Monthly Archives: November 2017

Verhaftungen in Görlitz – Transport ins Konzentrationslager Sachsenhausen

Auch in Görlitz kam es während der Pogromereignisse zu Verhaftungen: 32 Personen wurden hier festgenommen, von denen 24 sofort ins Konzentrationslager Sachsenhausen verbracht wurden.

Die in Görlitz Verhafteten

Zu den in Sachsenhausen Internierten zählten angesehene Görlitzer Bürger, darunter der Fell- und Häutekaufmann Arthur Hiller, der Lampenhändler Salomon Freundlich, der Viehhändler Georg Schlesinger, der Häute- und Darmhändler Robert Schaye und Alfred Kunz. Auch der Kaufmann Reinhard Fränkel erinnerte sich 1958, dass er zur Rettung der Görlitzer Synagoge, in der ebenfalls Feuer gelegt, dieses jedoch gelöscht worden war, gerufen worden sei. Man habe ihn dort jedoch sofort verhaftet und nach Sachsenhausen überstellt.

Die Informationen zu den in Görlitz Verhafteten sind entnommen aus: Otto, Roland: Die Görlitzer Juden unter der NS-Diktatur 1933-1945, in: Bauer, Markus; Hoche, Siegfried (Hg.): Die Juden von Görlitz. Beiträge zur jüdischen Geschichte der Stadt Görlitz, Görlitz 2013, S. 123–152, hier: S. 141 f.; Suckert, Uli: Görlitz unterm Hakenkreuz 1933 bis 1945. Topographie einer Diktatur, der Verfolgung und des Widerstands, Dresden 2010, S. 21.

Konzentrationslager Sachsenhausen – Herszel Grynszpan als ‚Sonderhäftling‘

Ab Januar 1941 gehörte auch der Pariser Attentäter Herszel Grynszpan zu den in Sachsenhausen Inhaftierten. Als privilegierter ‚Sonderhäftling‘ wartete er dort auf seinen Prozess vor dem Volksgerichtshof. Wegen Aussagen zu einem vorgeblich homosexuellen Hintergrund der Tat kam es nicht zum Prozess. Vermutlich wurde Grynszpan in Sachsenhausen hingerichtet; gleichwohl gibt es auch Mutmaßungen, dass er möglicherweise den Krieg überlebt haben könnte.

Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen erinnern heute an die Zeit des nationalsozialistischen Konzentrationslagers (1936-1945) und das Sowjetische Speziallager Nr. 7 (1945-1950).

„Schutzhaft“ und Verbringung in Konzentrationslager (2)

Infolge von Misshandlungen, körperlicher wie seelischer Überlastung und gesundheitlichen Gebrechen kamen mehrere der im Zuge der Pogrome im November 1938 in Buchenwald internierten Männer um.

Die Opfer des Pogromsonderlagers Buchenwald aus Sachsen – persönliche Schicksale

Die nachfolgende Aufstellung der Toten des Pogromsonderlagers nennt Namen, Herkunftsort, Lebensdaten und Beruf:

  • Conrad, Max, Chemnitz, 08.05.1878-27.11.1938, Kaufmann
  • Grünberg, Schloma Salman, Chemnitz, 07.10.1877-15.11.1938, kaufmännischer Angestellter
  • Joel, Dr. Manuel, Leipzig, 07.02.1896-24.12.1938, Lehrer
  • Krause, Julius, Leipzig, 07.03.1882-16.11.1938, Kaufmann
  • Lennhoff, Karl, Leipzig, 12.08.1881-27.11.1938, Angestellter
  • Lewy, Hans Hermann, Leipzig, 03.10.1918-04.01.1939, unbekannt
  • Muscatblatt, Arnold, Leipzig-Reudnitz, 28.09.1889-23.11.1938, Elektriker
  • Schindler, Max, Chemnitz, 29.09.1880-02.12.1938, Schauspieler
  • Selz, Leopold Erich, Leipzig, 15.10.1912-25.12.1938, unbekannt
  • Strauß, Nathan, Leipzig, 25.02.1881-07.12.1938, Kaufmann
  • Thorn, David, Aue/Sachsen, 27.12.1865-30.11.1938, Kaufmann
  • Tuch, Richard, Dresden, 19.09.1891-19.01.1939, Kaufmann
  • Weg, Franz Georg, Leipzig, 02.04.1891-11.12.1938, Buchhändler
  • Wittner, Alfred Bernhard, Leipzig, 21.07.1884-28.11.1938, Kaufmann

