Die Pogrome in Grimma
Das Blatt Nachrichten für Grimma berichtete am 11. November 1938 nicht nur über die Pogromgewalt in Chemnitz, Leipzig und Dresden, sondern auch über die Ereignisse in der Muldestadt selbst. Dabei heißt es unter der Überschrift ‚Empörung auch in Grimma‘:
„Die gerechte Entrüstung über das Pariser Attentat wollte sich gestern auch hier in einer öffentlichen Kundgebung Luft machen. In den Abendstunden sammelte sich eine Menge auf dem Markte an. Da inzwischen der Erlaß des Reichsministers Dr. Goebbels bekannt geworden war, der weitere Demonstrationen und Aktionen untersagte, wandten sich der Bürgermeister und der Ortsgruppenleiter an die Menge, die darauf in anerkennenswerter Disziplin den Weisungen folgte und sich zerstreute. Die Polizei brauchte in keiner Weise einzuschreiten, jede Ausschreitung unterblieb. Die Juden Urbach und Goldschmidt wurden zu ihrer Sicherheit von der Polizei in Schutzhaft genommen“ (Nachrichten für Grimma 126, 265 (11.11.1938), S. [3]).
Eindämmung der Gewalt durch den offiziellen Abbruch der ‚Aktionen‘
Der Aufruf von Goebbels, die ‚Aktionen gegen die Juden‘ zu beenden, so wird aus dem Artikel deutlich, bewahrte die Muldestadt anscheinend vor Übergriffen gegen das Eigentum der Verfolgten. Offensichtlich vollzog sich die Organisation des Pogroms hier am 10. November nur schleppend, so dass sich Goebbels‘ Anordnung und die lokalen Planungen überschnitten. Auf der Titelseite der Nachrichten für Grimma wurde ebenfalls die Beendigung der offenen Gewalt gegen die Juden angeordnet.
Die beschriebene Disziplin und Ordnung, mit der die Zeitung die Beendigung der Pogromereignisse beschrieb, finden sich auch für eine antisemitische Kundgebung in Dresden am Abend des 9. November. Der dabei an den Tag gelegte Tenor: Die Volksmassen seien trotz ihres ‚Zorns‘ im Besitz dieser deutschen Tugenden. Diese und ähnliche Terminologien sind in jedem Fall mit Vorsicht zu betrachten, denn nur weil die Zeitung von der Diszipliniertheit der ‚Volksgenossen‘ schrieb, muss dies nicht unbedingt bedeuten, dass es nicht zu Gewalt kam. Zumindest für Grimma liegen diesbezüglich bislang allerdings keine Erkenntnisse vor.
Verhaftungen in Grimma
Die im Artikel erwähnten Verhaftungen trafen einerseits Lipmann Urbach, der 1943 in Auschwitz umkam. Bei Goldschmidt handelte es sich möglicherweise um den in Wurzen lebenden Friedrich Wilhelm Goldschmidt, der 1944 ebenfalls in Auschwitz starb.