Was Auguste Lazar, die aus Dresden stammte und im November 1938 in Wien ihre Verwandten besuchte, in der Donaustadt erlebte, notierte sie später in ihren Lebenserinnerungen, die ich heute einsehen konnte.
Der Nachtmahr
Darin heißt es zu den Wiener Pogromereignissen:
„Jetzt war er da, der Nachtmahr, der Alb. Am hellen Tage war er da und ließ keinen von uns mehr los. Am 7. November war in Paris ein Attentat auf ein Mitglied der deutschen Botschaft verübt worden. Dies nahmen die Nazis zum Anlaß, in ihrem ganzen Machtbereich einen groß angelegten Pogrom zu inszenieren. Mehr oder weniger künstlich wurde überall der ‚Volkszorn‘ gegen die Juden entfacht. Nirgends mit größerem Erfolg als in Wien. Ich will die Greuelszenen nicht schildern, die sich auf Straßen und Plätzen abgespielt haben, die Plünderung unzähliger Geschäfte, die Überfälle auf Wohnungen, aus denen Juden ‚geholt‘ wurden, oder auf Passanten, die unter dem Hohngelächter uniformierter und nichtuniformierter Rowdies auf den Knien die Straßen scheuern mußten, von Stößen und Stockhieben getrieben. Unter irgendwelchen Vorwänden, manchmal auch ganz ohne Vorwand wurden zahllose Verhaftungen vorgenommen. Die Gestapo nahm ihre schmutzige Arbeit in größtem Umfang auf. Massentransporte in die Konzentrationslager setzten ein, vor allem nach Dachau“ (Lazar, Auguste: Arabesken. Aufzeichnungen aus bewegter Zeit, Berlin 1957, S. 252).
Tief geprägt
Besonders erschütterte Lazar eine Szene: „Vor einem Geschäft, dessen Schaufenster über und über mit roten Aufschriften beschmiert war: Jüd! Jüd! Jüd! stand ein kleiner Junge mit einem Schulranzen auf dem Rücken. Die Farbe war noch feucht. Der Junge fuhr mit dem Zeigefinger hinein und malte unter jedes J, das er erreichen konnte, rote Tropfen. ‚Wie Blutstropfen‘, sagte er befriedigt vor sich hin“ (ebd., S. 252 f.).
Schutz von Ausländern
In ihren Erinnerungen schildet Lazar auch, dass die ausländischen Konsulate in Wien ihre Staatsangehörigen mit „Anstecknadeln in Form von kleinen Flaggen in den betreffenden Landesfarben versorgt, damit sie unbehelligt blieben“ (ebd., S. 252). Tatsächlich, so auch die Anweisungen an Sicherheitspolizei und lokale Pogromakteure, sollten ausländische Juden unbehelligt bleiben. In der Praxis wurde jedoch auch diese Grenze vielfach überschritten und nicht beachtet.