Die vorstehenden Namen und Angaben sind abgedruckt in: Stein, Harry: Juden im Konzentrationslager Buchenwald 1938-1942, in: Hofmann, Thomas; Loewy, Hanno; Stein, Harry (Hg.): Pogromnacht und Holocaust. Frankfurt, Weimar, Buchenwald …, Weimar/Köln/Wien 1994, S. 81–171, hier: S. 119-125).

„Schutzhaft“ und Verbringung in Konzentrationslager (1)

Mit den Pogromen einher ging die Anweisung, im gesamten Deutschen Reich bis zu 30.000 jüdische Männer in „Schutzhaft“ zu nehmen und in die Konzentrationslager Buchenwald, Sachsenhausen und Dachau zu überstellen. Dies traf auch die in Sachsen als ‚Juden‘ verfolgten Menschen, die – sofern sie nicht schon in den Großstädten lebten – zunächst in Polizeihaft genommen und dann gesammelt in die Lager transportiert wurden.

Überstellung ins Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar

Die Mehrzahl der in Sachsen verhafteten Verfolgten wurde ins Konzentrationslager Buchenwald, ins sogenannte „Pogromsonderlager“ transportiert. Die Eingangslisten geben einen Überblick über die aus den Großstädten einschließlich des jeweiligen Umlands Verhafteten und ins Lager überstellten Menschen. Diese waren dort Erniedrigung und Gewalt ausgesetzt; nicht selten verließen sie Buchenwald körperlich und seelisch verletzt.

Die Stärkemeldungen des Konzentrationslagers Buchenwald

(abgedruckt in: Bräu, Ramona; Wenzel, Thomas (Hg.): „ausgebrannt, ausgeplündert, ausgestoßen“. Die Pogrome gegen die jüdischen Bürger Thüringens im November 1938, Erfurt 2008, S. 103-107; Quelle: BwA, Nummernbuch der Judenaktion vom Nov. 1938, NARA Washington RG 242 Film 18b)

Eintrag 10.11.1938: Stärke 09.11.1938: 9.842 Mann, außerdem 851 Juden, davon u. a. in Transporten eingeliefert:

  • aus Chemnitz: 40
  • aus Chemnitz: 17
  • aus Chemnitz: 15 (S. 103)

Eintrag 10.11.1938, abends: 10.733 Mann

Zugänge 3.275 Juden, davon:

  • aus Dresden: 66
  • aus Chemnitz: 99
  • aus Leipzig: 151 (S. 104)

Eintrag 11.11.1938, abends: 13.992 Mann

Zugänge: 4.674 Juden, davon:

  • aus Leipzig: 119 (S. 105)

12.11.1938, abends: 18.660 Mann

Zugänge: 1.019 Juden, davon:

  • aus Plauen: 47
  • aus Zwickau: 38
  • aus Dresden: 85 (S. 106)

Zusammen wurden aus Dresden und Umgebung somit 151, aus Chemnitz und Umgebung 171, aus Leipzig und Umgebung 270 sowie aus Plauen und Umgebung 47 als ‚Juden‘ Verfolgte nach Buchenwald überstellt.

Die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora erinnert heute an das Konzentrationslager (1937-1945) sowie das Sowjetische Speziallager Nr. 2 (1945-1950).

