Viele der als Juden Verfolgten Menschen versuchten angesichts von Gewalt und drohender Festnahme unterzutauchen oder sich bei Freunden und Bekannten in Sicherheit zu bringen.
Erinnerungen an den 9./10. November 1938 in Crimmitschau
Zu den Zeitzeugen jener Pogromtage gehörte der achtjährige Ralf Bachmann in Crimmitschau. 2008 erinnerte er sich der Ereignisse:
„Ich war damals noch keine neun Jahre alt und wohnte mit meinen Eltern in der sächsischen Textilarbeiterstadt Crimmitschau. Dort gab es nicht sehr viele Juden, aber da meine Eltern viele Leidensgefährten aus der weiteren Umgebung gut kannten, klingelte und klopfte es die ganze Nacht zwischen dem 9. und dem 10. an unserer Tür. Die meisten Besucher erhofften ein kurzes Asyl und ein wenig Ruhe, da mein Vater Nichtjude und zu erwarten war, dass ‚Mischehen‘ an diesem Tag noch nicht auf der „spontanen“ Menschenjagdagenda der Nazis standen.
[…]
Sie kamen, um uns nicht in Schwierigkeiten zu bringen, so unauffällig, wie man das mit blutenden Wunden und frischen Verbänden eben kann. Ich hockte still unter dem großen Stubentisch, denn niemand dachte daran, mich ins Bett zu schicken, und hörte alles mit. Jeder erzählte sein Erlebnis mit der SA und anderen ‚deutschen Volksgenossen‘. Fast alle weinten, nicht nur der Schmerzen oder des Schocks wegen, sondern auch aus tiefer Enttäuschung darüber, dass sich Nachbarn, Freunde, Skat- und Stammtischbrüder an den Misshandlungen und Plünderungen beteiligt hatten. Zum erstenmal war allen bewusst geworden, dass sie es hier nicht mit einer Horde verrückter Nazis zu tun hatten, sondern mit der Mehrheit des Volkes, welches bis gestern auch das ihre gewesen war“ (zit. in Schattenblick).
Die Familie Bachmann war eins von zahlreichen Beispielen, in denen Mitmenschen den Verfolgten ihre Türen öffneten und halfen. Für Crimmitschau selber sind bislang keine Pogromereignisse bekannt.
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