Leipzig – Berichte von Augenzeugen (2): Pogromgewalt und Hilfe durch Nachbarn

Die Pogromgewalt erlebte in Leipzig auch der 1932 geborene Siegfried Szapira (später dann Wahrmann). Sein Vater Josef Szapira unterhielt ein Stahlwarengeschäft in der Nordstraße 28, wohin die Familie erst 1938 umgezogen war.

Schreiende Menschen

Vom Fenster eines Zimmers seiner Tante habe er auf der Straße Menschen schreien gehört: „‚Wir werden einbrechen! Einbrechen!‘ Da hat sie uns alle zusammengenommen, die Kinder, meine Eltern, und wir sind dann in den Hinterhof. Wir haben gehört, wie die Steine in die Fenster geflogen sind. Alles war zerschmettert. Menschen haben gerafft, Kinder wurden weggenommen, Sachen wurden gestohlen. Nachher hat meine Mutter das Fenster zum Hinterhof aufgemacht und hat geschrien: ‚Hilfe, Hilfe, Hilfe!‘ Mein Vater hat das Telefon genommen und die Polizei gerufen. Die Polizei hat ihm geantwortet: ‚Wir können nicht an jedes jüdische Geschäft einen Wärter stellen.‘ Das war die Antwort. Die Synagoge wurde in derselben Zeit zerstört.“

Hilfe durch Nachbarn

Auch die Familie Szapira durfte erleben, dass sich Nachbarn der Verfolgten annahmen. Siegfried Wahrmann erinnerte sich daran wie folgt:

„Wir hatten einen Hauswirt im zweiten Stock. Ich glaube, er war ein Advokat oder irgendwas Ähnliches. Er war Mitglied der Nazipartei, aber er war in Wirklichkeit kein Nazi im Herzen. Er musste da hingehen, denn das brauchte er für seinen Beruf. Er hat mich und meine Schwester mit rauf in seine Wohnung genommen und versteckte uns im Badezimmer. Meine Eltern wollte er nicht mitnehmen, das waren ihm zu viele Menschen. Deshalb sind sie zu einer anderen Nachbarin unter uns gegangen, in den Keller zu Frau Tetzner. […] Sie hat meine Eltern zu sich genommen, meinen Bruder auch. Sie bekamen Frühstück runtergeschickt mit Brötchen und Eiern. Und ich war mit meiner Schwester oben und wir haben gesehen, was auf der Nordstraße passiert ist. Hunderte Juden wurden zusammengetrieben, die Treppe hinunter zur Parthe. Man hat geschlagen, es wurde geschrien … Unnormal!“ (Interview mit Elke Urban, abgedruckt in Urban, Elke (Red ).: Jüdische Schulgeschichten. Ehemalige Leipziger erzählen, Leipzig 2011, hier S. 25 f.).

Emigration

Josef Szapira versteckte sich nach den Pogromereignissen zunächst, um nicht ins Konzentrationslager überstellt zu werden. Im April 1939 emigrierte die Familie nach Amerika (ebd. S. 26).

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