Dresden – Berichte von Augenzeugen (2): Wieland Förster

Auch der 1930 geborene Bildhauer Wieland Förster wurde in Dresden Zeuge der Pogrome. Das Erlebte hielt er in einer 2012 erschienenen Autobiografie zu seinen Jugendjahren fest (Förster, Wieland: Seerosenteich. Autobiografie einer Jugend in Dresden 1930-1946, Dresden 2012).

Mit der Mutter zur Brandruine der Dresdner Synagoge

Wieland verbrachte seine Kindheit in Laubegast. Für den 10. November 1938 erinnert er sich an folgende Begebenheiten:

„An einem grauen Novembermorgen – ich bin mir nicht sicher, ob es ein Schultag war – weckte mich meine Mutter früher als üblich. Außer sich drängte sie zur Eile: ‚Mach schnell Junge, wir müssen in die Stadt.‘ […].

Über Laubegast, der nur in Hochwasserzeiten klar umrissenen Insel, und den durchfahrenen Vorstädten Tolkewitz und Striesen lag dichter Nebel. Die Straßen verzweigten sich bedrückend leer und verlassen, was besonders hinter dem Fürstenplatz, der zunehmend dichter bebauten Innenstadt, auffiel. In den engen Gassen der Trödler und Handwerksbetriebe hingen die Nebelschwaden wie feine Stores zwischen den Fassaden. In anderen Vierteln glaubte ich bläuliche Rauchfahnen wehen zu sehen, aber geschützt vom eisernen, über die Gleise rumpelnden Waggon tat sich diese Wahrnehmung als Zeichen meiner Ermüdung ab. Kurz vor der Haltestelle ‚Amalienbrauerei‘. Richtung ‚Pirnaischer Platz‘ zog sich meine Mutter, als stünde sie unter Beobachtung, auf den hinteren Perron zurück. Sie spähte, seltsam verwirrt, in die links und rechts abgehenden Straßen und sprang, sobald die Straßenbahn hielt, mich nachziehend, auf das feucht glänzende Pflaster hinab. Der aufsteigende Neben war von ätzendem Brandgeruch durchsetzt. Die Tore der Brauerei standen, bestimmt wie an allen Tagen zuvor, weit offen. Im Hof klirrten die Ketten der schon angeschirrten Kaltblüter. Doch die Kutscher bewegten sie nicht, keine Käufer drängten sich vor den menschenleeren Fassausgaben, und die verödeten Wirtshausstuben flößten mir Furcht ein.

Wie ein kleiner Junge ging ich langsam und unsicher an der Hand meiner Mutter, von wachsender Neugier ergriffen, die Schaufenster der anliegenden Geschäfte ab, bis zur breiten Straßenauffahrt der ‚Carolabrücke‘, eingeschüchtert von den ungeheuerlich großen Schemen der aufsteigenden Flusspferdegruppen. Nach Überquerung der breiten Straßen und Schienen standen wir bald vor einer hohen Mauer. Hinter den vergitterten Durchbrüchen schwamm in unklaren Konturen, mehr fleckenhaft, ein parkähnliches, vom schwelendem Rauch verdunkeltes Areal, das, als Windböen den undurchdringlichen Qualm zerrissen, den Blick auf die rauchende Ruine eines kirchenähnlichen Gebäudes freigab. Ausgesperrt standen wir vor einem aus Eisenspeeren gefügten Tor fröstelnd im Sprühregen, unwissend in Haft genommen von einer unfassbaren Macht, deren Botschaft die pure Angst war.

In dieser Stunde verbot sich jede Frage, jedes dahingeflüsterte Gespräch zwischen und – nur unerträgliches Schweigen und die Gewissheit totalen Vertrauens. Meine Mutter, die Unpolitische, hatte den Mut gehabt, mich am Morgen nach der ‚Kristallnacht‘ zum Zeitzeugen der niedergebrannten Synagoge zu machen.

Von da an beherrschte zu allen Tages- und Nachtzeiten der aufgeputschte Mob die Bürgersteige der Geschäftsstraßen. Das Ereignis dieser Nacht ging als leises, aber unüberhörbares Signal für die Auslöschung der nachbarlich lebenden Juden übers Land und in die Welt. Im Schatten dieser Vergangenheit kann ich meinen Geburtsort nicht vor der Welt entlasten“ (S. 27 f.).

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