Dresden – Berichte von Augenzeugen (4): Leo Jehuda Schornstein, Sekretär der Jüdischen Gemeinde

Zu den immer wieder zitierten Augenzeugenberichten von den Pogromereignissen am 10. November 1938 in Dresden gehört der Bericht von Leo Jehuda Schornstein (Schornstein, Leo Jehuda: Erlebnisbericht aus Dresden, in: Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau (Hg.): Die Reichskristallnacht. 9. November 1938. 9. November 1988. 4., erw., Heppenheim 1988, S. 48 f.). Der Sekretär der Dresdner Jüdischen Gemeinde wurde am 10. November bei seiner Ankunft im Gemeindehaus in der Zeughausstraße festgesetzt.

Öffentliche Demütigung

Zusammen mit anderen wurde Schornstein in den Anbau der zerstörten Synagoge geführt, um jüdische Kultgegenstände herauszuholen. Was dann geschah, schilderte er in seinem Bericht:

„Nach dem Ausräumen des Tresors bekamen wir den Befehl, den Wäschekorb mit den Wertgegenständen durch den Synagogenhof in das Gemeindeamt zu bringen. Die Menschenmenge, die sich auf 2000 Personen angesammelt hatte, begann zu gröhlen und drohende Haltung anzunehmen, als sie uns Juden sahen. Nach dem Abstellen des Korbes wurden wir wieder zu viert in den Synagogen-Anbau gebracht, wo wir unversehrte Thorarollen […] herausnehmen mußten. […]. Bevor man uns aber auf die Straße brachte, zog man uns Thoramäntel über den Kopf, band uns Schürzen der Kinder des dort befindlichen Kinderhortes um den Hals und stülpte uns Zylinderhüte der Synagogenvorsteher auf den Kopf, indem man mit einem Schlag die Hüte zusammendrückte, was einen makaberen, seltsamen und erniedrigenden Eindruck darstellte“ (S. 48).

Die Szene, von der auch Otto Griebel, berichtet, ist im Foto festgehalten, das sich im Archiv der Jüdischen Gemeinde zu Dresden befindet. Schornstein war wohl der Herr mit der Brille, neben ihm mit Hut zu sehen ist Rolf Pionkowski. Bei dem Herrn im hellen Mantel links im Bild handelt es sich um Johannes Clemens, den Leiter des Sicherheitsdienstes der SS (kurz: SD), Hauptaußenstelle Dresden – einer der Täter. Die Identität der Person mit dem über den Kopf gezogenen Thoramantel ist bislang nicht eindeutig geklärt.

Drangsalierung im Gemeindehaus

Schornstein schilderte auch jene Dinge, die sich im Gemeindehaus abspielten. Dazu gehörten etwa ‚Turnübungen‘ und die Zurschaustellung am geöffneten Fenster zur ‚Belustigung‘ der Menge. Darüber schrieb er:

„Mir wurde ein Gebetsmantel über den Kopf gestülpt, man gab mir zwei silberne Thorakronen in die Hand, schob mich an das zur Straße führende Fenster und ’schaukelte‘ mich mit Schlägen im Fenster hin und her, wobei die unten stehende Volksmenge in frenetisches Johlen ausbrach. Diese Prozedur mußte ich noch auf einem Stuhl stehend mehrmals wiederholen, wobei sich der Mob auf der Straße noch mehr ergötzte“ (S. 48 f.).

Auch von dieser Erniedrigung sind inzwischen Fotografien bekannt. Diese zeigen auch die von Schornstein oben erwähnten Schürzen des Kinderhorts, die einen Teil des Demütigungsrituals bildeten.

Schornsteins Bericht kann unter anderem hier (Word-Dokument) nachgelesen werden.

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