Monthly Archives: Oktober 2018

Neue Zeitzeugenberichte (2/II): Lothar Steyer in Chemnitz

Steyer erlebte nicht nur die brennende Synagoge, sondern auch die zerstörten Geschäfte der als Juden verfolgten Menschen in Chemnitz.

Zerstörte Geschäfte

In seinem Tagebucheintrag vom 10. November 1938 hielt er dazu fest:

„Die großen Fensterfronten bei den Geschäften wie Schocken, Tietz, Königsfeld waren restlos zertrümmert. In den Hausfluren lagen noch die Latten und Ziegelsteine, die als Geschossen verwendet worden waren. Ein besonders ‚reizvolles‘ Bild boten die Schaufenster, in denen Porzellanwaren ausgestellt waren. Vor einzelnen der demolierten Geschäfte standen noch Polizeiposten zur Absperrung. Die Angestellten räumten die Trümmer weg. Eine einzige Ausnahme hatte man beim Schuhgeschäft Salamander gemacht, das der deutschen Arbeiterfront [Arbeitsfront, DAF] angeschlossen ist.“

Die Meinungen der Mitschüler

In seinem Tagebucheintrag hielt Steyer auch die Meinungen seiner Mitschüler fest – zeitnah zu den Ereignissen, wodurch diese Einschätzungen einen besonderen Quellenwert offenbaren und auch das Wissen der Zeitgenossen zu den Ereignissen offenlegen:

„In unserer Klasse war zu meiner Verwunderung nur einer (Matze), der das wie ich nicht billigte. Einige äußerten sich kaum darüber. Aber den meisten war es eine Freude (auch Heiny) und verschiedene bedauerten, nicht selbst (Wulf Wiehrang??) mitgewirkt haben zu können. (Krause, Uhlig).

Diese ganze Tag soll offenbar die Rache für die Ermordung des deutschen Legationsrates von Rath [vom Rath] in Paris durch den jugendlichen Juden Grynspan darstellen“ (Stadtarchiv Chemnitz, Zeitgeschichtliche Sammlung, ZGSL 83).

Neue Zeitzeugenberichte (2/I): Lothar Steyer in Chemnitz

Im Jahr 2014 erhielt das Stadtarchiv in Chemnitz Unterlagen des 1921 geborenen und 1944 als Soldat gefallenen Lothar Steyer übermacht (Zeitgeschichtliche Sammlung, ZGSL 83). Darunter befand sich auch ein Tagebuch, in dem Steyer seine Erlebnisse während der Chemnitzer Pogromereignisse festhielt.

Der Brand der Synagoge

In seinem Tagebuch notierte der 17-jährige Steyer unter dem 10. November 1938 unter anderem seine Wahrnehmungen vom Brand der Synagoge:

„Als ‚würdiger‘ Abschluß der Heldengedenkfeier des 9. November, wurden in der vergangenen Nacht (vom 9. zum 10.) in Chemnitz in sämtlichen jüdischen Geschäften alle Fensterscheiben eingeschlagen und heute früh brannte die Synagoge. Unsere ganze Klasse, außer den Mädchen und zweien, die zu spät kamen, sah sich heute früh die ganze Sache an und schwänzte damit die ersten zwei Unterrichtsstunden und erhielt darauf den verdienten Karzer.

Bei der Feuerwehr die an der Synagoge tätig war, konnte man zweifeln, ob sie dabei war, zu löschen oder durch Aufhacken der Fenster dem Feuer guten Zug zu verschaffen. Grinsend und Witze machend stand eine große Volksmenge auf dem Platz.

(Der Kreisleiter war mit seinem Wagen vorgefahren und besichtigte sich lächelnd die Sache. – nicht selbst gesehen)

Zerspringende Steine knallten und die Schiefer rasselten vom Dach. Als das Gebälk und die Spitze eines Seitenturmes herunterkrachten grölte die Menge“ (Auszug als Transkript, Fehler im Original).

Für den Hinweis auf Unterlagen Steyers danke ich Dr. Stephan Pfalzer vom Stadtarchiv Chemnitz.

