Dass die Pogrome vom November 1938 nicht nur unter dem Begriff ‚Reichskristallnacht‘ im Volksmund bekannt waren, zeigen die Erinnerungen eines Leipziger Zeitzeugen.
… in der Glasnacht versteckt
Heinz Zaspel, der in der Leipziger Färberstraße wohnte, erinnerte sich, dass sein bester Freund ein Jack Parnes gewesen sei. Tatsächlich weist das Adressbuch für Leipzig für 1938 die Familie eines Kaufmanns Adolf Parnes in der Parallelstraße der Färberstraße, der Leibnizstraße 21, aus. Parnes war als Jude verfolgt.
Gegenüber Bernd-Lutz Lange gab Zaspel an, dass er seinen Freund „in der Glasnacht“ im Stadtteil Marienbrunn in einem Keller versteckt habe (Lange, Bernd-Lutz: Davidstern und Weihnachtsbaum. Erinnerungen von Überlebenden, Leipzig 1992, S. 112 f.).
Sein Vater Paul Zaspel habe den Verfolgten zum Klempner ausgebildet, wobei er dann deswegen keine Lehrlinge mehr habe ausbilden dürfen.
Interessant ist, dass Zaspel neben den bekannten Begriffen hier noch einen weiteren Begriff nennt, unter dem die Pogrome firmierten: ‚Glasnacht‘ – in Anspielung auf die zerstörten Fensterscheiben. Auch für andere Orte ist die Verwendung des Begriffs durch die Zeitgenossen belegt, so etwa für Chemnitz.
Ein Ereignis, viele Begriffe
Im Volksmund gingen die Pogrome auch noch unter weiteren Begriffen ein, die Bezüge auf das Geschehen, auf die Geschichte oder auf das Datum nahmen und je nach Perspektive unterschiedlich aufgeladen waren:
- ‚Martinsnacht‘
- ‚Gläserner Donnerstag‘ (dort, wo die Pogromgewalt erst am 10. November 1938 einsetzte)
- ‚Nacht der langen Messer‘
- ‚Bartholomäusnacht‘
- ‚Tag der deutschen Scherbe‘
- ‚Reichstrümmertag‘
- ‚Rath-Aktion‘
- ‚Grünspan-Affäre‘
- ‚Sonderaktion‘
(siehe dazu u. a.: Schmid, Harald: Erinnern an den „Tag der Schuld“. Das Novemberpogrom von 1938 in der deutschen Geschichtspolitik, Hamburg 2001, S. 83).
Heute sind die Begriffe ‚Pogromnacht‘ und ‚Novemberpogrom(e)‘ am gebräuchlichsten.
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