Über die Pogromereignisse in Riesa erschien im Lokalblatt Riesaer Tageblatt und Anzeiger bereits am 10. November 1938 ein kurzer Artikel. Darin hieß es:
„Zum persönlichen Schutz in Sicherheit. Wie in anderen Orten Deutschlands, so bemächtigte sich auch der Riesaer Bevölkerung eine große Beunruhigung, als das Ableben des Gesandtschaftsrates vom Rath bekannt wurde, der von einer jüdischen Mordkugel auf dem Boden der Deutschen Botschaft in Paris angeschossen und schwer verletzt wurde. Im Laufe der Nacht bildeten sich verschiedene Demonstrationszüge, weshalb die Inhaberin des hiesigen jüdischen Kaufhauses polizeiliche Hilfe erbat. Sie wurde, wie auch andere jüdische Personen, zu ihrem persönlichen Schutz vorläufig in Sicherheitshaft genommen“ (Riesaer Tageblatt und Anzeiger 91, 263 (10.11.1938) , S. [3]).
‚Schutzhaft‘ erbeten? – Todesdrohungen gegen Berta Lenczynski
Abgesehen von den antisemitischen Auslegungen des Attentats und dem vorgeblichen ‚Volkszorn‘ nimmt der Artikel Bezug auf das Schicksal von Berta Lenczynski, der das Textilkaufhaus Troplowitz auf der Hauptstraße 19 gehörte. Nachdem SA-Männer um 2 Uhr in der Nacht zum 10. November 1938 mit der Demolierung jüdischer Geschäfte begonnen hätten, wurde auch das Textilkaufhaus attackiert. Zwischen 5 und 6 Uhr habe Lenczynski sich telefonisch bei der Polizei gemeldet und angegeben, dass sie mit dem Tod bedroht werde.
‚Schutzhaft‘, aber kaum Polizeischutz
Daraufhin sei sie zusammen mit ihrem in Riesa weilenden Schwager Josef Lenczynski – wie auch andere Riesaer – in ‚Schutzhaft‘ genommen worden. Auf der Straße, so der Polizeibericht, sei es kaum möglich gewesen, die Lenczynskis vor Tätlichkeiten der 250 bis 300 Personen umfassenden Menschenmenge zu schützen. Gewalt und Todesdrohung verschweigt der Zeitungsartikel jedoch ebenso, wie die Tatsache, dass man von Berta Lenczynski in der Haft die ‚Arisierung‘ ihres Kaufhauses erzwang.
Ausführlich zu den Riesaer Pogromen:
Kühn, Alfred: Die faschistischen Judenpogrome in Riesa, in: Sächsische Zeitung (Riesa) 43, 231 (29.09.1988), [o. S.]; 237 (06.10.1988), [o. S.]; 242 (13.10.1988), [o. S.]; 248 (20.10.1988), [o. S.]; 254 (27.10.1988), [o. S.].
Pätzold, Kurt; Runge, Irene: Pogromnacht 1938, Berlin 1988, S. 123 f.
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