Neue Zeitzeugenberichte (1): Reuwen Reiter in Chemnitz

Zu den Augenzeugen der Pogromereignisse gehörte Reuwen Reiter, der als Horst Reiter 1929 in Chemnitz geboren wurde.

Als Jude verfolgt – Erinnerungen

„Der 09. November 1938 war für uns die Hölle auf Erden.

Am frühen Morgen brande unsere schöne Synagoge am Stefansplatz [d. i. Stephanplatz] lichterloh.

Viele Menschen standen davor. Viele jubelten, aber viele waren auch entsetzt über diese Schandtat.

Ich war dort. Eine Frau neben mir murmelte, so das ich es noch hören konnte, ‚Der liebe Gott wird uns dafür bestrafen‘.

Noch am selben Tag fuhr ein großer Lastwagen mit großen Steinen vor unsere Wohnung (Parterre) am Kassberg und SA Verbrecher in braunen Uniformen mit Harkenkreutzbandarolen am Arm schmissen die Steine in die Fenster. Der Schaden war groß.

Am Abend wurde mein Vater* verhaftet und am nächsten Tag nach Buchenwald verschleppt. Nach 3 Wochen wurde er entlassen. Mein Vater ein kerngesunder Mensch kam schwer mißhandelt nach Hause. Der ganze Körper, von Kopf bis Fuß war mit Blutergüssen überfüllt. Von einem Tritt in die Nieren erkrankte er an einer Nierenkrankheit, an der er nach langem schwerem Leiden im Februar 1944 verstarb“ (zit. in unveröffentlichten Lebenserinnerungen, S. 3, Fehler im Original).

* Gileil Reiter (1878-1944), arbeitete als Ingenieur bei den Diamant-Fahrradwerken.

Reuwen Reiter überlebte das Lager Theresienstadt . Er ließ sich 1948 in Israel nieder. Bei Besuchen in Chemnitz berichtete er auch über seine eigene Lebensgeschichte.

Ich danke der Familie Brandt für die Hinweise zur Biografie Reiters.

Zu Reuwen Reiter u. a.: Nitsche, Jürgen: Reuwen Reiter – ein Chemnitzer Jude in Israel, in: Jüdisches Chemnitz. Nachrichtenblatt der Jüdischen Gemeinde Chemnitz (2016), Nr. 8.

Gedenkjahr 2018 (5): Ein Buch in Freiberg

Pünktlich zum 80. Jahrestag erscheinen auch für Sachsen neue Publikationen, die sich der Novemberpogrome angenommen haben. Zu diesen Studien gehört Michael Düsings Arbeit „Die Kristallnacht hat alles geändert“. Novemberpogrome 1938 in Freiberg, die vor zwei Wochen als Sonderheft der Reihe Freiberger Zeitzeugnis herauskam.

Pogrom in Freiberg

Düsings 118 Seiten starkes, mit zahlreichen Fotografien bebildertes Bändchen führt die Ergebnisse seiner inzwischen rund drei Dekaden währenden Recherchen zum Thema zusammen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Biografien der Verfolgten, aber auch die Pogromereignisse und ihrer Folgen selbst. Unter anderem thematisiert Düsing auch die Geschichte des Freiberger Schocken-Kaufhauses, das ebenfalls von Pogromtätern angegriffen und wenig später ‚arisiert‘ wurde.

Die Ausstellung ist komplett – neue Erkenntnisse und Hinweise durch Ausstellungsbesucher

Seit dem vergangenen Sonntag sind nun alle drei Ausstellungsteile mit ihren regionalen Schwerpunkten in Chemnitz, Leipzig und Dresden eröffnet. Sie sind nun parallel zu sehen und geben Einblicke in die Pogromereignisse auf dem gesamten Gebiet des heutigen Sachsen im November 1938.

Neue Hinweise

Der Kontakt zu Lokalforschern und Menschen, die die Ausstellungseröffnungen besucht haben, war sehr reich. In mehreren Fällen gab es neue Anregungen zu möglichen Quellen in Archiven – so etwa für den Chemnitzer Raum. Außerdem habe ich einen neuen Augenzeugenbericht zum Chemnitzer Pogrom zugesendet bekommen, wofür ich sehr dankbar bin.

