Eine wichtige Quelle für jeden, der sich mit den Novemberpogromen (oder anderen historischen Ereignisse) auseinandersetzen möchte, sind die Aussagen von Zeitzeugen. Deren Selbstzeugnisse erlauben, die öffentliche Überlieferung in Archiven und Bibliotheken durch den persönlichen Blick wie die individuelle Wahrnehmung zu bestätigen, zu ergänzen oder in Frage zu stellen.
Die Perspektive der Augenzeugen: Die Verfolgten
Die von der Gewalt Betroffenen, Zuschauer und Tatbeteiligten erlebten die Ereignisse dabei aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven. Die als ‚Juden‘ Verfolgten schrieben nicht selten kurz nach den Ereignissen oder auch erst im Alter ihre Erlebnisse nieder, um diese in der Erinnerung präsent zu halten, das erlebte Grauen zu dokumentieren oder zu verarbeiten. Institutionen, wie die Wiener Library, das Leo Baeck Institute und Yad Vashem, sammelten solche Berichte systematisch und stellten sie der Forschung zur Verfügung.
Die Täter
Täter hingegen kamen vielfach, wenn überhaupt, erst in den nach Kriegsende erfolgenden gerichtlichen Untersuchungen zu den Pogromen zu Wort. Ihre Prozess- und Vernehmungsaussagen schilderten dann in erster Linie ihre Sicht der Dinge und Verantwortung angesichts drohender Bestrafung.
Teilweise sind ihre Tatbekenntnisse auch von Dritten überliefert, wenn sie sich etwa vor anderen ihrer Beteiligung an den Pogromen gebrüstet hatten.
Oft blieb aber auch das Schweigen. Viele Täter wurden nicht zur Verantwortung gezogen oder konnten aufgrund verstrichener Verjährungsfristen nicht mehr gerichtlich belangt werden. Nicht selten lebten sie weiter in jenen Orten, in denen sie an Pogromen beteiligt waren.
Die Zuschauer
Berichte und Fotografien belegen, dass die Pogromhandlungen zumindest am 10. November in der Regel zahlreiche Zuschauer anzogen. Diese verfolgten die Ereignisse mit unterschiedlichen Gefühlen – von offener Zustimmung bis hin zur Ablehnung. Ihre Berichte fanden ebenfalls in autobiografische Schriften oder auch in Leserbriefe an Zeitungen Eingang, vor allem in den letzten drei Jahrzehnten – in einer Phase also, in der die Novemberpogrome auch in Sachsen stärker in den Fokus der öffentlichen Erinnerung gerückt waren.
Quellenkritik
Bei allen Berichten (wie auch den sonstigen Quellen) ist es wichtig, sie in ihren Kontext und ihre Entstehungszeit zu stellen. So spiegeln etwa nicht alle Erinnerungen die historischen Tatsachen oder den Ablauf der Ereignisse korrekt wider oder weisen Ungenauigkeiten auf, die in den Blick genommen werden müssen. Um ein annähernd genaues Bild der Pogromereignisse vor Ort zu erhalten, gilt es deshalb, die verfügbaren Zeitzeugenaussagen mit amtlichen Quellen, Zeitungsberichten, den Fotografien und natürlich auch der bereits vorhandenen Forschungsliteratur abzugleichen.