Frieda Freise (1886-1938) – eine Ärztin und die zweifache Pogromerfahrung

Zu den Menschen, die als ‚Juden‘ verfolgt wurden, gehörte auch die Chemnitzer Stadtschulärztin Frieda Freise (1886–1938). Bereits in Weißrussland soll sie Zeugin von Pogromen gewesen sein. Sie studierte dann Medizin, ehe sie in Leipzig, Stollberg – hier ließ sie sich 1924 taufen – und Chemnitz wirkte.

Zunehmende Ausgrenzung in der Zeit des Nationalsozialismus

Nach 1933 sah sie sich zunehmenden Repressalien, 1937 gar einer regelrechten Verleumdungskampagne ausgesetzt. Schließlich verlor sie 1938 ihre Approbation. Sie ging nach Bayern, wo sie im November 1938 die Pogrome erlebte – in einem Land, dass sie und viele der anderen Verfolgten lange als Hort der Rechtsstaatlichkeit und des persönlichen Schutzes betrachtet hatten. Und sie war nicht darum verlegen, einen für sie naheliegenden Bezug zu den russischen Pogromen ziehen, wenn sie die Gewalt noch kurz vor ihrem Tod mit den folgenden Worten kommentierte: „Die Nazis sind auch nicht besser als die Bolschewiken“.

 

Die Angaben und das Zitat zu Frieda Freise sind entnommen aus: Nitsche, Jürgen: Die Stadtschulärztin Dr. Frieda Freise (1886-1938) und die „Chemnitzer Mütterschule“. Eine Medizinerin mit jüdischen Wurzeln, in: Heidel, Caris-Petra (Hg.): Die Frau im Judentum. Jüdische Frauen in der Medizin, Frankfurt am Main 2014, S. 143–165.

Sally und Rosa Teitelbaum in Muskau: Flucht in den Tod

In Muskau verwüsteten in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 SA-Männer die Wohnung des Ehepaars Sally und Rosa Teitelbaum.

Die Teitelbaums in Weißwasser und Muskau

Der 1876 geborene Teitelbaum und seine zwei Jahre jüngere Frau betrieben nach dem Ersten Weltkrieg zunächst ein Kaufhaus in Weißwasser. 1930 ließen sie sich dann in Muskau auf dem Grünen Weg 2 nieder.

Nur noch ein Ausweg – Selbsttötung

Nach der Pogromgewalt sahen sie am 10. November 1938 keinen anderen Ausweg, als sich selbst das Leben zu nehmen – wie hunderte weitere Verfolgte im ganzen Deutschen Reich: Nachdem sie noch Scherben zusammengekehrt haben sollen, erhängten sie sich an einem Fensterkreuz. Ihre Leichen wurden zunächst auf dem Gelände der Friedhofsgärtnerei verscharrt; erst nach Kriegsende erhielten sie eine würdige Grabstelle. Im Herbst 1975 ließ die Muskauer Stadtverwaltung eine Gedenktafel für die Teitelbaums anbringen.

Die Angaben sind entnommen aus: Schubert, Werner: Beiträge zur Geschichte der Juden in Weißwasser. Eine bedeutsame Episode zwischen 1881 und 1945, Weißwasser in der Oberlausitz 2014, bes. S. 219, 222, 248, 254.

Novemberpogrom – Ein Begriff und seine Geschichte

Aufgrund der euphemistischen Bildsprache des Begriffs „Reichskristallnacht“, greifen Forschung und Erinnerungskultur heute in der Regel auf den Terminus „Pogrom“ in seinen verschiedenen Varianten („Pogromnacht“; „Novemberpogrom“) zurück.