In Dresden haben sich nach der Eröffnung zwei Zeitzeugen bei mir gemeldet, die den November 1938 selbst erlebt haben. In den nächsten Tagen werde ich mit ihnen in Kontakt treten. Ich hoffe auf neue Bruchstücke gerade zur, sieht man von den Ereignissen an der Synagoge und der Protestveranstaltung am Abend des 9. November 1938 ab, nur schwer zu rekonstruierenden Pogromgeschichte von Dresden sammeln.

Spannend waren auch einige Hinweise zum einzigen, bislang für Sachsen bekannten Filmdokument zu den Novemberpogromen, jenem sogenannten Lehrfilm der Technischen Nothilfe Dresden zum Abriss der Synagoge.

Schön war es zudem, viele der Menschen, mit denen ich im Laufe meiner Recherchen in Kontakt gekommen bin oder deren Bücher ich gelesen habe, nun auch persönlich kennen lernen zu können.

Mediales Echo

Sehr gefreut hat mich auch, dass das Thema und die Ausstellung ein breites mediales Echo gefunden haben und auch noch finden. Auch nach der Lektüre von Artikeln in den entsprechenden Zeitungen sind Menschen mit ihren Fragen und Anregungen auf mich zugekommen. Vielleicht kommen in den nächsten Tagen noch einige weitere hinzu. Über die Resonanz in den Medien habe ich mich auch deshalb gefreut, weil die Ausstellung bewusst einen reichlichen Monat vor dem eigentlichen Jahrestag der Pogrome gestartet ist, also gleichsam als Vorlauf in die Geschichte einführt.

Für alle weiteren Hinweise bin ich immer dankbar – zumal es immer noch einige Menschen gibt, die die Ereignisse bewusst erlebten oder Bruchstücke in Erinnerung behielten.

Pogrom und nationalsozialistische Presselenkung (19): Die NS-Tageszeitung für Bautzen und Umgebung (II)

Wegen der momentan anlaufenden Ausstellungen BRUCH|STÜCKE in Chemnitz, Leipzig und in Dresden erscheinen hier in den folgenden Tagen nur einige Auszüge aus der sächsischen Lokalpresse vom November 1938, die die Pogrome thematisieren. Diese Beiträge sind zentral gesteuert und unterliegen den Anweisungen aus Berlin. Sie beschönigen oftmals die Ereignisse und verbreiten antisemitisches Gedankengut – als Quellen sind sie entsprechend vorsichtig zu behandeln. Dies bitte ich bei den im Folgenden unkommentiert abgedruckten Quellenauszügen zu berücksichtigen.

Die NS-Tageszeitung für Bautzen und Umgebung vom 10. November 1938

„Wie überall im Reich machte sich auch in Bautzen die berechtigte Empörung der Bevölkerung gegen das jüdische Verbrechervolk Luft. Auf die Nachricht vom Tode des Pg. vom Rath ereigneten sich, wie schon gestern kurz gemeldet, in Bautzen und Wilthen Kundgebungen, die bis zum Donnerstagnachmittag anhielten. In Sprechchören kam die Empörung über das Treiben der jüdischen Mörder zum Ausdruck. Auch einige Fensterscheiben gingen in Trümmer. Mehrere Juden mußten in Schutzhaft genommen werden. Dank der Anständigkeit der Bervölkerung ist aber keinem etwas Ernstliches zugestoßen.

Bei einer gegen 17 Uhr von Tausenden spontan veranstalteten Kundgebung auf dem Hauptmarkt und der Reichenstraße wurden aufschlußreiche Feststellungen aus der Villa Hamburger, Wallstraße, mitgeteilt. Eine ganze Kiste Eier wurde dort gefunden. Die Einrichtung und die Vorräte zeigten, daß es den Juden in unserem Reiche noch immer viel zu gut geht. So wohnen und leben jedenfalls deutsche Arbeiter nicht. Empörung rief die Nennung einiger Judenfreunde hervor, von denen festgestellt wurde, daß sie bis zuletzt mit dem Judengesindel beste Verbindung hatten. Kreisleiter Martin gab das Ende der Aktion bekannt und forderte die erregten Volksgenossen zum ruhigen Auseinandergehen auf. Dieser Aufforderung kam man dann auch bald nach.

