Ralf Bachmann, dessen Familie selbst am 9./10. November 1938 als Juden verfolgte Menschen aufnahm, gehörte selbst zu den Verfolgten. Der 1929 geborene Bachmann war zwar evangelisch getauft, doch schütze ihn dies nicht vor Verfolgung. 1995 schrieb er seine Erinnerungen nieder und berührte darin auch die Pogromereignisse (Bachmann, Ralf: Ich bin der Herr. Und wer bist Du?, Berlin 1995).
Zum Onkel nach Leipzig
Am Folgetag, also wohl am 10. November 1938, fuhr Bachmann mit seiner Mutter nach Leipzig, um nach seinem Onkel Willy zu sehen. Über seine Erlebnisse schrieb er später:
„Wie viel an jenem Tag in Flammen aufgegangen war, sah ich am nächsten Tag, als meine Eltern in Sorge um das Schicksal des Bruders meiner Mutter und seiner Familie mit mir nach Leipzig fuhren. Am Augustusplatz war das Eckhaus zur Grimmaischen Straße völlig ausgebrannt, in dem sich das große jüdische Konfektionshaus Bamberger & Hertz befunden hatte. Was hier geschehen war, durfte man nicht einmal aussprechen. Die vom offiziellen Naziorgan ‚Leipziger Tages-Zeitung‘ verbreitete Version lautete nämlich, ‚die Juden‘ hätten dort ‚in raffinierter Weise eigenhändig Feuer angelegt‘. Kein normaler Mensch glaubte das. […] In triumphierendem Ton bilanzierte die ‚Leipziger Tages-Zeitung‘ – wie viele deutsche Journalistengenerationen mögen deren nie zur Rechenschaft gezogene Redakteure wohl noch zu wahren Demokraten erzogen haben? – am Tage danach: ‚Die Synagoge an der Gottschedstraße und das Bethaus in Apels Garten waren nicht die einzigen Tempel, die die Volkswut vernichtete. Überall, wo sich die Itzigs mit ihren Thora-Büchern eingenistet hatten, loderten die Flammen. Auch die Kapelle auf dem Israelitischen Friedhof fing Feuer.’“ (zit. in Schattenblick).
Onkel Willy in Buchenwald
Der Onkel gehörte zu den Personen, die festgenommen und ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden waren. Auch daran erinnerte sich Bachmann: „Auch mein Onkel Willy war schon am Folgetag unmittelbar davon betroffen. Er musste sich im Polizeipräsidium melden und wurde von dort direkt in das KZ Buchenwald abtransportiert. Nach fünfeinhalb Monaten hat man ihn nur gegen die Verpflichtung entlassen, sofort aus Deutschland zu verschwinden“ (ebd.).
Die nachfolgende Emigration auf dem Dampfer ‚St. Louis‘ endete nach langer Irrfahrt für den Onkel in Frankreich; 1942 starb er in den Gaskammern von Auschwitz.