Monthly Archives: Juni 2018

Plauen – Berichte von Augenzeugen (1): Joachim Frotscher

1938 war Joachim Frotscher in Plauen gerade einmal elf Jahre, als er den Brand der Synagoge erlebte. Besonders beschäftigte Frotscher, der in einer adventistischen Familie aufwuchs, dass seine Gemeinde nicht einmal ein Wort der Anteilnahme gegenüber den als Juden Verfolgten gezeigt habe.

Ich schäme mich dafür

In einem Interview äußerte er sich Anfang 2003 wie folgt:

„Auch unsere Familie schwieg. Wie konnte es sein, dass sich niemand in unserer Gemeinde, nicht ein einziger, darüber empörte? Wir sahen die Synagoge brennen, aber ich hörte kein Wort des Mitleids oder der Anteilnahme aus dem Mund meiner Eltern. Man nahm die Ereignisse zur Kenntnis – es sprach sich schnell herum, dass die SA den Brand gelegt hatte – und schob den Juden die Schuld zu. Sie wären für ihr Unglück selbst verantwortlich. Sie hätten doch in Jerusalem gerufen: ‚Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.‘ Nun müssten sie die Folgen ihrer Einstellung tragen […] Was mich bis heute besonders bedrückt hat, ist die Tatsache, dass wir als Adventgemeinde in Plauen in dieser bitteren Stunde einfach nur schwiegen und wegschauten. Dieses ‚Warum‘ quält mich. Ich schäme mich dafür“ (zitiert in: Heinz, Daniel: Missionarische Offenheit in der Welt, ideologische Anpassung in Deutschland: Siebenten-Tags-Adventisten und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Heinz, Daniel (Hg.): Freikirchen und Juden im „Dritten Reich“. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld, Göttingen 2011, S. 281–308, hier S. 296).

Auf dem ehemaligen Synagogengrundstück steht heute die Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Plauen.

 

Ein Davidstern aus Bautzen und seine Geschichte

Zu den Objekten, die die Pogromgewalt überstanden, gehört auch ein Davidstern aus Bronze. Der Stern stammt aus der Betstube der Jüdischen Gemeinde in Bautzen

Auf die Straße geworfen

Der Stern sei während der Demolierung der Bautzener Betstube am 10. November 1938 auf die Straße geworfen und dabei auch beschädigt worden. Er wurde von einem Bautzener geborgen und aufbewahrt.

Heute gehört der Stern der Jüdischen Gemeinde in Dresden als Rechtsnachfolgerin der Bautzener Jüdischen Gemeinde. Er ist unter anderem auf dem Cover der 12. Jahresschrift des Stadtmuseums Bautzens abgebildet.

„Synagogen werden rauchen“ – Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann und die Pogrome (3)

Dass Martin Mutschmann den wirtschaftlichen Ausschluss der Juden durch die der Pogromgewalt folgenden Verordnungen als antisemitischen Meilenstein ansah, belegt sein Rückblick auf das Jahr 1938 in der nationalsozialistischen Zeitung ‚Der Freiheitskampf‘.

Die ‚Judenfrage‘ endgültig gelöst

Zu dem Attentat auf den Pariser Botschaftsmitarbeiter und den Pogromen schrieb er dort:

„Im Jahre 1938 wurde in Deutschland die Judenfrage endgültig gelöst! Die Schüsse, mit denen der Jude Grünspan den deutschen Botschaftsrat vom Rath niederstreckte, um damit Deutschland zu treffen, haben zwar ein blühendes Menschenleben ausgelöscht, aber dem Judentum selbst den größten Schlag gegeben. Das Judentum hat sich mit diesem organisierten Mord selbst den schlechtesten Dienst erwiesen. Ein einziger Schrei der Empörung über diesen Judenmord ging durch das antisemitisch eingestellte deutsche Volk hindurch und die Staatsführung brauchte tatsächlich nur dem spontanen Willen des Volkes Rechnung zu tragen, als sie die drakonischen wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Juden in Deutschland erließ. Während die Nürnberger Gesetze die Reinerhaltung des deutschen Blutes vor dem Juden sicherstellten, bringen die jetzigen Verordnungen gegen die Juden auch die wirtschaftliche Befreiung des deutschen Volkes von den jüdischen Parasiten“ (Mutschmann, Martin: 1938 – das stolze Jahr Großdeutschlands, in: Der Freiheitskampf, 1 (01.01.1939), S. 1 f., hier S. 2).

Mutschmann wiederholte dabei auch die Mär vom ‚spontanen Volkszorn‘. Die tatsächlich vor allem durch die NSDAP organisierte Gewalt blendete er in dem Beitrag vollkommen aus.

Für den Hinweis auf Mutschmanns Zeitungsbeitrag danke ich Prof. Dr. Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung Dresden.