Pogrom heißt Zerstörung

Der Begriff „Pogrom“ geht auf das russische Verb „pogromit“ zurück, was so viel bedeutet wie „verwüsten“, „zerstören“ (wörtlich: nach dem Donner „po gromit“; siehe auch das HATiKVA-Projekt „Pogrom heißt Zerstörung„). Der Begriff kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Die damit umschriebenen gewalttätigen und mörderischen Verfolgungen in einzelnen Orten und Regionen des östlichen Europa zwischen 1881 und 1921 – vor allem in den Jahren 1881-1884, 1903-1906 und 1917-1921 – richteten sich in erster Linie gegen Juden. Diesen wurde etwa Christus- oder Ritualmord und Spionage vorgeworfen oder deren wirtschaftliche Stellung nicht akzeptiert (vgl. Karte der Pogrome im sogenannten Ansiedlungsrayon bis 1906).

Verbreitung nach Westeuropa

Den Pogromen im Russischen Reich fielen tausende Menschen und jüdische Kultuseinrichtungen zum Opfer. Über die Presse, Literatur und Dokumentationen jüdischer Organisationen gelangte der Begriff nach Westeuropa. Von den Ereignissen betroffene oder bedrohte Juden migrierten in der Folge vielfach nach Westen und insbesondere auch nach Sachsen.

Sofern sie nicht weiter wanderten oder bis Herbst 1938 emigriert waren, sahen sie beziehungsweise ihre Nachfahren sich dann nicht selten von Verhaftungen, der „Polenaktion“ und schließlich auch von den Novemberpogromen betroffen.

„Reichskristallnacht“ – Ein Begriff und seine Geschichte

Die Pogromereignisse vom November 1938 haben in die Öffentlichkeit unter verschiedenen Begriffen Eingang gefunden. Die Nationalsozialisten selbst sprachen von „Aktionen“ (zum diesem, aktivistischen Begriff hat sich bereits Viktor Klemperer in seiner LTI geäußert) oder „spontanem Volkszorn“ gegen die Juden. Die Rede war auch von der „Grünspan-Affäre“.

„Reichskristallnacht“ – ein Begriff und seine Entwicklung

Angesichts der Zerstörungen fanden nach dem November 1938 verschiedene euphemistische Begriffe für die Ereignisse Eingang in den Sprachgebrauch und die Erinnerung. Neben „Reichsscherbenwoche“ zählte hierzu auch „Reichskristallnacht“. Der Begriff lässt sich auf einen NS-Beamten zurückführen, der diesen im Juni 1939 gebrauchte (vgl. Harald Schmid, Erinnern an den Tag der Schuld, 2001, S. 82 f.; Kreutzmüller, Christoph; Weigel, Bjoern: Kristallnacht? Bilder der Novemberpogrome 1938 in Berlin, Berlin 2013, S. 4).

„Reichskristallnacht“ ging in den öffentlichen Sprachgebrauch und nach dem Zweiten Weltkrieg dann auch in die Erinnerungskultur ein.

Begriffsprobleme: Kristall – Nacht

Während im englischsprachigen Raum immer noch von „Kristallnacht“ gesprochen wird (auch: Night of the Broken Glas), wird im deutschen Sprachraum heute meist von den „Novemberpogromen“, der „Pogromnacht“ oder „Reichspogromnacht“ geredet. Diese begriffliche Umorientierung hat vor allem zwei Gründe:

  1. „ReichsKRISTALLnacht“ nimmt vor allem auf zerstörte Sachwerte und konkret auf zerbrochenes Glas Bezug. Dahinter verschwinden allerdings die Menschen, die Opfer der Gewalt jener Tage geworden sind. Die Ereignisse selbst werden dadurch gewissermaßen beschönigt.
  2. Der Begriff der „ReichskristallNACHT“ suggeriert darüber hinaus, dass sich die Pogromereignisse auf eine Nacht beschränkten und die Übergriffe weitestgehend unbemerkt von den ‚schlafenden‘ deutschen Bürgern stattgefunden hätten. Weder das eine, noch das andere war aber der Fall: Die Pogrome zogen sich vom 7. November bis – zieht man die Verhaftungen mit in Betracht – weit nach dem 13. November 1938 hin. Und: Die Gewalt und Demütigung geschah zumindest in den Orten, wo als ‚Juden‘ Verfolgte lebten, in der Regel vor aller Augen – das zeigt die Mehrzahl der überlieferten Fotografien vom 10. November 1938. Und: Wer die Pogrome nicht persönlich beobachten konnte, für den fassten Zeitungen die wichtigsten Ereignisse propagandistisch aufbereitet zusammen.

