Nicht nur die Tagebücher Victor Klemperers nach den Pogromen vom November 1938, sondern auch seine Briefe belegen, wie fieberhaft er sich – wenn auch vergebens – um Ausreise bemühte.
Büro Laura Livingston (1937-1939)
Am 11. Dezember 1938 wendete sich Klemperer in Berlin an Laura Livingstone. Sie war die Schwägerin des Bischofs von Chichester, George Bell, der sich in der Frage der Hilfe für als ‚Juden‘ verfolgte Christen um Zusammenarbeit der englischen Kirche mit der evangelischen Kirche und Hilfsstellen wie dem ‚Büro Grüber‘ bemühte.
Livingstone unterhielt in Berlin seit 1937 ein Büro, in dem die englische Kirche Verfolgten zu helfen versuchte. Ab Februar 1939 arbeitete sie mit dem ‚Büro Grüber‘ zusammen (mehr dazu u. a. bei: Röhm, Eberhard; Thierfelder, Jörg: Juden, Christen, Deutsche, 1933-1945, Bd. 2, 2, Stuttgart 1992, S. 254-257).
Klemperers Hilfeersuchen
Klemperer schrieb ihr von seinen Bemühungen um Emigration und die Bereitschaft zur Annahme einer beliebigen Stelle im Ausland. Und er schildert ein Grundproblem, mit dem verfolgte ‚nichtarische‘ Christen vielfach konfrontiert waren:
„Die besondere Schwierigkeit liegt für mich darin, das ich, von jüdischen Eltern stammend, unter die deutsche Judengesetzgebung falle, andrerseits aber, als evangelisch-lutherisch und mit einer evangelischen und arischen Frau verheiratet, die Hilfe oder Vermittlung spezifisch jüdischer Einrichtungen nicht in Anspruch nehmen kann“ (Brief abgedruckt in: Nowojski, Walter; Holdack, Nele (Hg.): Warum soll man nicht auf bessere Zeiten hoffen. Ein Leben in Briefen, Berlin 2017, S. 233-235, hier: S. 234). In Klemperers Tagebüchern ist der Brief unter anderem im Eintrag vom 15. Dezember 1938 genannt.
Eine Antwort auf Klemperers Schreiben ist nicht bekannt. In seinen Tagebüchern gibt Klemperer aber unter dem 17. Januar 1939 den Hinweis, dass Livingstone es gewesen sei, die Max von Loeben zum Besuch bei Klemperer bewegt habe. Sie stellte also den Kontakt zum Büro Grüber her, dessen Vertrauensmann von Loeben in Dresden war.
Später (Tagebucheintrag vom 28.09.1941) nahm Klemperer noch einmal Bezug auf Livingstone: Im pessimistischen Rückblick angesichts der gescheiterten Emigrationsbemühungen merkte er an, dass er mit Livingstone die schlechtesten Erfahrungen gemacht habe.
Literaturhinweis zum Büro Laura Livingstone
Rohr, Anna: Dr. Heinrich Spiero (1876-1947). Sein Wirken für die Christen jüdischer Herkunft unter dem NS-Regime, Berlin 2015, S. 248-257.
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