Wie bereits bemerkt, ist der Begriff ‚Reichskristallnacht‘ heute weitestgehend durch den Terminus ‚Pogrom‘ abgelöst.
Debatten Ende der 1950er-Jahre
Schon Ende der 1950er-Jahre, als sich die Pogromereignisse zum zwanzigsten Mal jährten, wurde über die dafür gebrauchten Begriffe debattiert. In einem Vortrag zur Geschichte der Juden in der Weimarer Republik brachte es Eva Reichmann, die Leiterin der Forschungsabteilung der Wiener Library in London, mit folgenden Worten auf den Punkt:
„Ob Reichskristallnacht oder nicht Reichskristallnacht – da diese ominöse Frage des Ausdrucks hier angeschnitten worden ist, darf ich vielleicht sagen, daß ich es auf diesem Gebiet mit den Worten von Albrecht Goes halte, der einmal gesagt hat, man solle von der Novembernacht des Jahres 1938, der Nacht, in der die Synagogen brannten, nicht, wie es heute unter uns oft geschieht, als von der Kristallnacht reden. Kristallnacht – ein solches Wort wecke Vorstellungen von Dummenjungenstreichen oder allenfalls von mutwilliger Büberei. Was damals in Wirklichkeit geschah, war das Verbrechen des Sakrilegs. Der Geist nimmt uns in Pflicht. Man darf nicht verharmlosen – auch in Worten nicht – gerade in Worten nicht“ (Reichmann, Eva: Die Lage der Juden in der Weimarer Republik, in: Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Die Reichskristallnacht. Der Antisemitismus in der deutschen Geschichte, 2. Aufl., Bonn 1960, S. 19-31, hier: S. 19).
Aus der Sicht der Verfolgten
Reichmann, die 1897 als Eva Gabriele Jungmann im schlesischen Lublinitz geboren wurde, war selbst von den Pogromen betroffen: Nachdem ihr Mann in Folge derselben einige Zeit im Konzentrationslager Sachsenhausen einsaß, emigrierte das Paar 1939 nach England.
Reichmann, die als Soziologin und Publizistin Bekanntheit erlangte, starb im September 1998 in London.
Literaturhinweis: Eva Reichmann, Die Flucht in den Haß. Die Ursachen der deutschen Judenkatastrophe, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1958.