Vor allem im Zusammenhang mit den Jahrestagen der Novemberpogrome, dem Gedenken an die nationalsozialistische Judenverfolgung oder auch einfach städtebauliche Veränderungen erinnerten sich Menschen an ihre Erlebnisse vom Herbst 1938.
Das Textilgeschäft neben dem Kino ‚Metropol‘
In Radeberg erinnerte sich der inzwischen verstorbene Gottfried Beier 2004 angesichts der Sanierung des Gebäudes des ehemaligen Kinos ‚Freundschaft‘ auf der Hauptstraße an die Geschichte des Hauses. Er schrieb in einem Leserbrief an die Sächsische Zeitung:
„Bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg trug die Spielstätte den Namen »Metropol« und sie gehörte der Familie Poser bis zur Enteignung. […] Ich entsinne mich auch noch mit Wehmut, dass nach der so genannten Reichskristallnacht im Jahre 1938 die Nazis die Schaufensterscheiben des Textilwarengeschäftes neben dem Kino, Ecke Hauptschulstraße, beschmiert hatten und der sehr beliebten jüdischen Familie Iggenberg übel zusetzten. Glücklicherweise konnte sie freilich gänzlich mittellos Deutschland noch verlassen. Die guten Iggenbergs sind vor Harm und Traurigkeit in einer Londoner Kellerwohnung verstorben“ (Beier, Gottfried: Ein Haus voller Geschichte [Leserbrief], in: Sächsische Zeitung [Radeberg] (20.02.2004), S. 14).
Modewaren Minna Ikenberg
Hinweise zur Geschichte von Minna Ikenberg finden sich unter anderem in den Arbeiten von Hugo Jentsch zur Geschichte der Juden in Pirna. Demnach seien Minna und ihr Mann, der Handlungsreisende Salomon Ikenberg, 1886 aus den USA nach Pirna gekommen. Dort betrieben sie ein Weißwarengeschäft, dass sie aber schon 1893 wieder auflösten und dann anscheinend nach Remscheid gingen. Das Adressbuch von Radeberg verzeichnet für 1937 auf der Hauptstraße 34 das Modewarengeschäft Minna Ikenberg. Ikenberg starb bereits 1935 (vgl. die Todesanzeige im Gemeindeblatt der Jüdischen Gemeinde zu Berlin 25, 13 (31.03.1935), S. 13). Das Radeberger Geschäft führte der 1885 geborene Verwandte Arthur Schaefer, der 1943 in Auschwitz umkam.
Erinnerung und Geschichte
Inwiefern Beiers Erinnerungen an mutmaßlich mit den Novemberpogromen in Verbindung stehenden Übergriff gegen das Geschäft Ikenberg tatsächlich in dieser Form den historischen Realitäten entsprachen, lässt sich indes bislang nicht ausreichend belegen. Eine Studie zur Geschichte Radebergs in der Zeit des Nationalsozialismus führt sogar an, dass das Geschäft bereits im August 1938 an einen ‚arischen‘ Inhaber, an Rudolph Martin, übergegangen sei. Dass das Geschäft zuvor von SA-Männern und aufgeputschtem Mob demoliert worden sei, habe die Inhaber zum Verlassen der Stadt bewogen (vgl. Wehner, Helfried et al.: Radeberger Land unter dem Hakenkreuz. Fakten und Ereignisse aus unserer Stadt und den umliegenden Orten während des „Dritten Reiches“, Zittau [1999], S. 55).
Ob dann im November 1938 die Schaufensterscheiben gleichwohl nochmals beschmiert wurden, bleibt offen. Denkbar ist auch, dass dieser Vorfall bereits früher stattfand.