Die Annahme, dass die ‚Judenfrage‘ im Deutschen Reich nach den Pogromen und den darauf folgenden antisemitischen Verordnungen ‚gelöst‘ sei, teilte man auch beim Sicherheitshauptamt des Reichsführers SS – allerdings nuancierter.
Jahresbericht für das Jahr 1938
Im Jahresrückblick auf 1938 hieß es unter dem Kapitel Judentum und mit Blick auf die Radikalisierung und Beschleunigung der antisemitischen Politik: „Im Berichtsjahr 1938 fand die Judenfrage in Deutschland, soweit sie auf dem Gesetzes- und Verordnungswege zu regeln war, ihren Abschluß“ (zit. nach Adler-Rudel, Schalom: Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime 1933-1939, Tübingen 1974, S. 18).
Im Gegensatz zu manch anderen Kommentatoren, die die ‚Judenfrage‘ als insgesamt gelöst betrachteten, war man sich hier schon darüber in Klaren, dass weitere Schritte gegen die als Juden verfolgten Menschen zu unternehmen seien – auch vor dem Hintergrundwissen, dass vielen Verfolgten aufgrund ihrer zunehmenden Verarmung oder ihres Alters gar nicht mehr zur Ausreise aus Deutschland in der Lage wären. Die SS und das 1939 geschaffene Reichssicherheitshauptamt in Berlin übernahmen zunehmend die Oberhand in der deutschen ‚Judenpolitik‘, die indes Ende 1938 noch nicht auf Massenmord ausgelegt war.