Die Wahrnehmung der Pogrome im Ausland: Paul Mühsam

Die Berichte über die Pogromereignisse im Deutschen Reich verbreiteten sich schnell auch ins Ausland. Der schon 1933 nach Palästina emigrierte Rechtsanwalt Paul Mühsam (1876-1960) aus Görlitz notierte seine Wahrnehmungen unter dem 10. November 1938 in seinem Tagebuch:

„Entsetzliche Judenpogrome in Deutschland. Zahllose Synagogen verbrannt. Massenverhaftungen. Strafe von 1 Milliarde Mark. Mord und Raub unter dem scheinheiligen Vorwand einer Sühne für das Attentat von Grünspan auf den Botschaftsattaché vom Rath. Im Radio Judenhetze schlimmster Art. Das Regime, das tausende von Juden gemartert, getötet und zum Selbstmord getrieben hat, regt sich über die Reaktion eines Gequälten [Anm.: gemeint ist hier Grynszpan] auf, schiebt die Schuld heuchlerisch dem ‚Weltjudentum‘ in die Schuhe und macht die völlig schuldlosen Juden Deutschlands dafür verantwortlich. Mittelalter schlimmster Art.“ (Quelle: Mühsam, Paul: Mein Weg zu mir. Aus Tagebüchern, Zweitdruck der 1. Aufl., Konstanz 1992, S. 196).

Versuch einer Deutung der Pogrome aus dem Exil

Nur wenige Tage versuchte sich Mühsam in einer Einordnung der Ereignisse, die er unter dem 22. November in seinem Tagebuch notierte: „Die Krankheit, an der die Führerschicht Deutschlands leidet, heißt moral insanity, ein Fehlen jedes Ethos. … Darum gilt es als richtiger, Unrecht zu tun statt Unrecht zu leiden, für alles Störende rächt man sich, den nicht Zugehörigen verspottet man, den Gleichstehenden haßt man, den Höherstehenden beneidet man, den Tieferstehenden verachtet man.“ (Quelle: ebd., S. 196).

Dass Mühsam nach mehrjährigem Ringen Ende 1938 von den Behörden in Palästina endlich eingebürgert wurde, führte er ebenfalls auf die Novemberpogrome zurück, die den Ausschlag für den positiven Bescheid gegeben hätten (ebd., S. 197).

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