Chemnitz – Berichte von Augenzeugen (5): Zur abgebrannten Synagoge gegangen

Die Inaugenscheinnahme der Synagogenruinen, zerstörten Geschäfte und Einrichtungen konnte auch einen Akt der Aufrichtigkeit oder Widerständigkeit darstellen. Reinhold Müller, dessen Vater seit 1934 der Bekennenden Kirche angehörte, war nach der Auflösung des Chemnitzer CVJM ab 1940 im Jugenddienst Kreuz aktiv.

Mit dem Vater zur Synagogenruine

Müller erlebte die Pogromgewalt in Chemnitz nicht selbst, da er im Internat der Herrenhuter Brüdergemeine in Klein Welka bei Bautzen weilte.

Über einen Besuch in Chemnitz nach den Pogromen erinnerte er sich:

„Ein entscheidender Wendepunkt war die ‚Reichskristallnacht‘. Ich habe sie zwar selbst nicht miterlebt, weil ich nicht in Chemnitz war. Aber mein Vater hat mir einiges erzählt, was sich damals abgespielt hat, und er ist mit mir zur niedergebrannten Synagoge auf dem Kaßberg gegangen. Die Ruinen dieses Gotteshauses sprachen für sich selbst. Der Zahnarzt Zinkler – seine Söhne und später auch die Tochter waren bei uns im Jugenddienst Kreuz – war mit seinen Kindern ebenfalls zur abgebrannten Synagoge gegangen und hatte gesagt: ‚Heute brennt die Synagoge – unsere Kirchen werden genauso brennen‘ – und sie brannten ja auch. Er bestand – trotz der Judendiffamierung – darauf, dass seine Kinder weiter mit den jüdischen Kindern spielten“ (Müller, Reinhold: Bekenntnis und Zeugnis. Evangelische Jugend im Widerstand, Salzgitter 2006, S. 63). Müller griff dabei auch auf einen Bericht von  Eberhard Rudolph zurück. Unter dem Namen Zinkler finden sich für das Jahr 1938 zwei Zahnärzte im Chemnitzer Adressbuch eingetragen. Wahrscheinlich aber handelte es sich um den Zahnarzt Wilhelm Winkler, der im Adressbuch für 1939 nunmehr allein verzeichnet ist.

Müller wurde 1942 zur Luftwaffe eingezogen und kam 1945 in britische Kriegsgefangenschaft. Bis zur Einberufung arbeitete er aktiv in der christlichen Jugendarbeit.

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