Zerstörte Schaufenster in Eibenstock – Ein Zeitungsartikel aus der gelenkten Tagespresse

Von den Pogromereignissen in Eibenstock berichtete das dortige Tageblatt am 11. November 1938. Darin heißt es:

„Auch in Eibenstock hat es heute Nacht geklirrt. Wie überall im Reich, kam es aus Anlaß der feigen jüdischen Mordtat an dem deutschen Diplomaten vom Rath auch in Eibenstock zu judenfeindlichen Kundgebungen. Gestern abend in der siebenten Stunde warfen mehrere Personen, die von auswärts stammen sollen, die Schaufensterdekorationen der Firma Kalitzki Nachfolger durcheinander“ (Eibenstocker Tageblatt 85, 264 (11.11.1938), S. [3]).

Die Pogromgewalt in Eibenstock

Bislang liefert der Zeitungsartikel die einzigen konkreten Hinweise zu den Pogromereignissen im erzgebirgischen Eibenstock. Die Firma A. J. Kalitzki Nachfolger bestand dort seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Kleidergroßhandelsgeschäft. Einer der Söhne des Geschäftsgründers Arno Israel Kalitzki, Alfons, erlebte die Pogrome 1938 in Chemnitz und wurde in Buchenwald inhaftiert. Anschließend gelang der Familie die Emigration.

Der letzte Inhaber von A. J. Kalitzki Nachfolger war anscheinend Max Rosenthal. Zur Geschichte des Eibenstocker Geschäfts, das auf Ansichtskarten abgebildet ist, und der Geschäftsinhaber sind noch weitere Akten zu sichten.

Ein Zeitungsartikel und sein Inhalt

Der Zeitungsartikel macht insgesamt zweierlei deutlich: Zum einen zeigt er die antisemitische Inanspruchnahme des Pariser Attentats durch die nationalsozialistische Propaganda. Zum anderen aber bietet er Hinweise auf die Chronologie der Eibenstocker Pogromereignisse: Demnach bracht die Gewalt dort erst am Abend des 10. November 1938 aus. Die beiläufige Erwähnung, dass die Täter von außerhalb stammen sollen, ist zudem ein Hinweis auf die organisatorische Umsetzung der Pogrome, die sich auch für andere Orte belegen lässt.

Victor Klemperer (3) – Die filmische Erinnerung an die Pogrome

Lediglich ein einziger Spielfilm ist mir bislang bekannt, in dem die sächsischen Pogromereignisse thematisiert wurden: In der zwölfteiligen Fernsehserie „Klemperer – Ein Leben in Deutschland“, die 1999 in der ARD mit Matthias Habich und Dagmar Manzel ausgestrahlt wurde, befasste sich eine der Folgen auch mit den Pogromexzessen.

Fiktive Erlebnisse in „Drehna“

Allerdings ging die Serie, die sich an den Tagebüchern Victor Klemperers orientierte, weit über die historische Vorlage hinaus: Gezeigt wird so unter anderem eine Szene in einem Ort namens „Drehna“, durch den das Ehepaar Klemperer auf einer Rückreise nach Dresden und einem Unfall fahren. Dort werden sie Zeuge der Pogromgewalt, wobei Regie und Drehbuch alle Elemente der Ausschreitungen ins Bild zu rücken versuchen: Feuer, Gewalt, Demütigung, Plünderung, Wohnungszerstörung, uniformierte und zivile Täter, die Tatenlosigkeit der Polizei sowie ein Beispiel von Zivilcourage sind hier extrem gedrängt zusammengeführt. Tatsächlich erlebt haben Victor und Eva Klemperer die dargestellte Szene allerdings nicht. Vielmehr ging es den Filmemachern hier wohl darum, den Bruch, den die Novemberpogrome für die als ‚Juden‘ Verfolgten bedeuteten, den Fernsehzuschauern vor Augen zu führen.

