Leipzig – Berichte von Augenzeugen (5): Die Wohnung zertrümmert

Im Jahr 1995 erschienen die Erinnerungen von Schlomo Samson im Druck, in denen der 1923 in Leipzig geborene Verfasser die Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus, den Besuch von zwei Schulfarmen in Holland (1939-1942), die Zeit in den Lagern Westerbork und Bergen-Belsen sowie die illegale Einwanderung nach Palästina nach der Befreiung beschreibt (Samson, Schlomo: Zwischen Finsternis und Licht. 50 Jahre nach Bergen-Belsen, Jerusalem 1995).

Die Wohnung zertrümmert

Auch Samsons Erlebnisse während der Novemberpogrome von 1938 fanden in den Band Eingang. Die Familie lebte in Leipzig in der Gottschedstraße 28. Das Adressbuch verzeichnet dort den Handelsvertreter Josef Samson, Schlomos Vater. Am Vormittag des 10. November 1938 – Samson war mit seinem kleinen Bruder, der Mutter und der Großmutter allein zuhause – sei die Wohnung überfallen worden:

„Die ‚Vom-Rath-Rächer‘ waren mit Eisenstangen ausgerüstet, um alles was in ihren Weg kam zu zertrümmern. Nachdem sie sich überzeugt hatten, daß keine Männer im Haus waren, begnügten sie sich damit, alles Porzellan, Glas und die Fensterscheiben in Stücke zu schlagen und ein paar Möbelstücke zu zerhacken. Dann zogen sie weiter und suchten vornehmere Wohnungen, die ihnen sicher mehr Genugtuung verschafften.

Im Stadtzentrum wurden alle Schaufenster der vielen jüdischen Geschäfte zerschmettert, aber vor allem die Synagogen verbrannt und das Gebäude der jüdischen Schule“ (ebd., S. 53).

Angst und Unsicherheit

Aus Sicherheitsgründen hätte die Familie daraufhin für ein paar Nächte außerhalb bei Freunden des Vaters geschlafen. Diese seien Staatsbürger Argentiniens und Uruguays gewesen. Ihre Türen hätten sie mit ausländischen Wappen und Fahnen versehen, was wohl stärkeren Eindruck auf die Marodeure als die Namen Korngold und Auswachs machen sollte.

Das Ende der Moral

Samson nahm in den Folgentagen auch die zerstörten Einrichtungen der jüdischen Gemeinde in der Messestadt ins Auge – darunter die von der Familie besuchte Ez-Chaim-Synagoge.

Angesichts der Gewalt und Zerstörung nahm er im Rückblick auch eine Bewertung der deutschen Situation vom Herbst 1938 vor: „Moralisch waren das schwere Tage. Eine Ideenwelt, von der wir glaubten, daß sie in der ganzen modernen Welt anerkannt war, brach über Nacht zusammen. Wir hatten das Gefühl, ins Mittelalter zurückversetzt zu sein“ (ebd. S. 54).

Die Familie, so verzeichnet es das Leipziger Adressbuch von 1939, lebte dann in der Lortzingstraße 14. Am 28. November 1938 verließ Schlomo Samson das Deutsche Reich und ging nach Amsterdam. Nach seiner Odyssee durch die Lager gelangte er nach Kriegsende nach Palästina.

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