„Synagogen werden rauchen“ – Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann und die Pogrome (2)

Über die Rolle Mutschmanns während der sächsischen Pogromereignisse ist bislang nur wenig bekannt. Öffentlich in Erscheinung trat der Gauleiter in deren Kontext jedoch anscheinend nicht.

Geständnis vor dem sowjetischen Militärgericht

Nach seiner Gefangennahme im Mai 1945 räumte Mutschmann vor einem Moskauer Militärgericht schließlich seine Verantwortung für die sächsischen Novemberpogrome ein. Genaue Details sind aber nach wie vor offen (dazu: Schmeitzner, Mike: Der Fall Mutschmann. Sachsens Gauleiter vor Stalins Tribunal, Beucha 2011, S. 125).

In München zum ‚Tag der Bewegung‘

Sicher ist, dass sich Mutschmann zumindest am 8. November zum Treffen der ‚alten Kameraden‘ der NSDAP in München aufhielt. Dass er vor dem Moskauer Militärgericht einräumte, zu den Pogromen in Sachsen aufgerufen zu haben, lässt sich zumindest als Indiz lesen, dass der Gauleiter Goebbels‘ Aufruf zum antisemitischen Gewalt in München erlebte.

Weniger wegen seines Antisemitismus als vielmehr wegen seiner Rolle als Reichsverteidigungskommissar sowie der Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter wurde Mutschmann in Moskau schließlich zum Tode verurteilt. 1947 wurde er erschossen.

„Synagogen werden rauchen“ – Der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann und die Pogrome (1)

1925 wurde der Plauener Spitzenfabrikant Martin Mutschmann (1879-1947) zum sächsischen NSDAP-Gauleiter ernannt. Er galt als glühender Antisemit, gleichsam als ein zweiter Julius Streicher.

Synagogen werden brennen

Mehrfach trat er schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten antisemitisch in Erscheinung: In Reden und Zeitungsbeiträgen hetzte er immer wieder gegen die Juden. Während einer Ansprache in Weimar im Juni 1931 prophezeite Mutschmann, dass „einmal Synagogen rauchen“ werden und „der Tag der furchtbaren Abrechnung“ mit den Juden kommen werde.

Antisemitismus als politische Handlungsmaxime

Nach der ‚Machtübernahme‘ durch die Nationalsozialisten 1933 stieg Mutschmann in Sachsen zum Reichsstatthalter und 1935 auch zum Ministerpräsidenten auf. Seinen Antisemitismus bekamen die als Juden Verfolgten deutlich zu spüren.

Zur Biografie: Schmeitzner, Mike: Der Fall Mutschmann. Sachsens Gauleiter vor Stalins Tribunal, Beucha 2011.

Die Haltung der Bevölkerung zu den Pogromen (2): Handlungsoptionen und Mitwisserschaft

Während viele Menschen angesichts der Pogrome wie gelähmt waren, halfen einige den Verfolgten mit Verstecken, Nahrung oder Informationen. Wieder andere nutzten die Gelegenheit, durch die Übernahme von ‚jüdischen’ Geschäften oder durch Beteiligung an den Plünderungen die eigene wirtschaftliche Position zu verbessern. All diese Fälle gab es auch in Sachsen vielfach.

Öffentliche Gewalt – die Mitwissenden

Wer wusste von den Pogromen? – diese Frage ist sicherlich eine, die gerade angesichts des jahrelangen Schweigens nach 1945 einer Antwort bedarf. Einerseits fanden die Pogrome auch in Sachsen im öffentlichen Raum statt. Bereits die zahlreichen Fotografien belegen, dass eine große Zahl von Schaulustigen die Orte der Gewalt und Zerstörung aufsuchten. Andererseits zeigen der Blick in die Tagespresse als auch das Wissen um Radiosendungen, dass das Thema medial breitenwirksam aufbereitet und von einer antisemitischen Kampagne begleitet war.

Wer keine Zeitung las, kein Radio hörte und nicht in einem Pogromort lebte, der konnte gleichwohl über umlaufende Gerüchte und Erzählungen etwas von den Verfolgungen erfahren. Der Historiker Robert Gellately und andere sind deshalb der festen Überzeugung, dass ein Wissen um die Gewalt als auch frühere wie spätere Formen der Judenverfolgung zumindest zu erahnen, wenn nicht bekannt waren.

Buchempfehlung: Gellately, Robert: Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk, Stuttgart 2002.

Die Haltung der Bevölkerung zu den Pogromen (1): Ambivalenzen

Eine der Fragen, auf die es beim Thema der Novemberpogrome von 1938 keine einfache Antwort gibt, ist die nach der Haltung der breiten Bevölkerung. Einzig, dass es den Pogromtätern sowie den Verantwortlichen der NSDAP und ihrer Gliederungen nicht gelang, die organisierte, vor allem von SA-, SS- und NSKK-Männern ausgeübte Gewalt auf breite Bevölkerungsschichten zu übertragen, kann als gesichert gelten.

