Die von Leo Jehuda Schornstein beschriebene und erduldete Demütigung nahm sich in den offiziellen Presseorganen natürlich gänzlich anders aus. Die wüsten antisemitischen Vorwürfe, die den sogenannten ‚spontanen Volkszorn‘ rechtfertigen sollten, entbehrten dabei jeglicher Grundlage.
Das Geschehen in Dresden aus der Sicht eines Mitarbeiters der nationalsozialistischen Zeitung Der Freiheitskampf
Der Freiheitskampf, das seit 1930 erscheinende Organ der Nationalsozialisten in Dresden, publizierte am 11. November 1938 einen umfangreichen Artikel zum Brand der Dresdner Synagoge. Darin fanden auch die Ereignisse des 10. November Aufnahme – im Gegensatz zu Schornsteins Bericht jedoch in völlig konträrer Sichtweise.
So heißt es darin:
„Mit Windeseile verbreitete sich am Donnerstag in den frühen Morgenstunden die Nachricht von diesem Brand [der Synagoge]. Zu Tausenden säumte bald darauf eine erregte Volksmenge die rauchende Stätte, in der fast hundert Jahre lang Rachelitaneien gegen alle ‚Gojm‘ zu Jahwe emporgestiegen sind. Schon seit langem wurde dieser Ort der Talmudanbeter auch in baulicher Hinsicht als ein Schandfleck in unserer schönen Stadt empfunden, um so mehr, als sich widerliche Juden bis in die allerletzte Zeit auf dem Platz davor noch allzuoft ‚mausig‘ machten. Es war daher auch nicht verwunderlich, daß die Bevölkerung Dresdens schon lange mit Ekel und Abscheu hier am Zeughausplatz zwischen Hasenberg und altem Gondelhafen vorüberging.
Am Donnerstagvormittag wurden die Jahwediener aus dem Rabbinerhaus geholt und veranlaßt, die mit dem Davidstern versehenen Attribute ihrer Talmudlehren aus der Synagoge herauszuräumen. Die feige dienernde Judensippschaft benahm sich angesichts der empörten Volksmenge ekelerregend. Bei aller angesichts des ungeheuerlichen Verbrechens der jüdischen Mordpest an unserem Parteigenossen vom Rath nur zu begreiflichen Wut begnügte sich die Menge damit, dem Judengesindel ihre Verachtung ins Gesicht zu schreien. Es machte sich aber notwendig, diese feige Sippschaft in Schutzhaft zu nehmen“ (Der Freiheitskampf, 311 (11.11.1938), 5).
Die darin erhobenen antisemitischen Vorwürfe sowie die rhetorische Begründung von Gewalt und Demütigung der Verfolgten hatten vor allem den Zweck, die Taten zu rechtfertigen und deren ideologische Grundlagen in der Bevölkerung weiter zu verbreiten. Als alleinige Quellengrundlage sind die zentral gesteuerten Pressemitteilungen zu den Ereignissen deshalb hoch problematisch: Sie enthalten nicht nur zahlreiche antisemitische Begrifflichkeiten (hier: ‚Talmudanbeter‘, ‚jüdische Mordpest‘ u. a. m.). Vielmehr geben sie auch eine, in hohem Maße im Sinne des Regimes manipulierte Sicht auf die Novemberpogrome wider. Einordnung und Kontextualisierung dieses und anderer Zeitungsberichte sind deshalb unbedingt erforderlich.
Nichts gewusst? – Die Zeitungen berichten
Auch jene, die die Ereignisse in Dresden (und andernorts) nicht erlebt hatten, erhielten durch diesen und weitere Berichte in anderen Blättern ein offizielles Bild des Geschehenen. Sie wurden so zu Mitwissern der Pogromgewalt.