In der Nacht zum Donnerstag brach in der Dresdner Synagoge ein Feuer aus, so daß die Kuppel einstürzte und das Gebäude bis auf die Umfassungsmauern niederbrannte. Die Feuerwehr vermochte die umliegenden Gebäude zu sichern und vor Schaden zu bewahren. Im Zusammenhang mit diesem Brand wurde eine Reihe von Juden festgenommen.

Mit Windeseile verbreitete sich am Donnerstag in den frühen Morgenstunden die Nachricht von diesem Brand. Zu Tausenden säumte bald darauf eine erregte Volksmenge die rauchende Stätte, in der fast hundert Jahre lang Rachelitaneien gegen alle ‚Gojm‘ zu Jahwe emporgestiegen sind. Schon seit langem wurde dieser Ort der Talmudanbeter auch in baulicher Hinsicht als ein Schandfleck empfunden, um so mehr, als sich widerliche Juden bis in die allerletzte Zeit auf dem Platz davor noch allzuoft ‚mausig‘ machten.

Am Donnerstagvormittag wurden die Jahwediener aus dem Rabbinerhaus geholt und veranlaßt, die mit dem Davidstern versehenen Attribute ihrer Talmudlehren aus der Synagogen herauszuräumen. Die feige dienende Judensippschaft benahm sich angesichts der empörten Volksmenge ekelerregend. Bei aller angesichts des ungeheuerlichen Verbrechens der jüdischen Mordpest an unserem Parteigenossen vom Rath nur zu begreiflichen Wut begnügte sich die Menge damit, dem Judengesindel ihre Verachtung ins Gesicht zu schreien. Es machte sich aber nottwendig [sic!], diese feige Sippschaft in Schutzhaft zu nehmen.

Am Donnerstag frühmorgens brach plötzlich im Kaufhaus Bamberger und Herz, Leipzig, Feuer aus.

Nach den bisherigen Ermittlungen haben sich die jüdischen Inhaber die Gelegenheit der spontanen Kundgebungen in der Nacht zum Donnerstag zunutze gemacht, um daraus in echt jüdischer Manier Kapital zu schlagen. Sie haben entweder persönlich oder durch Mittelsmänner den Brand selbst angelegt, um sich dadurch in den Besitz der Versicherungssumme zu setzen. Auf diese Weise habe sie geglaubt, in den Genuß des vollen Wertes des Unternehmens zu kommen, während sie sonst damit rechnen mußten, daß sie nach der schändlichen Tat ihres Rassegenossen Grünspan nicht mehr Absatz für ihre Ware finden würden.

Die Juden haben gründliche Arbeit geleistet. Das Kaufhaus ist vollständig ausgebrannt. Die Geschäftsinhaber wurden unter dem dringenden Verdacht der Brandstiftung und des Versicherungsbetruges in Haft genommen.“

Pogrom und nationalsozialistische Presselenkung (19): Die NS-Tageszeitung für Bautzen und Umgebung (I)

Wegen der momentan anlaufenden Ausstellungen BRUCH|STÜCKE in Chemnitz, Leipzig und in Dresden erscheinen hier in den folgenden Tagen nur einige Auszüge aus der sächsischen Lokalpresse vom November 1938, die die Pogrome thematisieren. Diese Beiträge sind zentral gesteuert und unterliegen den Anweisungen aus Berlin. Sie beschönigen oftmals die Ereignisse und verbreiten antisemitisches Gedankengut – als Quellen sind sie entsprechend vorsichtig zu behandeln. Dies bitte ich bei den im Folgenden unkommentiert abgedruckten Quellenauszügen zu berücksichtigen.

