Der Pogrom in Dresden und seine Chronologie (1): Der Freiheitskampf

Was geschah wann am 9. und 10. November 1938 in Dresden? Während sich die Pogromereignisse vom Vormittag und Mittag des 10. November 1938 über Augenzeugenberichte und Fotografien vergleichsweise gut rekonstruieren lassen, bleibt die bisherige Forschung zum Abend des 9. und der Nacht zum 10. November eine präzise Untersuchung noch schuldig.

Die offizielle Darstellung

Nach der offiziellen Darstellung geschah nach dem Bekanntwerden des Todes von vom Rath in Paris das Folgende – so jedenfalls die nationalsozialistische Tageszeitung ‚Der Freiheitskampf‘:

„Als sich die Trauerkunde vom Tod des Gesandtschaftsrates Pg. vom Rath am Mittwochabend in der Stadt verbreitete, zogen Tausende von Volksgenossen zum Rathausplatz, um dort ihrem Abscheu und ihrer Empörung gegen diese neueste grauenvolle Schandtat eines jüdischen Mordbuben flammenden Ausdruck zu geben. Gleichzeitig gestaltete sich die Protestkundgebung, die sich in vollster Ordnung vollzog, aber auch zu einem glühenden Bekenntnis unverbrüchlicher Treue gegenüber dem heiligen Opfer der Toten des 9. November und aller Kameraden aus der Totenstandarte Horst Wessel, in deren Reihen nun auch unser Pg. vom Rath mitmarschiert“ (Der Freiheitskampf, 310 (10.11.1938), S. 9).

Nach einer antisemitischen Hetzreden des ehemaligen Halle-Merseburger Gauleiters Paul Hinkler habe der Dresdner NSDAP-Kreisleiter Hellmut Walter gesprochen. Dieser habe auch betont, dass der „Führer […] die geeigneten Maßnahmen treffen [werde] […]. Es gelte, Einzelaktionen zu unterlassen und in diszipliniertem Einsatz dem Judentum die Entschlossenheit aller Volksgenossen im Dritten Reiche vor Augen zu führen“ (ebd.)

Ein ‚Protestmarsch‘ durch die Stadt

Weiter berichtet ‚Der Freiheitskampf‘, dass sich den Ansprachen eine ‚Protestmarsch‘ angeschlossen habe:

„Es ging über die Ringstraße und den Pirnaischen Platz durch die König-Johann-Straße über den Altmarkt, die See- und Prager Straße zum Hauptbahnhof.

Getreu der Parole des Kreisleiters, jede Einzelaktion zu unterlassen, marschierten die Kolonnen in straffer, geschlossener Disziplin. Um so mehr machte sich die Empörung über die feige jüdische Mordtat von Paris durch immer wiederholte Rufe laut.

Es wurde das Verlangen laut, daß nun die Judenfrage ein für allemal und gründlich gelöst werde. Auch dort, wo sich somit die Judenschaft heute oft genug frech benimmt, ließ sich diesmal kein Vertreter des ‚auserwählten Volkes‘ blicken: Es war, als wenn sie das schlechte Gewissen samt und sonders in ihre schmierigen Schlupfwinkel getrieben hätte. Sie wissen nur zu gut, daß es in Deutschland nur noch eine Meinung gibt, wie sie das alte nationalsozialistische Kampflied geprägt hat: ‚Parole sie bleibet, die Juden hinaus!‘“ (ebd.).

Dass diese Zeilen des Blattes eindeutig von antisemitischer Hetze getragen waren, ist unübersehbar. Über den Brand der Dresdner Synagoge berichtete das Blatt am 10. November indes noch nicht. Die Grundfrage, die sich stellt, lautet: Waren die Kundgebung und vor allem der Protestmarsch vom Mittwochabend (09.11.1938) wirklich – abgesehen von lautstarkem Protest – so friedlich, dass es noch nicht zu gewaltsamen Übergriffen kam?

Fotos der abendlichen Kundgebung kenne ich bislang jedenfalls ebenso wenig, wie Augenzeugenberichte.

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