Stimmungsberichte und andere Quellen

Was in den Menschen angesichts der Pogrome an den einzelnen Orten vorging, so zeigt sich auch für Sachsen, war durchaus ambivalent und vielschichtig: Persönlicher Judenhass und überzeugter Antisemitismus war bei einigen durchaus vorhanden, waren aber scheinbar keine Mehrheitsmeinung. Vielmehr zeigen geheime Stimmungsberichte des nationalsozialistischen Regimes, dass viele Menschen die Pogrome ablehnten – allerdings nicht unbedingt wegen deren antisemitischer Stoßrichtung, sondern wegen der Form: den Zerstörungen, den Plünderungen, der Gewalt und der Erwartung, dies alles werde sich negativ auf Deutschlands Ansehen in der Welt auswirken.

Allein, auch die Berichte sind als Quellen nur bedingt allgemein aussagefähig, da sie auch politische Zwecke verfolgten: Die Deutschlandberichte der Exil-SPD etwa (SOPADE-Berichte) berichteten über die Ablehnung der Pogrome mit mehreren Beispielen, die zugleich als Vorbild für den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime genommen werden können.

Mit öffentlicher Kritik hielten sich viele zudem aus Furcht vor Repressalien zurück. Dass es mehrere Fälle von Denunziationen wegen angeblicher Pogromkritik gab, belegen die Akten des nationalsozialistischen Sondergerichts in Freiberg.

 

Brennende Synagoge und Kunst (3): Die Synagoge in Dresden

Gerade für Dresden existieren mehrere künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Pogrom, die den alten und den 2001 eingeweihten Synagogenneubau verbinden. Eine dieser Arbeiten stammt von Andreas Bosse. Sie trägt den Titel „Ein Haus der Andacht allen Völkern“.

Semper- und neue Synagoge

Die Farbzeichnung zeigt die 1840 geweihte Sempersynagoge – mit einem tatsächlich nicht vorhandenen großen Davidstern auf der Hauptkuppel – und die Neue Synagoge vereint. Am linken Bildrand findet sich auf der Zeichnung die 1975 eingeweihte Gedenkstele am Hasenberg mit ein abgelegten Kranz, stellt also auch die direkte Verbindung zur Zerstörung des alten Synagogenbaus 1938 und zur Dresdner Gedenkkultur her.

Aus urheberrechtlichen Gründen kann eine Abbildung der Zeichnung hier nicht erfolgen. Ein Abdruck findet sich in: Gesellschaft zur Förderung einer Gedenkstätte für die Sophienkirche Dresden e. V. (Hg.): Bilder zum Dresdner Gedenkweg. Kalenderblätter für das Jahr 2010, Dresden 2009, [Oktober].

Brennende Synagoge und Kunst (2): Die Synagoge in Chemnitz

Eine besondere Form der Dokumentation der Zerstörung der Chemnitzer Synagoge am Stephansplatz nach dem Pogrom bildet eine Zeichnung von Herbert Röthing.

Ein Zeichenlehrer hält den Abriss fest

Röthing, der Ober- und Zeichenlehrer war, stammte aus Dresden und hatte nach Chemnitz geheiratet. Er lebte in der Eubaer Straße am anderen Ende der Stadt.

Den Abbruch der Synagogenruine hielt Röthing am 14. November 1938 in einer Zeichnung fest. Die genauen Umstände sind mir bislang nicht bekannt. Seine Arbeit ist die früheste mir für Sachsen bekannte Auseinandersetzung mit den Pogromen. Sie gibt zugleich als Zeitdokument Einblick in den Stand der Abrissarbeiten.

Die Zeichnung kann zur Zeit betrachtet werden unter: http://www.altes-chemnitz.de/chemnitz/synagoge.htm

Pogromprozesse (7): Bautzen 1949

1949 kam es noch zu zwei weiteren Verfahren gegen Pogromverantwortliche in Bautzen. Die 5. Strafkammer des Landgerichts verurteilte auch den flüchtigen Dachdecker Richard Haufe Anfang Juni 1949 zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus. Vermögensentzug und Sühnemaßnahmen wurden angeordnet.

Der Haupträdelsführer

Den als Haupträdelsführer der Bautzener Pogrome angesehenen ehemaligen SA-Sturmführer Georg Rafelt verurteilte die 2. Große Strafkammer des Landgerichts im Oktober 1949 als Hauptverbrecher zu sechs Jahren Zuchthaus. Drei Jahre neun Monate Internierungszeit sowie fünf Monate Untersuchungshaft wurden ihm hierbei angerechnet.

Insgesamt besteht bei der Auswertung der Strafverfahren gegen Pogromtäter auch für Bautzen noch weiterer Forschungsbedarf.

Zu alledem: Schulz, Hagen: Zuhause in Bautzen … – Leben und Schicksal Bautzener Juden (1871-1945), in: 12. Jahresschrift [Stadtmuseum Bautzen] (2006), S. 7-128, hier: S. 67.