Die Klemperers als Retter eines Davidsterns

Nicht nur die Pogromerlebnisse in „Drehna“, sondern auch eine nachfolgende Szene sind erfunden: Darin beteiligt sich Victor Klemperer an der Rettung eines Davidsterns – vermutlich soll es ein Stern der Dresdner Synagoge sein. Er versteckt den Stern nicht nur, sondern bringt ihn dann mit seinem Auto auch noch in ein sicheres Versteck. Auch diese Szene ist, wie erwähnt, erfunden. Sie zeigt in ihrem Bezug aber zugleich, welch hoher Symbolgehalt den brennenden und zerstörten Synagogen für unser heutiges Bild von den Novemberpogromen als auch für die Erinnerungkultur zukommt.

Victor Klemperer (2) – Die Angst nach den Pogromen

Neben den heute bekannten Briefen gibt auch Victor Klemperers Tagebuch einen Eindruck davon, wie sehr die Pogromgewalt die Verfolgten belastete. Spätestens angesichts der zerstörten Wohnungen, Geschäfte und Synagogen sowie der erfahrenen physischen und psychischen Angriffe bemühten sich nun auch jene um Ausreise, die bislang zumindest auf eine Koexistenz von ‚Juden‘ und ‚Nichtjuden‘ im Deutschen Reich gehofft hatten.

Klemperers Ausreisebemühungen

Auch Klemperer war um Emigration bemüht, wie unter anderem sein Tagebuch verrät. Unter dem 27. November 1938 schrieb er:

„Unter dem ersten Eindruck hielten wir ein Fortmüssen für absolut notwendig und begannen mit Vorbereitungen und Erkundigungen. Ich schrieb am Tag nach der Verhaftung am Sonnabend 12. 11. dringende SOS- Briefe an Frau [Jenny] Schaps und Georg [Klemperer – den Bruder]. Der kurze Brief an G. begann: Sehr schweren Herzens, aus ganz veränderter Situation, ganz an den Rand gedrängt, ohne Détails: Kannst Du für meine Frau und mich Bürgschaft leisten, kannst Du uns beiden für ein paar Monate drüben helfen? In persönlicher Bemühung würde ich sicher irgendeinen Posten als Lehrer oder im Bureau finden. – Ich telephonierte an Arons – der Mann hatte mich am Tage des Münchener Abkommens am Bismarck angesprochen. Herr [Alfred] A. sei nicht anwesend, Frau [Bertha] A. würde mich Abends gegen acht empfangen. Ich fuhr hin: eine reiche Villa in der Bernhardtstr. Ich erfuhr, dass er und mit ihm überviele andere verhaftet und verschleppt seien; man weiss noch heute nicht, ob sie im Lager Weimar sind oder bei den Befestigungsarbeiten im Westen als Sträflinge u. Geiseln verwendet werden“ (Victor Klemperer: Die Tagebücher, S. 1159).

Ohne Erfolg – Überleben bis 1945

Erfolg war ihm nicht beschieden. Bis Anfang 1945 lebte Victor Klemperer, von seiner ‚arischen‘ Ehefrau noch geschützt, in Dresden. Nach den Luftangriffen vom 13./14. Februar 1945 tauchte er unter und erlebte so das Kriegsende.

Quelle: Victor Klemperer. Die Tagebücher 1933-1945. Kommentierte Gesamtausgabe, hg. Walter Nowojski unter Mitarbeit von Christian Löser, Berlin 2007.