„Die Juden müsse raus!“ – Die NS-Tageszeitung für Bautzen und Umgebung vom 10. November 1938

„Die Bautzener Bevölkerung hat mit den Juden, die immer noch mit ihrem Ramsch ihren Reppach machen können, eine Engelsgeduld aufgebracht. Die schmierigen Kinder Israels haben hier, ohne daß ihnen je ein Haar gekrümmt worden ist, ihre üblen Geschäfte gemacht. Jetzt ist aber das Maß voll. Ein Judenverbrecher, den die ganze Judensippe deckt und verteidigt, hat in Paris Legationsrat vom Rath in gemeinem, verbrecherischem Anschlag ermordet, nur weil er ein Deutscher war. Wie im gesamten Reich, so war auch in Bautzen, als der Tod des Legationsrats bekannt wurde, die Erregung über diese jüdische Mordtat sehr groß. Auf der Reichenstraße sammelten sich viele Volksgenossen vor dem Etagengeschäft des Isidor Großmann, dessen üble Machenschaften von uns schon mehrfach gekennzeichnet wurden. Der ängstliche Isidor, dem beim Anblick der Bautzener Volksgenossen das Herz offenbar in die Hosen rutschte, ließ so schnell er konnte, die Jalousien seiner Fenster herab. Offenbar hat ihn die Volksmenge so sehr erregt, daß er glaubte, sein letztes Stündlein wäre gekommen. Auch an anderen Stellen der Stadt und in Wilthen kam es zu spontanen Kundgebungen der mit Recht erregten Bevölkerung. Isidor und alle anderen Juden mögen schleunigst Bautzen verlassen und sich bei uns nie wieder blicken lassen.“

Pogrom und nationalsozialistische Presselenkung (18): Der Zwönitztaler Anzeiger (II)

Wegen der momentan anlaufenden Ausstellungen BRUCH|STÜCKE in Chemnitz, Leipzig und ab heute auch in Dresden erscheinen hier in den folgenden Tagen nur einige Auszüge aus der sächsischen Lokalpresse vom November 1938, die die Pogrome thematisieren. Diese Beiträge sind zentral gesteuert und unterliegen den Anweisungen aus Berlin. Sie beschönigen oftmals die Ereignisse und verbreiten antisemitisches Gedankengut – als Quellen sind sie entsprechend vorsichtig zu behandeln. Dies bitte ich bei den im Folgenden unkommentiert abgedruckten Quellenauszügen zu berücksichtigen.

Der Zwönitztaler Anzeiger vom 12./13. November 1938

„Leipzig, 12. November.

Wenn am Donnerstag wohl alle Volksgenossen Leipzigs von dem spontanen Ausbruch der Empörung gegen das Weltjudentum mit ergriffen waren, so folgte der Erregung der ersten Stunden bald wieder die alltägliche Ruhe und überraschend schnell ging es an die Aufräumungsarbeiten. Man möchte von dem jüdischen Spuk so bald als möglich nichts mehr sehen, und man erwartet auch, daß es nicht zu einer Wiedereröffnung der Einzelhandelsgeschäfte in Judenhand kommt.

Vielen sind an diesem Tage erst die Augen geöffnet worden, wie ungemein stark der Jude noch im Geschäftsleben vertreten war, wie er gerade in jenen Stadtteilen Fuß gefaßt hatte, die dicht bevölkert sind. Man brauchte nur einmal im Osten durch die Eisenbahnstraße zu gehen, um zu erkennen, wie sich hier die Juden breitgemacht hatten.

Nun sind die Scherben der zerschlagenen Fenster beseigt, die Schaufenster selbst überall mit Brettern verschalt. Es ist Tag und Nacht gearbeitet worden, und man hat in jeder Hinsicht Sorge dafür getragen, daß sich alles in Würde und Ordnung abspielte. Mit Genugtuung nahm man zur Kenntnis, daß die jüdischen Geschäfte geschlossen bleiben.

Am Freitag morgen war der Verkehr wieder vollständig in seinen alten Bahnen. Auch die Linie 6 konnte wieder durch die Grimmaische Straße und an der Synagoge an der Gottschedstraße vorüberfahren. Die Aufräumungsarbeiten an dem restlos ausgebrannten Judentempel waren so weit gediehen, daß keine Einsturzgefahr mehr bestand. Einzig der Durchgang bei Apels Garten ist noch gesperrt. Auch der hier gelegene Judentempel ist restlos ausgebrannt, unter Schutt glimmte aber teilweise noch das Feuer, und verschiedene Mauern mußten abgetragen werden. Die Feuerlöschpolizei war damit den ganzen Tag über beschäftigt. Sie hatte einen schweren Kraftwagen als Zugmaschine in den Dienst gestellt, stählerne Seile wurden an Mauern befestigt und diese nach und nach zum Einsturz gebracht.

