufbereitet und von einer antisemitischen Kampagne begleitet war.

Wer keine Zeitung las, kein Radio hörte und nicht in einem Pogromort lebte, der konnte gleichwohl über umlaufende Gerüchte und Erzählungen etwas von den Verfolgungen erfahren. Der Historiker Robert Gellately und andere sind deshalb der festen Überzeugung, dass ein Wissen um die Gewalt als auch frühere wie spätere Formen der Judenverfolgung zumindest zu erahnen, wenn nicht bekannt waren.

Buchempfehlung: Gellately, Robert: Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk, Stuttgart 2002.

Die Haltung der Bevölkerung zu den Pogromen (1): Ambivalenzen

Eine der Fragen, auf die es beim Thema der Novemberpogrome von 1938 keine einfache Antwort gibt, ist die nach der Haltung der breiten Bevölkerung. Einzig, dass es den Pogromtätern sowie den Verantwortlichen der NSDAP und ihrer Gliederungen nicht gelang, die organisierte, vor allem von SA-, SS- und NSKK-Männern ausgeübte Gewalt auf breite Bevölkerungsschichten zu übertragen, kann als gesichert gelten.

Stimmungsberichte und andere Quellen

Was in den Menschen angesichts der Pogrome an den einzelnen Orten vorging, so zeigt sich auch für Sachsen, war durchaus ambivalent und vielschichtig: Persönlicher Judenhass und überzeugter Antisemitismus war bei einigen durchaus vorhanden, waren aber scheinbar keine Mehrheitsmeinung. Vielmehr zeigen geheime Stimmungsberichte des nationalsozialistischen Regimes, dass viele Menschen die Pogrome ablehnten – allerdings nicht unbedingt wegen deren antisemitischer Stoßrichtung, sondern wegen der Form: den Zerstörungen, den Plünderungen, der Gewalt und der Erwartung, dies alles werde sich negativ auf Deutschlands Ansehen in der Welt auswirken.

Allein, auch die Berichte sind als Quellen nur bedingt allgemein aussagefähig, da sie auch politische Zwecke verfolgten: Die Deutschlandberichte der Exil-SPD etwa (SOPADE-Berichte) berichteten über die Ablehnung der Pogrome mit mehreren Beispielen, die zugleich als Vorbild für den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime genommen werden können.

Mit öffentlicher Kritik hielten sich viele zudem aus Furcht vor Repressalien zurück. Dass es mehrere Fälle von Denunziationen wegen angeblicher Pogromkritik gab, belegen die Akten des nationalsozialistischen Sondergerichts in Freiberg.