Im übrigen konnte man an verschiedenen Geschäften nun plötzlich ein Schild lesen ‚In der Entjudung begriffen‘. Die Hebräer hätten sich eher darauf besinnen sollen …“.

Pogrom und nationalsozialistische Presselenkung (17): Der Zwönitztaler Anzeiger (I)

Wegen der momentan anlaufenden Ausstellungen BRUCH|STÜCKE in Chemnitz, Leipzig und ab dem 14. Oktober 2018 dann auch in Dresden erscheinen hier in den folgenden Tagen nur einige Auszüge aus der sächsischen Lokalpresse vom November 1938, die die Pogrome thematisieren. Diese Beiträge sind zentral gesteuert und unterliegen den Anweisungen aus Berlin. Sie beschönigen oftmals die Ereignisse und verbreiten antisemitisches Gedankengut – als Quellen sind sie entsprechend vorsichtig zu behandeln. Dies bitte ich bei den im Folgenden unkommentiert abgedruckten Quellenauszügen zu berücksichtigen.

Der Zwönitztaler Anzeiger vom 11. November 1938

„Die Kunde vom Ableben des von jüdischer Mörderhand niedergestreckten deutschen Diplomaten vom Rath hat im ganzen Reiche spontane judenfeindliche Kundgebungen ausgelöst.

In Chemnitz wurden in den jüdischen Geschäften, so in den Kaufhäusern Tietz, Königsfeld und Ury, die Schaufenster eingeschlagen. Die Disziplin der Demonstranten verhinderte aber überall, daß geplündert oder Personen angegriffen wurden. In der Synagoge brach ein Feuer aus, das die Inneneinrichtung völlig zerstörte.

In Leipzig gingen in den jüdischen Geschäften in der Grimmaischen Straße, der Petersstraße, im Brühl, überall die Schaufensterscheiben in Trümmer. Am Königsplatz hatten sich bei Gebrüder Ury zahlreiche Volksgenossen eingefunden, die Schaufensterscheiben wurden eingeschlagen, die Dekorationen flogen auf die Straße. In einem Verkaufsraum begann es zu brennen, aber schon war die Feuerlöschpolizei zur Stelle und konnte den Brand sehr rasch unterdrücken. Die Synagoge in der Gottschedstraße und der Judentempel an der Otto-Schill-Straße gingen in Flammen auf. In einem der Judentempel hat man einen sehr aufschlußreichen Fund gemacht. Hier waren braune SA-Hosen, Parteiabzeichen und Munition versteckt. Dieser Fund dürfte Beweisstücke dafür liefern, daß von jüdischer Seite beabsichtigt war, Rassegenossen als SA-Männer zu tarnen und dann irgendwelche Zwischenfälle zu provozieren!“

Pogrom und nationalsozialistische Presselenkung (16): Das Bautzener Tageblatt (II)

Wegen der momentan anlaufenden Ausstellungen BRUCH|STÜCKE in Chemnitz, Leipzig und ab dem 14. Oktober 2018 dann auch in Dresden erscheinen hier in den folgenden Tagen nur einige Auszüge aus der sächsischen Lokalpresse vom November 1938, die die Pogrome thematisieren. Diese Beiträge sind zentral gesteuert und unterliegen den Anweisungen aus Berlin. Sie beschönigen oftmals die Ereignisse und verbreiten antisemitisches Gedankengut – als Quellen sind sie entsprechend vorsichtig zu behandeln. Dies bitte ich bei den im Folgenden unkommentiert abgedruckten Quellenauszügen zu berücksichtigen.

Bautzener Tageblatt vom 12. November 1938

„Feuer in Görlitzer Synagoge

Görlitz. Die Erbitterung der Görlitzer Bevölkerung über die feige jüdische Mordtat, der Legationsrat vom Rath zum Opfer gefallen ist, hat am Donnerstagabend dazu geführt, daß auch die hiesige Synagoge angezündet wurde und zum Teil ausbrannte. Sehr begrüßt wird von der Bevölkerung, daß nun endlich der Davidstern verschwunden ist, der bisher als Fremdling das Stadtbild unserer aufragenden Türme störte.“